ewitterziege  Gurù spreizte die Beine der Ziege, um sich enger an deren Körper anschmiegen zu können, und umklammerte Hals und Flanken fest; die kleinen, harten Brüste wurden gegen das zottige Tierfell gedrückt. Die Ziege klagte, und auch die Frau hob zu klagen an, stöhnte und winselte, keuchte krampfhaft, wie aus Lust; ihre Glieder, ihre Körper schlössen sich in immer engerer Verbindung zusammen. Ein Dunst aus Mondlicht hüllte die beiden Gestalten ein; die beiden Münder, die sich voller Leidenschaft gegenüberlagen, schienen ihn auszuatmen, die Augen starrten sich mit verzehrender Eindringlichkeit an.

Die zierlichen Beine des Mädchens — Giovancarlo bemerkte es schaudernd — und ihr samtenes Hinterteil wurden nach und nach von einem braunen Flaum überzogen, während die Beine des Tieres silbern wurden und das Fell darauf allmählich dünner. Zwei Blitze schossen los, die hintereinander herjagten und dabei ihre Kraft verdoppelten, ein Augenblick von schwebender Ruhe folgte, der Regen ließ nach, eine stickige Feuchte breitete sich aus, wie wenn der Himmel noch regenschwer ist. Zwischen den Gewitterwolken tat sich ein breiter Riß auf, durch den das hämische Antlitz des Mondes von hoch oben eine Weile lang herunterschauen konnte. Das Stöhnen und Keuchen der beiden ineinander verwickelten Gestalten steigerte sich zu einem krampfartigen Höhepunkt; der Monddampf schien rings um sie her zu schäumen. Der Mond versteckte sich, vor seinem Gesicht ballten sich immer mehr pechschwarze Wolken zusammen, einen Moment lang herrschte vollkommene Dunkelheit. Giovancarlo sah gar nichts mehr.

Und nun tauchte aus dem Knäuel Gurü mit ihren Ziegenbeinen auf; am Fuß des Felsens blieb eine monströse Form seitlich ausgestreckt liegen, schwer und reglos, mit langen, weißen Frauenbeinen und dem Torso eines Tieres. Als der junge Mann daran vorüberging, zeigten sich ihm plötzlich die Augen, die im Schatten weit offenstanden: Es waren Menschenaugen! Dafür hatten diejenigen von Guru einen wilden Glanz bekommen.

Gurù seufzte auf und murmelte ein paar unverständliche Worte. Sie war wirklich genau so wie damals, als Giovancarlo sie zum ersten Mal gesehen hatte (oder gemeint hatte, sie zu sehen): der Gesichtsausdruck, die Stimme. Nur konnte der junge Mann jetzt auch mühelos eine der Fragen beantworten, die ihn damals gequält hatten: Auf dem schlanken Körper war nämlich klar zu sehen, wo die menschliche Natur aufhörte und wo die ziegenhafte begann. Das Tierfell setzte knapp unter der Einbuchtung der Hüftpartie an (so daß der zierliche Bauchnabel frei blieb), wie der Seidenschleier einer orientalischen Tänzerin, oder besser wie der samtene von einer aus dem Abendland; von hinten gesehen zeigte sich der oberste Teil des Gesäßes unterhalb der zwei kleinen Grübchen und der Anfang des Spalts, ganz wie ein üppiger Busen, der zur Hälfte ins enge Dekollete eingeschlossen ist. Es war gar keine Lösung für diese Verbindung nötig; nichts störte die ihr innewohnende Harmonie, im Gegensatz zur liegenden Gestalt, zu der die Frauenbeine überhaupt nicht paßten.

Sie sahen aus wie der von einer grauenhaften Krankheit verursachte riesige Auswuchs an einem verstümmelten Leib, während die Ziegenbeine seit je zum Mädchen zu gehören schienen. Ja, es kam Giovancarlo sogar so vor, als könne ein weiblicher Körper ebenso gut und ebenso logisch in Ziegen- wie in Frauenbeine auslaufen; anders ausgedrückt: Er mußte so sein. Und dies, dieser Eingriff ins Höchste, in das Entstehen der Formen selbst, verschärfte das außerordentliche Ereignis, machte es noch schrecklicher. Am meisten aber bestürzte den jungen Mann, daß er alles als so natürlich hinnahm. Trotzdem ließ ihm die Frage keine Ruhe, ob Gurù in diesem Moment letztlich eine Ziege oder ein Mädchen war.

Die Ansatzlinie der beiden Naturen hatte nichts Auffälliges an sich; das Vlies war auf der Nahtstelle höchstens ein bißchen aufgestülpt und loser, als sei der menschliche Teil des Körpers weißes Fruchtfleisch, das zur Hälfte aus einer harten, felligen Haut herausgeschält wurde. Vielleicht entstand dieser Eindruck bloß durch ein paar Härchen, die sich nach oben richteten, denn sonst lagen ringsherum eigentlich alle glatt nach unten und störten die Hüftlinie in keiner Weise; dieses Fell erinnerte indessen an die starre Beschaffenheit der Baumrinde auf dem Körper der Dryaden. Um es in ein Bild, das jedem leicht verständlich ist und das nicht gegen die Genauigkeit verstößt, zusammenzufassen: Das Mädchen trug seine Ziegenbeine wie die Sirenen ihren Schwanz. Wer wird schon von sich behaupten wollen, noch nie eine Sirene gesehen zu haben?   - Tommaso Landolfi, Der Mondstein. Zürich 1995 (zuerst 1972)

 

Ziege

 

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