eständnis   Eine ganz fremde Stimme, die nicht einmal Madame Martin erkannt hätte, sagte plötzlich: »Ich war es.«

Maigret sprach noch immer nicht. Sein Blick schien zu fragen: Wirklich?

»Ich — ich wollte über die Grenze.«

Es gibt eine Art zu rauchen, die den, der zusieht, nervös macht. Bei jeder Rauchwolke, die Maigret ausstieß, öffneten sich seine Lippen genießerisch und schmatzten leise.

Martin beugte sich vor, seine behandschuhten Hände flehend erhoben — mit fiebrigen Augen.

»Glauben Sie, daß es lange dauern wird? Nein, nicht wahr? Sobald ich gestehe — und ich gestehe alles...«

Was tat er nur, daß er nicht in Schluchzen ausbrach? Seine Nerven mußten zum Zerreißen gespannt sein. Seine Augen schienen zu sagen: Helfen Sie mir doch! Sehen Sie nicht, daß ich am Ende meiner Kräfte bin?

Aber der Kommissar rührte sich nicht. Er saß ganz ruhig da und betrachtete Monsieur Martin mit demselben neugierigen, aber leidenschaftslosen Blick, mit dem man im Zoo ein exotisches Tier in seinem Käfig betrachtet.

»Couchet hat mich überrascht. Da habe ich...«

Maigret seufzte. Es war ein Seufzer, der nichts besagte und den man auf hundert Arten deuten konnte.

In Saint-Quentin hörten sie Schritte im Gang. Ein hochgewachsener Mann versuchte die Tür ihres Abteils zu öffnen, stellte dann fest, daß sie abgeschlossen war, blieb noch einen Augenblick stehen, drückte seine Nase an die Scheibe, um hineinsehen zu können, und fand sich schließlich damit ab, sich einen anderen Platz suchen zu müssen.

»Ich gestehe doch alles. Es hat ja keinen Sinn ...«

Es war, als spräche er zu einem Tauben oder zu einem Mann, der kein einziges Wort Französisch verstand.

Maigret stopfte seine Pfeife besonders sorgfältig und drückte den Tabak mit dem Zeigefinger fest.

»Haben Sie Streichhölzer?«

»Nein. Ich rauche nicht. Das wissen Sie doch. Meine Frau verträgt den Tabakgeruch nicht. Ich möchte, daß alles schnell erledigt wird, verstehen Sie? Ich werde meinem Rechtsanwalt sagen, daß ich keine Komplikationen wünsche. Ich gestehe alles. Ich habe in der Zeitung gelesen, daß man einen Teil der Geldscheine gefunden hat. Ich weiß nicht, warum ich das getan habe. Ich konnte sie einfach nicht in der Tasche behalten. Ich glaubte, alle Leute auf der Straße würden es mir ansehen. Zuerst wollte ich sie irgendwo verstecken. Aber wozu? Ich bin den Kai entlanggegangen. Es waren viele Boote auf der Seine. Ich hatte Angst, daß mich ein Matrose beobachten könnte. So bin ich über den Pont Marie auf die Ile Saint-Louis gegangen. Erst dort konnte ich mich meines Pakets entledigen...«

Das Abteil war überheizt. Die Fenster waren beschlagen, und der Pfeifenrauch schwebte um die Lampe.

»Ich hätte Ihnen schon alles gestehen sollen, als Sie zum erstenmal kamen. Ich habe aber nicht den Mut dazu gehabt. Ich habe gehofft, daß...«

Martin hörte auf zu sprechen und sah neugierig auf seinen Reisegefährten, der nun den Mund geöffnet und die Augen geschlossen hatte. Man hörte gleichmäßiges Atmen. Es klang wie das zufriedene Schnurren einer dicken Katze. Maigret schlief. - Georges Simenon, Maigret und der Schatten am Fenster. München 1971 (Heyne Simenon-Kriminalromane 29, zuerst 1932)

Geständnis (2)

Geständnis (3)  Der zu Anfang bei all seiner  (Geschwätzigkeit voller „Verhaltungen" (Retentionen) sitzende dumpfe Mensch, schloß gleichsam Klappe nach Klappe seines Gemütes auf, begann zutunlich, kindlich, ganz aufgetau zu werden, und nur, wenn die Eltern der Gemordeten vor ihm standen, oder sonst etwas Bedrohliches vor ihm aufstieg, oder die Rede kam auf das unmittelbare Durchbeißen der Kehle, oder den dunklen Fleischverkauf, so vereisten sofort wieder die kleinen giftigen Lichter und dummtrotzig, wie maulend oder schmollend, zog er sich wieder in sich zurück. Im allgemeinen aber hatte jedermann das Gefühl, daß dieser Mensch sich wie erlöst fühlte, weil er über die Dunkelheiten und die große Angst seines wirren Trieblebens sprechen durfte; ja, es kam etwas wie kindliches Sichaufspielen in seine Berichte, wenn er erzählte, wie er durch so lange Jahre die „Menschheit" (über die er stets böse sprach) zu täuschen verstanden habe. - Theodor Lessing, Haarmann. Die Geschichte eines Werwolfs. Berlin 1925
 

 

Verhör Wahrheitsfindung

 

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