lucksen   »War Madame Popinga nicht eifersüchtig?« Maigret sagte das, weil sein Blick gerade auf den verführerischen Busen des jungen Mädchens gefallen und ihm vielleicht dabei das Blut in die Wangen gestiegen war. »Warum?«

»Ich weiß es nicht. Spät abends zu zweit...« Sie lachte und entblößte dabei ihre gesunden Zähne.

»In Holland ist das immer so. Cor hat mich auch öfter nach Hause gebracht.«

»Und er war nicht verliebt

Sie sagte weder ja noch nein. Sie gluckste. Das ist das richtige Wort: ein kleines Glucksen befriedigter Koketterie.

Durch das Fenster sah man ihren Vater, der das Kalb wie ein Baby aus dem Stall trug und es in der grellen Sonne auf die Wiese stellte.

Das Tier schwankte auf seinen vier dünnen Beinen, fiel fast hin, setzte plötzlich zu einem vier oder fünf Meter langen Galopp an und stand dann wie angewurzelt da.

»Hat Conrad Sie nie geküßt?«

Wieder ein Lächeln, aber sie wurde kaum rot dabei.

 »Ja.«

»Und Cor?«

Sie wurde etwas verlegener und wandte den Kopf halb ab.

»Ja, der auch. Warum fragen Sie mich das?«

Sie blickte ihn seltsam an. Vielleicht erwartete sie, daß auch Maigret sie küßte. - Georges Simenon, Maigret in Holland. München 1977 (Heyne Simenon-Kriminalromane 39, zuerst 1931)

Glucksen (2)  Eine Legion glitschiger, kalter Hände ergriff ihn, trieb ihm die gekrümmten Haken der Finger ins Haar, umfaßte seinen Hals ... Er riß sich einmal, zweimal los. Dann gruben sich Fingernägel in seine Kehle, saugten sich Lippen an seiner Schläfe fest . . .

Er taumelte, lehnte sich an den Fensterrahmen, neigte sich rückwärts. Seine krampfhaft vorgestreckten Arme öffneten sich in der Geste des Opfers, auf die weißgewordenen Lippen trat ein müdes Lächeln — er lebte nicht mehr . . .

In dem Augenblick, als Wrzesmians Körper in der Agonie erkaltete, zerriß ein dumpfes Glucksen die Stille des Tagesanbruchs. Es kam aus dem Bottich an der Hausecke. Die Oberfläche des mit grünem Schimmel bedeckten Wassers wallte auf, aus der Tiefe der vermoderten, von rostigen Reifen umfaßten Tonne stiegen Strudel empor, das Trübe wirbelte, das Abgestandene brodelte. Ein paar große Blasen stiegen hoch, und der unförmige Stummel einer Hand kam zum Vorschein; etwas wie ein Rumpf, ein Leib tauchte wassertriefend auf, ein schimmelbedecktes, leichenhaft stinkendes Wesen, weder Mensch noch Tier noch Pflanze. Das Scheusal hob sein erstauntes Gesicht zum Himmel, öffnete in unbestimmtem, dümmlich-rätselhaftem Lächeln die schwammigen Lippen, zog die wie Korallenäste verdrehten Beine aus dem Bottich, schüttelte das Wasser ab und fing mit schwankenden, wiegenden Schritten an zu gehen.

Im Freien dämmerte es bereits.

Das seltsame Wesen öffnete die Gartenpforte hinter dem Haus, schob sich wie ein Knäuel über den Weg und glitt, von den Strahlen des Morgenlichts übergossen, in die schlummernden Wiesen und Felder. Langsam schrumpfte seine Gestalt, verflüssigte sich, verlosch . . . Bis sie zerfloß und verwehte im Glanz des Sonnenaufgangs. - Stefan Grabinski,  Das Gebiet.  In: Phantastische Träume. Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1983 (Phantastische Bibliothek 100)

Glucksen (3)  Jetzt wo es sich nicht mehr um reine oder unreine Stille handelt und auch nicht um Geräusche, sondern um etwas anderes, nämlich um das, was wir als Schrei bezeichnet haben. Aber eigentlich ist Schrei hier ungenau; es gibt da ein Wort wie Gluckern, das mir passender erscheint, sagen wir ein Gurren, etwas, das etwas Törichtes und Klagendes hat. Aber seht ihr, diese beiden Wörter leiten eine neue Zeit ein, denn etwas, das Wörter wie töricht und klagend duldet, ist bestimmt kein Ding ohne Werden; es muß ein lebendiges Ding sein, auch wenn die beiden Wörter sich schlecht vertragen. Aber natürlich vermeidet ihr es vorläufig auszuschließen, daß es sich um eine Tierstimme oder ein Tiergeräusch handelt; und weil ihr nicht mehr an natürliche Dinge denken könnt, müßt ihr euch irgendein phonisches Wunder ausmalen, sagen wir ein Gespenst, einen Engel, einen Dämon. Es ist klar, daß eure Unredlichkeit an diesem Punkt gefährlich wird, und deshalb müßtet ihr euch damit begnügen feige zu sein; doch auch das ist nicht leicht. In der Tat wirft der Schrei sogleich Probleme auf, die ihr wohl oder übel anfangen müßt zu untersuchen. Jedenfalls muß man den Schrei, oder genauer gesagt das Gluckern - wie dumpf und tonlos es auch sei - als Einleitung zu einer neuen Ära betrachten, in der den Geräuschen die Weisen der Tiere folgen, ich möchte sogar sagen ihre Stimmen, wenn es nicht richtiger wäre, auch jenes andere, wozu man leichthin Geräusche sagt, als Stimmen zu bezeichnen. Doch in welcher Beziehung stehen wohl diese Stimmen zu den vorhergehenden Geräuschen?  Das Problem ist klar und grundlegend und kann nicht anders angegangen werden als mit behutsamer Unredlichkeit. Ich nehme an, daß es an diesem Punkt ratsam wäre, eine Frage  zu klären, die grundlegend erscheint, um ein kohärentes Verhalten gegenüber dem Gluckern oder was immer es sei zu planen. Diese Frage lautet: In welcher Beziehung steht jener Klang zu den Geräuschen, die ihm vorausgingen? Nun, solange wir nur jenes Gluckern hören, können wir von einer Lösung träumen, die keinen unwiederbringlichen Bruch mit sich bringt. Das Gluckern könnte der äußerst seltene Fall eines Geräuschs sein, das eine Stimme nachahmt; doch das ist nicht wahrscheinlich. Prüfen wir also die Lage und bedenken dabei, daß es von diesem Augenblick an möglich ist, daß dem Gluckern ein Schrei, ein Jammern, ein Zischen folgt; daß es also unvermeidlich ist, sich einen gänzlich neuen Plan des Ortes vorzustellen, an dem wir rasten. Wenn nun aber die Geräusche zu Klängen geworden sind, wie dieser, den wir gerade hören, oder andere, denen zu lauschen wir jetzt bereit sind, dann will das vermutlich heißen, daß wir seit jeher einen von Stimmen erfüllten Ort bewohnen, also keinen harmlosen Ort, denn alles kann harmlos sein -doch auch das ist nicht sicher - außer etwas Lebendigem, zur Stimme Fähigem. Wenn wir nun also annehmen, daß die Geräusche den Stimmen vorausgegangen sind, dann können wir auch annehmen, daß dieses geschehen ist, weil alle vorhandenen Stimmen sich als Geräusche verkleidet hatten oder weil das Zeitalter der Geräusche irgendwie zuendegegangen und das Zeitalter der Klänge an seine Stelle getreten war; oder auch weil eine Art Einbruch der Stimmen stattgefunden hatte oder wenigstens eine einzelne Stimme, der Welt der Geräusche ursprünglich fremd, in diese eingedrungen war; und da könnte es sein, daß es von diesem Augenblick an keine Geräusche mehr gibt, oder daß die Präsenz der Klänge auf die Geräusche einwirkt und sie überredet, Klang zu werden, Stimme. Welche dieser Hypothesen nun glaubhaft ist - und eine muß es ja schließlich sein - so bedeutet es jedenfalls, daß du dich von diesem Augenblick an in einer gänzlich unerprobten Lage befindest, die man kaum anders nennen kann als äußerst gefährlich, auch wenn niemand genau zu sagen wüßte, um was für eine Art Gefahr es sich handelt und ob es eine sozusagen gefährliche Gefahr ist, d. h. eine Lage, die das gesamte System bedroht, das ihr euch nach und nach geschaffen habt, um in einer unerträglichen Lage zu überdauern. Sind die Geräusche verstummt? Nehmen wir es an. Das könnte dadurch geschehen sein, daß die Geräusche das Gluckern bemerkt haben und in Alarmstellung gegangen sind, mucksmäuschenstill und sozusagen plattgedrückt und auf eine Weise schweigend, daß ihre Stille unausweichlich als Signal zur Quelle des Gluckerns gelangt; also könnten wir diese Stille, die wir weder rein noch unrein nennen können, als klingend oder signalisierend bezeichnen, und könnten ein Zwiegespräch vermuten zwischen der Stille und dem Gluckern. Du wirst jetzt merken, daß auch du in diesem Augenblick schweigst; du bist also in diese Stille verwickelt. Und wirklich, die Stille, die du als Vorsichtsmaßnahme gegen die Geräusche erprobtest, neigte dazu, dich den Geräuschen anzugleichen, auf daß du nicht mehr anders wärest; kurzum, du brachtest dich als potentielles Geräusch in Vorschlag; doch jetzt ist es anders: du schweigst, weil du geistige Maßnahmen gegen den Klang ergreifen mußt, der deinen nächtlichen Plan verletzt hat. Jetzt, so wirst du merken, bist du nicht mehr müde; deine Müdigkeit, die dich zum Ruhen überredet hatte, ist einer tiefen Beunruhigung gewichen, die nicht nur Angst ist, sondern eine raffinierte und feine Form des Schreckens, ein aktiver Schrecken, nicht unvereinbar mit der Existenz. Du entfernst also gerade die Zeit der Geräusche aus deinem Kopf wie eine Art von Kindheit und spielst dich auf vor dem, was du jetzt als Klang definierst, nämlich dem Gluckern. Hör es dir an: es ist ein heiserer, weicher, leiernder Klang. Du bemühst dich, ihn geistig zu erleben. Du erlebst ihn, weil du zu verstehen versuchst, welchem geistigen Zustand dieser Klang entspricht. Natürlich ist es nicht schwer, ihn zu bestimmen: es ist eine Klage. An diesem Punkt schreckst du sicherlich davor zurück, einfach zu sagen, du seist mit einer Klage in Kontakt, zumal euch das notgedrungen als anthropomor-phische Definition erscheinen müßte, denn natürlich sagt die Behauptung, jenes Gluckern sei eine Klage, nichts Endgültiges darüber aus, wer oder was sich beklagt und worüber es sich beklagt, und ob es sich wirklich um eine Klage handelt.  - Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989
 
 

Geräusch

 

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