Glaskasten

 

- Eric Stanton

Glaskasten (2) Oliveira  hatte angefangen, das Treiben um sich herum zu betrachten, das wie an jeder beliebigen Straßenecke in jeder beliebigen Stadt die vollkommene Illustration dessen war, was er gerade dachte, und ihm beinah die Arbeit ersparte. Im Café, vor der Kälte geschützt (man hätte hineingehen und ein Glas Wein trinken sollen), schwatzte an der Theke eine Gruppe von Maurern mit dem Wirt. Zwei Studenten lasen und schrieben an einem Tisch, und Oliveira sah, wie sie aufblickten und zu den Maurern schauten, er sah, wie sie sich wieder ihrem Buch oder Heft zuwandten, von neuem aufschauten. Von einem Glaskasten zum anderen sich anschauen, sich isolieren, sich anschauen: das war alles. Über der geschlossenen Terrasse des Cafes schien am Fenster des ersten Stocks eine Frau zu nähen oder ein Kleid zuzuschneiden. Ihre hohe Frisur bewegte sich im Takt. Oliveira stellte sich ihre Gedanken vor, die Schere, die Kinder, die jeden Augenblick aus der Schule kämen, den Mann, der seinen Arbeitstag in einem Büro oder einer Bank beendete. Die Maurer, die Studenten, die Frau, und jetzt tauchte aus einer Seitenstraße ein Clochard auf, mit einer Flasche Rotwein, die ihm aus der Jackentasche sah, und einen Kinderwagen schiebend, der vollgestopft war mit alten Zeitungen, Büchsen, abgetragenen und zerschlissenen Kleidungsstücken, einer Puppe ohne Kopf, einem Paket, aus dem ein Fischschwanz herausragte. Die Maurer, die Studenten, die Frau, der Clochard, und in einem Kiosk, wie zum Pranger verurteilt, LOTERIE NATIONALE, eine alte Frau, die widerspenstigen Haarsträhnen unter einer grauen Ohrenmütze hervorquellend, die Hände in blauen Pulswärmern, TIRAGE MERCREDI, ohne zu warten, wartete sie auf einen Kunden, ein Kohlebecken zu ihren Füßen, eingeklemmt in ihrem aufrecht stehenden Sarg, regungslos, halb erfroren, das Glück anpreisend und an wer weiß was denkend, kleine Gedankenfetzen, senile Wiederholungen, die Lehrerin aus der Kindheit, die ihr Süßigkeiten schenkte, der an der Somme gefallene Mann, der Sohn, der Handlungsreisender war, nachts die Dachkammer ohne fließendes Wasser, die Suppe für drei Tage, das bceuf hourgignon, das weniger als ein Beefsteak kostet, TIRAGE MERCREDI. Die Maurer, die Studenten, der Clochard, die Losverkäuferin, jede Gruppe, jeder einzelne in seinem Glaskasten, aber kaum daß ein alter Mann unter ein Auto geriete, begänne auch schon das allgemeine Wettrennen zum Unfallort, der heftige Austausch von Eindrücken, Kritik, Meinungsverschiedenheiten und gleichen Ansichten, bis es erneut zu regnen anfinge und die Maurer an ihre Theke und die Studenten an ihren Tisch zurückkehrten, die X zu den X, die Z zu den Z. - (ray)

 

Kasten Glas

 

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