Glas schneiden  Mit den Brillengläsern das Inventar der Praxis spiegelnd — es gab da viel Chrom, Nickel und Schleiflack; dazu Regale, Vitrinen, in denen  sauber beschriftete Gläser mit Schlangen, Molchen, Kröten, Schweine-, Menschen- und Affenembryonen standen — diese Früchte im Spiritus mit dem Brillenglas einfangend, schüttelte Hollatz nach den Untersuchungen bedenklich und in meiner Krankengeschichte blätternd den Kopf, ließ sich immer wieder von Mama meinen Sturz von der Kellertreppe erzählen und beruhigte sie, wenn sie Matzerath, der die Falltür offen gelassen hatte, hemmungslos beschimpfte und für alle Zeitea schuldig sprach.

Als er mir nach Monaten anläßlich eines Mittwochbesuches, wahrscheinlich um sich, vielleicht auch der Schwester Inge den Erfolg seiner bisherigen Behandlung zu beweisen, meine Trommel nehmen wollte, zerstörte ich ihm den größten Teil seiner Schlangen- und Krötensammlung, auch alles was er an Embryonen verschiedenster Herkunft zusammengetragen hatte.

Von gefüllten, aber nicht abgedeckten Biergläsern abgesehen und Mamas Parfümflakons ausgenommen, war es das erste Mal, daß Oskar sich an einer Menge gefüllter und peinlich verschlossener Gläser versuchte. Der Erfolg war einzigartig und für alle Beteiligten, selbst fü Mama, die ja mein Verhältnis zum Glas kannte, überwältigend, überraschend. Gleich mit dem ersten noch sparsam beschnittenen Ton schnitt ich die Vitrine, in der Hollatz all seine ekelhaften Merkwürdigkeiten verwahrte, der Länge und Breite nach auf, ließ sodann eine nahezu quadratische Scheibe aus der Ansichtsseite der Vitrine vornüber klappen und auf den Linoleumfußboden fallen, wo sie platt auf dem Boden, die quadratische Form bewahrend, tausendmal zersprang, gab dann dem Schrei etwas mehr Profil und eine geradezu verschwenderische Dringlichkeit, besuchte mit diesem so reich ausgerüsteten Ton ein Reagenzglas nach dem anderen.

Die Gläser sprangen knallend. Der grünliche, teilweise eingedickte Alkohol spritzte, floß, seine präparierten, blassen, etwas vergrämt dreinschauenden Einschlüsse mit sich führend über den roten Linoleumboden der Praxis und füllte mit, möchte sagen, greifbarem Geruch den Raum dergestalt, daß Mama übel wurde und Schwester Inge die Fenster zum Brunshöferweg hin öffnen mußte. Dr. Hollatz verstand es, den Verlust seiner Sammlung in einen Erfolg umzubiegen. Wenige Wochen nach meinem Attentat erschien von seiner Hand in der Fachzeitschrift »Arzt und Welt« ein Aufsatz über mich, das glaszersingende Stimmphänomen Oskar M.  - Günter Grass, Die Blechtrommel. Frankfurt am Main 1965 (zuerst 1958)

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