Götzenbild „Ich nehme an, daß Sie nie irgendwelche Bücher über Hindumythologie gelesen haben;" fragte er plötzlich.

Das Wort „Mythologie" verursachte Wolf einen unbehaglichen Schock. Er hatte ein Gefühl, das ein Katholik empfinden mag, wenn er einen Methodisten die Jungfrau Maria erwähnen hört.

Er schüttelte den Kopf.

„Ich selbst habe nur eines gelesen", fuhr der Dichter mit einem Lachen fort, „darum brauchen Sie sich nicht dumm vorzukommen. Es war von jenem Mann, der nach Tibet gegangen ist. Aber er erwähnt darin Mukalog, den Gott des Regens."

„Den Gott des Regens;" erwiderte Wolf, der sich wieder sicher zu fühlen begann.

„So sagt der Mann wenigstens", setzte der andere fort. „Natürlich wissen wir, wie diese Reisenden sind; aber er hatte eine Menge Abkürzungen hinter seinem Namen, und so nehme ich an, daß er einige Examina gemacht hat." Jason hielt sich bei diesen Worten die Hand vor den Mund; und sein Gesicht war gerunzelt vor Belustigung. „Immerhin kennt er Latein. Er verwendet es auf der ersten Seite", fügte er hinzu.

„Es klingt wie ein wirklicher Götze... Mukalog, der Gott des Regens"," murmelte Wolf.

Jasons Gesicht wurde plötzlich feierlich und vertraulich. „Ich habe ihn hier", flüsterte er. „Ich kaufte ihn um dreißig Shilling bei Mr. Malakite, dem Buchhändler. Der nahm ihn bei einem Ausverkauf irgendeinem Idioten ab, welcher glaubte, es sei nichts daran ... Er hat mir mein ganzes Glück gebracht..." Er dämpfte seine Stimme noch mehr, so daß Wolf ihn kaum noch verstehen konnte. „Diese Priester halten Ausschau nach Gott in den Wolken, aber ich tue das nicht... Ich halte Ausschau nach ihm..."

„Wie, bitte?" forschte Wolf und beugte sich aufmerksam vor. „Sie sagten, Sie hielten Ausschau nach ihm.. .?"

Es gab eine Pause; und der Gesichtsausdruck des Mannes wechselte von äußerstem Ernst zu koboldartigem Humor.

„Im Dreck!" schrie er.

Dann stand er, wieder ernst geworden, auf, holte ein abscheuliches, ungefähr sechs Zoll hohes ostindisches Götzenbild von seinem Piedestal und stellte es gerade vor Wolf auf die Mitte des Bouletisches.

„Sein Magen ist es, der ihn so anstößig macht", sagte Jason Otter. „Aber die "Wege Gottes sind nicht so elegant wie die des Bischofs von Salisbury. In dieser Welt fliegt die Wahrheit abwärts, nicht aufwärts!"

Kaum sich dessen bewußt, was er tat — so beschäftigt war sein Geist mit dem ganzen Problem der Persönlichkeit seines Wirtes —, erhob sich Wolf, beugte sich über den Tisch und hob Mukalog, den Gott des Regens, auf. Geistesabwesend hielt er ihn eine Weile zwischen den Fingern und machte schließlich einen albernen Schuljungenversuch, ihn verkehrt auf der flachen Schädeldecke seines monströsen Kopfes zu balancieren.

Dieses Vorgehen verursachte einen Blitz wirklichen Zornes in Jasons Augen. Mit nervösem Griff riß er ihm das Ding aus der Hand, eilte zum hinteren Teil des Zimmers und stellte es wieder auf das Jadepostament, das, wie Wolf ohne große Überraschung jetzt bemerkte, neben einem gravierten Kohlenbecken stand, das noch glimmende Asche enthielt — ohne Zweifel die Asche eben jenes Weihrauches, der „aus den Stores bezogen werden" mußte!

Während sein Wirt schweigend zu dem französischen Fauteuil zurückkehrte und in tiefer Niedergeschlagenheit sein Zigarettenetui hervorholte, starrte Wolf noch immer in einer Art hypnotischer Trance den „Gott des Regens" an und begann darüber nachzugrübeln, wie es wohl kam, daß die Art von Bösem, die von diesem Götzenbild ausstrahlte, um soviel ekelerregender sein konnte als die Art von Bösem, die von Mr. Urquhart ausstrahlte.

Er kam zu dem Schluß, daß es zwar für jegliches lebende Menschenwesen unmöglich war, alle Elemente des Guten in sich zu verwischen, daß es aber für einen Künstler oder für einen Schriftsteller oder auch für die anonyme schöpferische Kraft der Rasse selber wohl möglich ist, ein Bild des Bösen zu schaffen, das ganz und gar böse wäre.

Warum aber sollte dieser Hindugötze um soviel unheimlicher scheinen als irgendein chinesisches oder japanisches Monstrum? War es deshalb, weil in Indien der Kult der Geistigkeit, sowohl zum Guten wie auch zum Bösen, weiter geführt worden war als irgend anderswo auf der Welt?

„Sie täten gut daran, wenn Sie auf keinerlei Geschichten hören wollten, die Ihnen der alte Urquhart über mich erzählt", sagte der Dichter plötzlich und richtete seine bekümmerten Augen auf den Besucher.

Der Name seines Brotgebers ließ Wolf hastig aus dem Lehnstuhl aufstehen.

„Gewiß nicht", sagte er brüsk und schritt zur Tür hin. Während er seine Hand auf die Klinke legte, hatte er das Gefühl, als ob sich der böse Geist Mukalogs über die Schultern des Dichters und über den glatten Bouletisch auf ihn zuschlängelte.  - John Cowper Powys, Wolf Solent. Wien u. Hamburg 1986 (zuerst 1929)

Götze Bild

Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 

Unterbegriffe

VB

 

Synonyme