lassarg  Ich träume, ich liege in einem Glassarg, wie Schneewittchen. In der Hand einen roten (Reichs-) Apfel, aus Seife, wie man ihn in den Parfürnerien kaufen kann. Durch die gekreuzten Füsse steckt man mir lange silberne Ohrclips. (Nur andeutungsweise, statt Nägel)

Beim Erwachen aus diesem Traum hatte ich ein sehr unangenehmes Gefühl. Diese Mischung von Schneewittchen und Kreuzigung mit parfümierten Reichsapfel etc. schien mir peinlich, lächerlich, unheimlich zur gleichen Zeit. Aber ich konnte keine Erklärung finden. Am Nachmittag des gleichen Tages beschloss ich, entgegen dem was ich meinen Freunden gesagt hatte, die schon morgens aufgebrochen waren, doch noch Skifahren zu gehen. Ich fuhr mit der Bahn hinauf. Es war schon ziemlich spät. Ausser mir fuhr nur noch ein Ehepaar mit. Ich fuhr oben ab. An einer Stelle verlor ich das Gleichgewicht, licss mich aber eine Weile «schliddern», dachte, es hält dann schon von selbst an. Da fiel ich, Kopf voran, in ein 2-3 Meter tiefes Loch. Es war ein vom Schnee verdeckter kleiner Bach, nur an dieser Stelle war er nach oben offen, aber von der Piste aus nicht sichtbar. Ich war auf grosse, abgerundete mit Eis überzogene Felsblöcke gefallen. Die Beine mit den Skiern waren im Wasser. Rundherum Eis, oben überhängender Schnee mit Eiszapfen. Als ich mich nach ein paar Sekunden vom Sturz erholt hatte, merkte ich, dass ich gar nicht verletzt war, auch nicht am Kopf. Ich nahm die Skier ab und begann mit einem davon den überhängenden Schnee abzuschlagen.

Hier herauszukommen war gar nicht so einfach! Da hörte ich rufen. Das Ehepaar, das hinter mir fuhr, hatte mich verschwinden sehn. Der Mann kam und half mir, indem er den Skistock herabreichte, aus meiner Eishöhle. Es war die gefährlichste Situation, die ich je erlebt hatte. Ohne diese Hilfe weiss ich nicht was passiert wäre. Denn vielleicht wäre es mir nicht gelungen, mich selbst herauszuarbeiten u. dann wäre ich ziemlich sicher erfroren.

Bei der Abfahrt, die nun folgte, zitterten mir die Knie. Ich fühlte etwas Feuchtes an der Stirne, wischte mit der Hand darüber und sah, es war Blut. Aha - plötzlich ging mir die Bedeutung des Traumes auf. Das war jetzt also noch die Dornenkrone! Der Schneewittchensarg war aus Eis.  - Meret Oppenheim, Aufzeichnungen 1928 - 1985. Träume. Bern - Berlin 1986

Glassarg ⁽²⁾  O Tod, reizendes, etwas staubiges Kind, hier hast du einen kleinen Palast für deine Koketterien. Komm von hinten sachte näher, streich den Taft deines Kleides wieder glatt und tanze! Alle Schliche der Welt, alle Listen, die mein Sinnesvermögen vergrößern, astronomische Fernrohre und Vergrößerungsgläser jeder Art, verblüffend ähnlich frischen Wiesenblumen, Alkoholen und ihren Dampfhämmern, Surrealismen, entdecken mir überall deine Gegenwart. Tod, so rund wie mein Auge. Ich vergaß dich. Ich ging spazieren ohne daran zu denken, wieder nach Hause gehen zu müssen, mein guter Haushälter, nach Hause, wo bereits die Suppe in den Tellern kalt wird, wo du, auf mich wartend, lässig an Rettichen knabberst und deine Knochenfinger mit der Kante des Tischtuches spielen. Hier, werde nicht ungeduldig, ich gebe dir noch mehr Erdnüsse, ein ganzes Boulevard-Viertel, an dem du deine Hackerchen schärfen kannst. Necke mich nicht: ich werde schon kommen.

Ich vergaß zu sagen, daß die Passage de l' Opéra ein großer Glassarg ist, und da dieselbe vergötterte Blässe seit den Zeiten, als man sie in den römischen Vorstädten anbetete, immer noch das Doppelspiel von Liebe und Tod beherrscht, die Libido, die heute die medizinischen Werke zu ihrem Tempel gewählt hat und die jetzt, gefolgt von dem Hündchen Sigmund Freud, lustwandelt, sieht man in den Galerien mit ihrer wechselnden Beleuchtung, von der Helle des Grabes übergehend zum wollüstigen Dunkel,

köstliche Mädchen, die mit aufreizenden Bewegungen der Hüften und mit einem Lächeln der spitz aufgeworfenen Lippen dem einen wie dem anderen Kult dienen. Auftritt, die Damen, auf die Bühne, und ziehen Sie sich ein wenig aus ...   - (ara)