lücksgefühl Die
Alte, die auf ein weißes Wölkchen über sich deutete und zu mir sagte: ,Der Regen,
der kommt heute noch nicht!' — diese Alte, deren Sack ich mir auf die Schultern
geladen (den Apennin hatte er aus Vergnügen, zu Fuß überquert: vier Tage von
Bologna nach Florenz, Nachtlager in Covigliajo) und die ich auf der Höhe des
Weges umarmt habe — das gehört zu dem, was der Priester von Covigliajo die ,guten
Werke' nannte. Ich hätte ihr ebenso gut mit harter Hand die Gurgel zudrücken
können, aus Ekel vor dieser Greisinnenhaut, die sich rissig und krustig anfühlte
.. . Oh, wie liebevoll sie meine Jacke streichelte und abstäubte! Und immer
wieder rief: ,Figlio mio! carino!'. . . Woher aber kam mir das intensive Glücksgefühl,
a!s ich mich dann, noch schweißbedeckt, unterm Kastanienbaum ins Moos warf (und
nicht einmal rauchte)!? Hätte ich nicht die ganze Menschheit umarmen... oder
vielleicht auch erwürgen mögen? Es ist wirklich keine große Sache, das Leben
eines Menschen! Und ich würde das meinige gern riskieren, wenn sich mir nur
irgendeine hübsch-verwegene Heldentat böte! . . . -
André Gide, Die Verliese des Vatikan. München 1975 (dtv 1106, zuerst 1914)
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