limmen    Ein Fleck, der in der Luft hing. Er sah aus wie ein Funke, der vergessen hatte, auf die Erde zu fallen. Ich starrte ein oder zwei angstvolle Sekunden lang wie gelähmt auf diesen Punkt. Er bewegte sich nicht. Ich mich auch nicht. Ich atmete kaum - gerade genug, um am Leben zubleiben.

Dann, nachdem ich ihn eine Weile angestrengt angestarrt hatte, fiel bei mir der Groschen. Eigentlich kam ich mehr durch Nachdenken drauf. Es war das glühende Ende einer Zigarette, die jemand zwischen den Lippen hielt. Wenn man lang genug hinsah, konnte man entdecken, daß die Zigarette in einem fast unmerklichen Rhythmus aufglühte. Der Punkt wurde kleiner, dunkler und verlosch schließlich; dann tauchte er wieder auf, deutlich, heller und größer. Das Ganze wurde von einem Atemrhythmus gesteuert, der wahrscheinlich genauso gequält war wie meiner im Augenblick. Ein Atmen, das zwar nicht völlig unterdrückt werden konnte, aber kaum wahrnehmbar war. Dort drüben in der Dunkelheit war irgendein menschliches Wesen, das keinen Laut von sich gab, obwohl es mich genau beobachtete.

Der rote Punkt verriet sich selbst. Er bewegte sich plötzlich in einer geraden Linie einen halben Meter nach oben; dann hielt er inne und erstarrte wieder. Ich fand auch dafür eine Erklärung - der Raucher hatte sich erhoben und stand jetzt dort, wo er vorher gesessen oder gekauert hatte.

Er tat es sehr geschickt. Man hörte dabei keinen Laut. Er versuchte, für mich unantastbar und unberührbar zu bleiben. Er wußte nicht, daß er sich schon verraten hatte. Das rote Aufglühen seiner Zigarette war ihm anscheinend gar nicht bewußt geworden; vielleicht war er schon so daran gewöhnt, daß er gar nicht mehr merkte, daß er brennenden Tabak vor dem Gesicht hatte.

Ich starrte wie hypnotisiert in seine Richtung. Ich konnte einfach nicht anders. Der Punkt war wie eine gefährliche rote Perle, wie das starre Auge einer Schlange. Mein Rücken fühlte sich steif an, und über meine Kopfhaut schien ein kalter Hauch zu fegen.

Der Punkt hing einen Moment lang scheinbar fragend in der Luft. Ich stand mit den Schultern gegen die Tür gepreßt wie ein in die Enge getriebenes Tier. Der Punkt verblaßte wieder etwas hinter der Asche; dann aber brachte ihn ein unbedachter Atemzug wieder zum Glühen.

Nun bewegte er sich wieder, und das wellenförmige Auf und Ab des Punktes zeigte, daß er auf mich zukam. Diesmal war die Bewegung sehr langsam. Der Punkt wurde etwas größer, bis er etwa die Größe einer Erbse hatte. Er näherte sich mir wie die rot leuchtende Spitze einer Boje in pechschwarzer Dünung.

Das Ganze war gespenstisch; man konnte das kalte Grausen kriegen. Und ich kriegte es. Aber ich blieb stehen. Es blieb mir auch gar nichts anderes übrig. Meine Knie wurden verdächtig weich, und deshalb drückte ich sie kräftig durch.

Jetzt war mir der Punkt ganz nah. So nah, daß ich glaubte, die von ihm ausgehende Hitze würde mir einen pfenniggroßen Fleck auf die Wange brennen. Wahrscheinlich war das nur Einbildung, aber mir kam es so vor.

Es war diese Stille, die so entnervend war, die Tatsache, daß weder er noch ich auch nur einen Mucks machte. Eine Stille verlängerte die andere, als wollte keiner von uns beiden das erste Geräusch machen, das vielleicht zu einem tödlichen Kampf führen würde. Ich wartete darauf, daß sich der Unbekannte zu erkennen gab; er schien auf mich zu warten.  - Cornell Woolrich, Der schwarze Pfad. Zürich 1988 (zuerst 1944)

 

Glut

 

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