Glorie  Lovecraft entdeckt im Geruch ein typisches Merkmal der Verderbnis, das ungreifbare Symptom einer Krankheit, die auf das Formlose hinzielt; und es ist in erster Linie der magische Gestank, der den heiligen Verfall, das göttliche Übel, das um uns ist, signalisiert. Der Geruch ist die Glorie der Auflösung.  - Giorgio Manganelli, Vorwort zu: H. P. Lovecraft, Cthulhu. Geistergeschichten. Übs. H. C. Artmann. Frankfurt am Main 1972 (st 29, zuerst 1928)

Glorie (2)  Ein Leib in seiner Glorie! Der Körper eines Erwählten! Eine noch unzerlegte Reliquie, das frische Meisterwerk des Martyriums; der Sieg des Geistes über all das grobe Zeitliche. Menschlichen Antlitzes die Gestalt dessen, was - lebend - den Tod und alles was ihm nachfolgt überwunden hat; entblößt, verstümmelt, ausgepreßt die Hülle einer Seele, frei und rein nur Seele; was übrig bleibt, als Zeuge des Kampfes: der Mantel aus Blut und Muskeln, ironische Geisel, schmähliche Reste für die Henker, auf denen sie bestialisch getanzt haben, in dem Glauben, Cäsar zu rächen oder die Häresie zu verderben, während der fleischlose Odem in weitem Parabel s chwung zurückgekehrt ist und wieder über dem sterblichen Balge schwebt, den er verlacht. Und dennoch: wie schön war sie nicht in den gemalten und gesungenen Werken, mit himmlischeren Worten bekleidet als das Blau des Fra Angelico. Die Musik sang heller und lauter als die Märtyrer, Und spricht man von ihnen, so allein, um das Leichterwerden, das Entweichen zu verkünden... Das Wort Martyrium allein erweckt eine dröhnende Symphonie von Harfen und Flügeln, von Strahlen, Flammen und fast liebenden Tränen. Und kommt man von dort oben zurück zur Erde, so läßt ein im gerechten Kampfe gefallener Leib doch nicht anders sich denken als so: wenn es ein Mann ist, soll er nackt sein vom Schädel bis zum Gürtel, von den Zehen bis an die Knie, stark und muskulös - größer noch wird dadurch sein Verdienst an dem Verzicht auf den Körper - und alsdann mit roten Wunden bedeckt in seinem noch pulsenden Fleisch; es dampft das Blut wie der Weihrauch dampft. Die Henker, die ihm den Bauch aufgefetzt, die Haut abgezogen, die ihn gebrannt, gevierteilt, mit Zangen gepeinigt, in allen schmerzenden Falten gereizt haben, sie haben die heitere Haut seines schönen und kräftigen Antlitzes nicht geritzt. Oder, wenn die denkwürdigen Entbehrungen lange währten und der Heilige hungernd unter der Erde lange widerstanden hat, im Dunkel voller lauernder Versuchungen, welche heißer brennen als der Rost der glühenden Kohlen, so nimmt man es hin, daß er fahl, mager, gelbekstatisch erscheint, entstellt und für das menschliche Leben verdorrt - Eine Heilige muß vor dem Verfall bewahrt sein, und vor allem wird sie immer schön sein. Man duldet es, daß sie Mutter war, nicht aber daß sie entstellt ist. Man ehrt sie in ihrer irdischen Schönheit, dem Bild ihrer Glorie in den Himmeln. Die schlimmsten Vergehen, die man so bereitwillig beschreibt, lassen in der Malerei auf diesem wundergezeichneten Körper nur wenige Spuren zurück. Wohl ist sie entblößt und geschändet, doch sieht man sie nur mehr in schicklichem Gewand, kaum sind die Arme nur nackt, welche sie schützend vor dem Herzen hält, das in Leidenschaft glüht für den Einzigen Gemahl. Die in der Wollust durchwühlten Haare sind wieder geordnet und von neuer Grazie erfüllt und unsichtbare Hände schon himmlischer Schwestern haben das gräßliche Schauspiel gänzlich bereinigt, das derselbe Körper darböte, von denselben Ausschreitungen entweiht, doch von dem Ziel nicht geheiligt.

Denn sobald der Körper als verklärt angesehen wird, erlöschen für ihn alle natürlichen Gewohnheiten: da mit den brutalen fünffingrigen Händen die Seele nicht zu fassen und mit dem Schwert nicht zu spalten ist, entgeht der Körper der Verwesung. Er hat schon Teil an der Essenz jener wahrhaft verklärten Körper: der Körper der Auserwählten nach dem Jüngsten Gericht; eindringende, durchdringende, verrinnende Körper... Und in ihrer Eifersucht auf diesen Triumph kommen die Gläubigen, die Freunde, die Verwandten herbei und bestatten frühzeitig den Radaver, und manchmal, aus gewiß ungenügender Überzeugung, ohne den Beweis der Fäulnis, den »grünen Fleck« auf dem Bauche abzuwarten - balsamieren sie ihn ein.

Tausend Jahre später, wenn drei vollbrachte Wunder die Heiligkeit kundgetan haben, wird die trockene Kammer geöffnet und man wundert sich, entweder über die völlige Konservierung oder über die gelbe Glätte der Knochen, die man auf ungezählte Reliquare verteilt. Man bewahrt auch jene andere unvergängliche Materie, die Haare, und die Zähne und die Späne der Fingernägel, die im Leben so sehr vernachlässigt wurden. Und in all dem nichts Verfehltes, nichts Unangenehmes, nichts Widerwärtiges. Aber ein großer, tröstender Aufschwung, ein Leichterwerden in den Worten, in den Farben und Formen, im Geist und im Herzen; es wandelt sich alles in jenes leichte und berauschende Parfüm der Heiligkeit... Solches gebührt es sich wohl vorzustellen, sobald jene Worte nur erklingen: Märtyrerliste, der Gemarterte, Märtyrer, heilige Reliquie... Ein auserwählter Körper; ein Leib in seiner Glorie...

Und was habe ich gesehen? Ein Aas. Verklärt zwar, und ich weiß es wohl; doch vor allem und für immer: ein Aas. Hier, an den äußersten Grenzen Chinas und Tibets habe ich es gesehen, erkannt, mit den Händen berührt.

In einem Schuppen ein allzu enger chinesischer Sarg, der elend mit seinem Holz knausert. Ein sehr geschäftiger junger Missionar, der mit der Ausführung der Zeremonien betraut ist, umflattert einen Prälaten, den Bischof von Heracleopolis, in partibus infidelium. Der eine wie der andere scheinen sich große Sorgen zu machen über den Gestank. Der Kadaver ist zweiundzwanzig Tage alt.   - Victor Segalen, Aufbruch in das Land der Wirklichkeit. Frankfurt am Main und Paris 1984  (zuerst 1924)

 

Glanz

 

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