(gau)
Gespenst (2)
"This is perhaps the best photo of an
alleged ghost in Raynham Hall, Norfolk, England,
known as the "Brown
Lady".
It is believed to be the
spirit of Dorothy Walpole who first appeared in 1835."
-
N.N
.
(s.a.
geisternet.com
)
Gespenst (3) Ein Gespenst, das seiner
Einsamkeit entrinnen möchte, kann das
nur tun, indem es aus sich heraus ein anderes Gespenst zeugt.
Obwohl man weiß, daß die Sache möglich ist, besitzt man keinerlei
genaue Kenntnis von einer solchen Zeugung. Das Gespenst hegt
nicht nur den Wunsch, ein anderes Gespenst zu zeugen, sondern
es spürt auch, daß es nicht anders kann: so als wüchse in seinem
irrealen Körper noch ein anderer irrealer Körper; trotzdem weiß
es nicht, wie es ihm helfen könnte zu wachsen und aus seinem
Körper hinauszugelangen, Es weiß, daß Gespenster zu gebären ein
Privileg ist, das nur wenigen Gespenstern zuteil wird, und daß
der Weg, um so weit zu kommen, lang und beschwerlich ist. In
der Tat gibt es in der Geschichte eines Gespensts nichts Selbstverständliches.
Zunächst einmal muß es unter den Lebenden geboren werden, was
nicht nur unmöglich, sondern auch unvernünftig ist, zumal ein
Lebender stets eine winzige Unterbrechung des Nichts
darstellt, das ewig, unsterblich, allgegenwärtig ist. Nun muß
ein Lebender aber innerhalb der Zeit leben, die nicht existiert,
da sie eine Form des Nichts ist; er, der Lebende, muß also Zeit
erzeugen und sozusagen in sie hineinspringen bis er — unfaßliches
Geschehen — nach vielen Abenteuern stirbt. Wer nun meint, daß
jeder, der stirbt, zum Gespenst wird, der irrt sich. Wer tot
ist, braucht zwar keine Zeit mehr zu erzeugen, er muß jedoch
in einem Raum ausharren, der sowohl eng als auch unendlich ist.
Wer ein Gespenst werden will, muß sich bemühen, in einen weiteren
Raum vorzudringen, der dem, den er als Lebender bewohnte, zwar
ähnlich ist, aber frei von Zeit. Wenige von denen, die es versuchen,
gelangen bis dorthin; wer aber hingelangt, gerät in eine äußerst
beschwerliche Lage; in der Tat erwirbt er den Gebrauch der Dinge
und manchmal sogar der Menschen zurück, mit denen er im Leben
zu tun hatte — freilich einen rein geistigen, abstrakten Gebrauch,
so als wären die lebendigen Dinge jetzt tot und er selbst lebendig,
aber einsam und unerreichbar. Ein Gespenst möchte also zuweilen
aus sich selbst heraus ein anderes Gespenst zeugen, sozusagen
durch Schwangerschaft — wäre da nicht die Tatsache, daß ein Gespenst
kein Geschlecht hat. Es muß in seiner Behausung den Ort wählen,
der in ihm die unerträglichsten Leiden erzeugt; es muß den Ort
erkennen, wo die Einsamkeit untragbar ist, wo die Vergangenheit
es mit unerschöpflichem Groll anstarrt; den Ort wo die lnexistenz
des anderen so stark ist, daß sie zu einer Form der Existenz
gerät. Es muß ins Nichts eindringen — es, die zarte, zerbrechliche,
flüchtige Form — und sich von ihm berühren und befragen, versuchen
und herausfordern lassen und muß — auch wenn dieser Satz für
ein Gespenst unsinnig ist — noch einmal eine Agonie erleiden.
Und schließlich, ganz selten, geschieht es dann zuweilen, daß
aus Gliedern Glieder wachsen, aus dem Licht ein Lichtschein sich
löst und davonhuscht; und das Gespenst, ganz erschöpft, muß ihm
folgen und ihn — da sie sich nicht berühren können — durch ein
Gleichmaß von Liebe und Gleichgültigkeit zurückhalten: dann wird
man vielleicht, wenn man nicht hinhört, an dieser Stätte der
Trübsal eine leise Unterhaltung vernehmen. - (
pill
)
Gespenst (4) EIN GESPENST Es war ein Abend meines siebenten oder achten Jahres vor unserer babelsberger Sommerwohnung. Eins unserer Mädchen steht noch eine Weile am Gittertor, das auf ich weiß nicht welche Allee herausführt. Der große Garten, in dessen verwilderten Randgebieten ich mich herumgetrieben habe, hat sich schon für mich geschlossen. Es ist Zeit zum Zubettgehn geworden. Vielleicht habe ich mich an meinem Lieblingsspiel ersättigt und irgendwo am Drahtzaun im Gestrüpp mit Gummibolzen meiner Heurekapistole nach den hölzernen Vögeln gezielt, die von dem Anprall des Geschosses aus der Scheibe fielen, wo sie, in das gemalte Blattwerk eingelassen, saßen.
Den ganzen Tag hatte ich ein Geheimnis für mich behalten — nämlich den Traum der letztvergangnen Nacht. Mir war darinnen ein Gespenst erschienen. Den Ort, an dem es sich zu schaffen machte, hätte ich schwerlich schildern können. Doch hatte er mit einem Ähnlichkeit, der mir bekannt war, wenn auch unzugänglich. Das war im Zimmer, wo die Eltern schliefen, eine Ecke, die ein verschoßner violetter Vorhang von Plüsch verkleidete, und hinter ihm hingen die Morgenröcke meiner Mutter. Das Dunkel hinter der Portiere war unergründlich: der Winkel das verrufene Pendant des Paradieses, das sich mit dem Wäscheschrank der Mutter eröffnete. Dessen Bretter, an denen, blaugestickt auf weißen Borten, ein Text aus Schillers »Glocke« sich entlangzog, trugen gestapelt Bett- und Wirtschaftswäsche, Laken, Bezüge, Tischtücher, Servietten. Lavendelduft kam aus den prallen, seidnen Sachets, die über dem gefältelten Bezug der Innenwand der beiden Spindentüren baumelten. Derart war der alte, geheimnisvolle Wirk- und Webezauber, der einst im Spinnrad seinen Ort besessen, in Hölle und Himmelreich aufgeteilt. Der Traum nun war aus jener: ein Gespenst, das sich an einem hölzernen Gestell zu schaffen machte, von dem Seiden hingen. Diese Seiden stahl das Gespenst. Es raffte sie nicht an sich, trug sie auch nicht fort; es tat mit ihnen und an ihnen eigentlich nichts. Und dennoch wußte ich: es stahl sie; wie in Sagen die Leute, die von einem Geistermahl Zeuge werden, von diesen Geistern, ohne sie doch essend oder trinkend zu gewahren, erkennen, daß sie eine Mahlzeit halten. Dieser Traum war es, den ich für mich behalten hatte.
In der Nacht, welche auf ihn folgte, bemerkte ich zu ungewohnter
Stunde — und es war als schiebe sich in den vorigen Traum ein
zweiter ein — die Eltern in mein Zimmer treten. Daß sie sich
bei mir einschlossen, sah ich bereits nicht mehr. Am andern Morgen,
als ich erwachte, gab es nichts zum Frühstück. Die Wohnung, soviel
begriff ich, war ausgeraubt worden. Mittags kamen Verwandte mit
dem Nötigsten. Eine vielköpfige Verbrecherbande habe bei Nacht
sich eingeschlichen. Und ein Glück, erklärte man, daß das Geräusch
im Haus auf ihre Stärke hätte schließen lassen. Bis gegen Morgen
habe der gefährliche Besuch gedauert. Vergebens hätten die Eltern
hinter meinem Fenster die Dämmerung erwartet, in der Hoffnung,
Signale nach der Straße tun zu können. Ich sollte in der Sache
zu Worte kommen. Aber über das Verhalten des Dienstmädchens,
das abends vor dem Gittertor gestanden hatte, wußte ich nichts.
Und was ich Besseres zu wissen glaubte — meinen Traum — verschwieg
ich. - (
ben2
)
Gespenst (5) Cosmo Topper, ein solider mittlerer Bankangestellter, verheiratet, kinderlos, in einem kleinen amerikanischen Städtchen lebend, hat eigentlich alles, was man zum bequemen Leben braucht. Aber er langweilt sich. Seine Frau lebt nur ihren sorgsam gehätschelten Wehwehchen, und Topper pendelt zwischen Schreibtischstuhl und abendlichem Lehnsessel.
Eines Tages sieht Topper bei einem Autohändler einen flotten kleinen Sportwagen. Es ist ein Unfallauto. Die Besitzer, Marion und George Kerby, waren das lebenslustigste junge Ehepaar der Stadt, stets zu tollen Streichen aufgelegt — bis George, alkoholisiert, eines Nachts das Auto gegen einen Baum setzt und beide zu Tode kommen. Der Wagen übt auf Topper eine unheilvolle Faszination aus. Heimlich lernt er fahren und erwirbt das reparierte Gefährt, nicht ahnend, daß er damit auch die recht munteren Gespenster von Marion und George an sich bindet.
Auf der ersten Fahrt an jenem schicksalsvollen Baum vorbei macht er ihre Bekanntschaft und erliegt schon bald Marions noch immer heftig wirksamen Verführungskünsten und Georges Neigung zum angewandten Unfug. Auf allerlei gemeinsamen Autofahrten nimmt das Unheil seinen Lauf. Die Kerbys leben noch ein wenig — in einem Zwischenreich, das sie nicht verlassen mögen. Zumeist unsichtbar, können sie sich jedoch zeitweise auch materialisieren, was bei anderen Leuten, die zum Beispiel ein leeres Auto mit dem unsichtbaren George am Steuer vorbeifahren sehen oder Topper, scheinbar ganz solo, ein munteres, dreistimmiges Gespräch führen hören, zu großer Bestürzung führt.
Die Hauptpersonen
Cosmo Topper |
grundsolider amerikanischer Bankangestellter in mittleren Jahren, in dem unter allem Spießertum doch noch ein Funke vom alten Pioniergeist glüht |
Mrs. Topper |
seine Frau, die ihren Wehwehchen lebt |
Marion Kerby |
eine mehr als flotte junge Dame, leider kürzlich verstorben, dadurch aber kaum an den Freuden des Daseins gehindert |
George Kerby |
ihr ebenfalls dahingeschiedener Gatte, eifersüchtig wie Othello und dem Alkohol auch in vergeistigter Form innig zugeneigt |
Der Colonel |
vernünftiges, älteres Gespenst, das seine jetzige Existenz nach Kräften genießt; neigt zu Streichen, wenn angeheitert |
Mrs. Hart |
die Geliebte des Colonels, eine Frau, die auch in entmaterialisiertem Zustand nichts anbrennen läßt |
Oscar |
Mrs. Harts Hund, ein Tier, das sich verzweifelt, aber zumeist vergeblich abmüht, mehr als seinen zottigen Schweif vor der Welt sichtbar zu machen |
- Waschzettel zu: Thorne
Smith, Topper. Frankfurt am Main 1986 (Fischer, Bibliothek
der phantastischen Abenteuer, zuerst 1926)
Gespenst (6) Cosmo Topper, seit seinen Abenteuern mit den Gespenstern ein veränderter und erheblich munterer Mann, hat sich in den Ruhestand versetzen lassen und mit seiner Frau eine längere Reise an die Riviera unternommen. Leider hat die günstige Entwicklung bei Mrs. Topper nicht angehalten, und sie lebt mehr denn je ihren Wehwehchen und ihrer gesellschaftlichen Stellung.
Die erholsame Beschaulichkeit in der gemieteten Villa ist jedoch zu Ende, als in Toppers Badewanne erst ein einzelner Fuß, gefolgt von einem kopflosen Gebiß, auftaucht und dann Marion und George Kerby sowie der Colonel, Mrs. Hart und der Hund Oscar erscheinen. Sie sind Topper über den Ozean gefolgt und mehr denn je darauf aus, etwas zu erleben. Zunächst verwirren sie die hübschen französischen Hausmädchen, dann die Ladeninhaber des Ortes und die harmlosen Gäste einer englischen Bar. Schließlich entwenden sie ein Taxi, um Topper nach Hause zu fahren. Die Gendarmerie greift ein, weil ein fahrerloses Taxi nicht gestattet ist, entschuldigt sich bei Topper für diese Übergriffe eines französischen Automobils und verhaftet das Gefährt.
Topper genießt diese phantastische Entwicklung, zieht zu den Geistern ins Hotel Splendide, wo diese leerstehende Zimmer okkupiert haben, und wird von ihnen in allerhand Unfug hineingezogen. George Kerby reist mit einer reichen südamerikanischen Witwe auf deren Jacht ab, so daß Topper Marion für sich hat. Mit gespenstischen Tricks gewinnt der sonst unsportliche Topper ein Tennismatch und viel Geld beim Pferderennen. Dann freilich wird der Boden wieder einmal zu heiß und man begibt sich eilig nach Monte Carlo. Auch dort benehmen sich die Gespenster im Casino nicht comme il faut, und man schiebt die ganze Truppe wieder nach Frankreich ab. In einem Dorfgasthof finden sie Zuflucht, und Topper verlebt mit Marion herrliche Tage.
Die Hauptpersonen
Cosmo Topper |
amerikanischer Bankangestellter im Ruhestand, wesentlich weniger solide als früher, dafür den schönen Dingen des Lebens auf das Liebenswerteste aufgeschlossen |
Mrs. Topper |
seine grämliche, spießige und hypochondrische Ehefrau |
Marion Kerby |
seine gespenstische Geliebte, die ihn bis an die Riviera verfolgt, um ihm dort die tollsten Streiche zu spielen |
George Kerby |
ihr nichtsnutziger verstorbener Mann, eine unmoralische und minderwertige spirituelle Erscheinung |
Der Colonel |
nicht mehr so vernünftig wie ehedem, weil dem Spielteufel verfallen, trotzdem jedoch ein gutherziger Geist |
Mrs. Hart |
seine Mätresse, eine vergnügte Erotomanin, die sich in kritischen Momenten in Luft auflöst |
Oscar |
ihr Hund, dem es endlich gelingt, sich wenigstens zeitweise im vollen Pelzwerk zu materialisieren |
- Waschzettel zu: Thorne
Smith, Topper geht auf Reisen. Frankfurt am Main 1986 (Fischer,
Bibliothek der phantastischen Abenteuer, zuerst 1932)
Gespenst (7) Es schrieb ein Pfarrherr
M. Georgen Rörer gen Wittenberg, wie ein Weib
auf einem Dorf gestorben wäre, und nun, weil sie begraben, fresse
sie sich selbst im Grabe, darum wären schier alle Menschen im
selben Dorf gestorben. Und bat, er wolle D. Martin fragen,
was er dazu riethe. Der sprach: »Das ist des Teufels Betrügerei
und Bosheit; wenn sie es nicht gläubeten, so schadete es ihnen
nicht, und hieltens gewiß für nichts anders, denn für des Teufels
Gespenst. Aber weil sie so abergläubisch
wären, so stürben sie nur immerdar je mehr dahin. Und wenn man
solchs wüßte, sollt man die Leute nicht so freventlich ins Grab
werfen, sondern sagen: Da friß, Teufel, da hast du Gesalzens!
Du betreugest uns nicht!« - Martin
Luther
,
Tischrede Nr. 6823, nach (
vamp
)
Gespenst (8) Ein Gespenst geht um in Europa — das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.
Wo ist die Oppositionspartei, die nicht von ihren regierenden Gegnern als kommunistisch verschrien worden wäre, wo die Oppositionspartei, die den fortgeschritteneren Oppositionsleuten sowohl wie ihren reaktionären Gegnern den brandmarkenden Vorwurf des Kommunismus nicht zurückgeschleudert hätte?
Zweierlei geht aus dieser Tatsache hervor.
Der Kommunismus wird bereits von allen europäischen Mächten
als eine Macht anerkannt. - Karl
Marx, Friedrich Engels 1848
Gespenst (9) Mit der großen Liebe
geht es wie mit den Geistererscheinungen:
alle reden davon, aber niemand hat sie gesehen. -
(
lar
)
Gespenst (10) Einer von meinen
Jugendfreunden, der in H. studierte, reiste auf dem Postwagen
nach Berlin und war, wie es bei dem langweiligen Fuhrwerk und
im Sande leicht möglich ist, sanft eingeschlafen.
Als er wieder erwachte, war es finstre Nacht; allein er sah ganz
deutlich eine lange Riesengestalt neben dem Wagen hergehen. Sie
war durchaus leuchtend und verbreitete einen matten Schein um
sich her. Von Zeit zu Zeit schien sie sich in andre Formen zu
verwandeln; bald schwebte sie einige
Schritte weit voran, bald trat sie drohend näher, all wollte
sie einsteigen und neben den Passagieren Platz nehmen. Mein Freund
- er war ein Mediziner - wußte nicht, was er von der Sache denken
sollte. Die Herren von der Fakultät pflegen sich bekanntermaßen
an die handgreifliche, sichtbare Natur zu halten und vor dem
Reiche der Geister keinen Respekt zu haben; in den anatomischen
Heften seines Professors stand auch keine Silbe von dem zarten
Lichtkörper, Evestrum genannt, der nach dem Tode übrigbleibt
und des immateriellen Geistes Hülle werden kann, wie davon weiland
Herr Crusius ingleichen mancher hochwürdige Schüler des
erleuchteten Rosicrucius des breiten nachzulesen sind.
Inzwischen machte ihn die Erscheinung doch ein wenig irre; er
rieb sich etlichemal die Augen und sah nur immer deutlicher und
gewisser den furchtbaren Schatten
einherschreiten, der vielleicht gar um seines Unglaubens willen
nichts Gutes mit ihm im Sinne hatte. Dieser Gedanke tat Wunder;
der junge Mann hatte Mut und faßte auf der Stelle den Entschluß,
dem Feinde zuvorzukommen; oder — daß ich seiner Vernunft nicht
Unrecht tue - er schämte sich der ersten Anwandlung eines unphilosophischen
Zweifels und wollte durch ein entscheidendes Experiment das Gespenst
auf die Probe stellen und sich selbst bestrafen. Im Augenblick
war sein Degen, den er zwischen den Füßen hielt, aus der Scheide;
und als der leuchtende Bewohner der Unterwelt wieder in den Wagen
guckte, führte unser Held einen mächtigen Hieb, der ohne Widerstand
mitten durch den Lichtkörper, wie Diomedes' Schwert durch
einen Olympier oder Bonnets Schere durch einen Polypen,
fuhr und, außer einem leisen Knistern, weiter keine Wirkung nach
sich zog. Trotziger als je wandelte der schaurige Drache neben
dem Wagen. - Georg Forster, Parisische Umrisse (entst.
1794). In: G. F., Schriften zu Natur, Kunst, Politik. Reinbek
bei Hamburg 1971 (rk 540)
Gespenst (11) Die in dem superklugen,
verflossenen Jahrhundert, allen früheren zum Trotz, überall,
nicht sowohl gebannten, als geächteten Gespenster sind, wie schon
vorher die Magie, während dieser letzten
25 Jahre, in Deutschland rehabilitirt worden. Vielleicht nicht
mit Unrecht. Denn die Beweise gegen ihre Existenz waren theils
metaphysische, die, als solche, auf unsicherm Grunde standen;
theils empirische, die doch nur bewiesen, daß, in den Fällen,
wo keine zufällige, oder absichtlich veranstaltete Täuschung
aufgedeckt worden war, auch nichts vorhanden gewesen sei, was
mittelst Reflexion der Lichtstrahlen, auf die Retina [Netzhaut],
oder, mittelst Vibration der Luft, auf das Tympanum [Trommelfell]
hätte wirken können. Dies spricht jedoch bloß gegen die Anwesenheit
von Körpern, deren Gegenwart aber auch
niemand behauptet hatte, ja deren Kundgebung, auf die besagte
physische Weise, die Wahrheit einer Geistererscheinung
aufheben würde. Denn eigentlich liegt schon im Begriff eines
Geistes, daß seine Gegenwart uns auf ganz anderm Wege kund wird,
als die eines Körpers. Was ein Geisterseher, der sich selbst
recht verstände und auszudrücken wüßte, behaupten würde, ist
bloß die Anwesenheit eines Bildes in seinem
anschauenden Intellekt, vollkommen ununterscheidbar von dem,
welches, unter Vermittelung des Lichtes und seiner Augen, daselbst
von Körpern veranlaßt wird, und dennoch ohne wirkliche Gegenwart
solcher Körper; desgleichen, in Hinsicht auf das hörbar Gegenwärtige,
Geräusche, Töne und Laute, ganz und gar gleich den durch vibrirende
Körper und Luft in seinem Ohr hervorgebrachten, doch ohne die
Anwesenheit oder Bewegung solcher Körper. - (
schop
)
Gespenst (12) »Es passierte nicht lange, nachdem du gegangen warst und kurz bevor die Polizei rüberkam und die Kanone in meinem Apartment fand. Da sah ich das Gespenst. Es stand im Flur an der Treppe und war dann einfach verschwunden.«
»Schön, dann hab ich zwei Fragen an dich: Nummer eins lautet, warum haben die Bullen das Gespenst nicht gesehen? Und Nummer zwei ist, hattest du getrunken?« Eigentlich wußte ich die Antwort auf die zweite Frage. Es war dieselbe Antwort wie bei der Frage: »Furzen Fische unter Wasser?«
»Die Bullen haben das Gespenst vermutlich nicht gesehen, weil sie in Worthingtons Apartment beschäftigt waren und weil sie an diesem speziellen Gespenst nicht interessiert waren.«
»Versteh schon. War das Gespenst irgendwer Bekanntes?« Es begann recht nett zu werden.
»Ja, na klar. Das ist doch gerade das Komische. Ich hatte etwas getrunken, du verstehst, aber so betrunken ich auch sein mag, ich hab noch nie ein Gespenst gesehen und will auch nie wieder eins sehen, das kann ich dir sagen.«
»Aber, McGovern, woher zum Teufel, hast du gewußt, daß es ein Gespenst war? Das ist hier nicht The Twilight Zone. Ich muß nicht die ganze Nacht da rumstehen und mir so einen Scheiß anhören. Woher weißt du, daß es nicht jemand aus dem Haus war, der sich eine Pizza holen wollte?«
»Weil ich, während die Bullen im andern Apartment mit Frank Worthingtons Leiche beschäftigt waren, das Gespenst im Flur gesehen hab. Es kam direkt auf mich zu ... Es trug eine Blume . . . Ich weiß, das klingt verrückt . . . du haßt mich deswegen . . .«
»Keine Angst.« Wie könnte man einen großen, stattlichen Iren hassen, dessen Gehirn sich langsam in Götterspeise verwandelte? »Nun erzähl mir noch, woran du erkannt hast, daß das, was du gesehen hast, ein verdammtes Gespenst war.«
»Weil ich wußte, wer es war.«
»Wer denn? Wer war das Gespenst?« Ich begann, mich selbst ein bißchen unbehaglich zu fühlen.
»Es war Frank Worthington«, sagte er. »Ich sah Frank Worthingtons Gespenst
im Flur, nachdem er ermordet worden war.« -
Kinky Friedman, Greenwich Killing Time. Zürich 1992 (zuerst 1986)
Gespenst (13) Papa, ein U-Bahn-Reiniger aus Ghana,
den ich während meiner nächtlichen Streifzüge kennen lernte, erzählte mir, dass
er die jungen Partybesucher und Vergnügungssüchtigen, die jede Nacht an ihm
vorbeihasten, als "Aborigines" betrachtet. Er vermutet, dass sie zu
einer anderen Zivilisation gehören. In seinen Augen macht ihre Eile sie körperlos.
Ausgehöhlte Männer und Frauen. "Sie sind Gespenster", sagt er. "Tote
Geister." -
Sukhdev
Sandhu
Gespenst (14) Hauchdünn, unsichtbar, unbeständig
erwache ich, ein hinfälliges Gespenst, unsichtbar
für jeden, unsichtbar für mich selbst. Keine Formen zeichnen sich auf meiner
Bettdecke ab. Kein Atemhauch ist in mir, nichts fasse ich, nichts kann mich
fassen, wenn ich hin und her schwanke, aber ich habe nicht im Sinn, meinen Aufenthalt
in diesem Ruhebett zu unterbrechen. Nichts erinnert mich daran, je ein Leben
verbracht zu haben, wahrscheinlich bin ich nie gestorben, und somit bilden die
Gespenster wohl eine Gattung für sich, deren Eigenschaften und Wesenszüge dergestalt
sind, daß sie sich nicht zu Studienzwecken eignen; aber im übrigen nicht viel
anders sind als Hummer, Seebarsche, Vulkane auf dem Mond oder Algen an verendeten
Walen. Obwohl ich nicht tot bin, würde ich es nicht wagen, mich als lebendig
zu bezeichnen, denn einige peinlich genaue Unterschiede grenzen mich von jeglichem
Wesen ab, das den Flaum des Daseins genießt. Mein ist der bleiche Schimmer der
Liebelosigkeit, die Unmöglichkeit, die Zeit zu berechnen, denn ich liege in
keinerlei Zeit, ein Fortdauern, das nicht zur Vervielfältigung seiner selbst
neigt, das Fehlen verwandtschaftlichen Verweilens, die Gleichgültigkeit dem
Kommen und Gehen gegenüber; ich habe weder Blut, noch Geschlecht, noch greisenhafte
Jugend; ich sterbe nicht, obwohl ich in erster Linie eine Versuchung zum Sterben,
eine feine Ausübung des Nichtdaseins bin. Wäre ich je lebendig gewesen, so wäre
ich jetzt tot; aber lebendig war ich nie, also wird mein jetziger Zustand ewig
dauern, unaufbrauchbar nicht aus Beharrlichkeit, sondern weil er überhaupt nichts
Aufbrauchbares enthält. Um mich stehen Geisterbeschwörer, Zauberer,
Kenner des Karmas, Seher, Spiritisten, Priester, Teufelsaustreiber; sie spüren,
daß etwas da ist, das trotzdem kein Dasein hat, und sie wollen lachhafterweise,
daß es sich entweder gänzlich als etwas Lebendiges enthülle, oder gänzlich zerfalle.
Zerfallen bin ich schon, enthüllt auch, aber nicht für die Augen der Nekrophilen.
Daß mir das Leben fehlt, bringt sie aus der Fassung. Vor meinem Zerfall
graut ihnen. Meine geduldige Verweigerung jedweden Gesprächs halten sie für
rüpelhaft; wenn der Teufelsaustreiber die Macht eines Dämons heraufbeschwört,
werde ich vielleicht von einem Nichts ins andere geblasen, und der Dämon spricht
nicht; er gehört zu einer anderen Gattung, die ebenfalls keinen Umgang mit dem
Leben pflegt, nicht existiert, obwohl ich imstande bin, sie zu erkennen. Wir
könnten uns gegenseitig wissenschaftlich untersuchen, aber unsere ärmliche und
hastige Doktrin gönnt uns keine Ruhe. Dämonen und Gespenster sind eine Wissenschaft,
aber sie gehört zu keinem Wissen. Auch die Engel? Die
Engel - umgestülpte Dämonen.
Keiner von uns hat eine Autobiographie. - Giorgio Manganelli, Kometinnen
und andere Abschweifungen. Berlin 1997 (zuerst 1996)
Gespenst (15) Ringsum war ein dauerndes Rascheln
und Trampeln und dies in allernächster Nähe, so daß ich mich einmal schleunigst
hinter der Ecke eines Turms oder eines Pavillons, den es dort gab, zurückziehen
mußte. Immerhin konnte ich von da aus die fahle Rückfront der Villa und, ein
wenig schräg vor mir, ein regungsloses Gespenst neben
einem großen Busch sehen, der fast vor der hinteren
Fassade stand. Doch auf einmal zeigte sich an einem der Fenster eine helle Gestalt,
die etwas schwenkte, wohl ein Gewehr, und zu der, mit einem Ausruf, gleich eine
andere hinzukam, die sie anscheinend zurückhalten wollte. Die erste schrie erregt
«Laß mich, laß mich!», und aus der Waffe löste sich ein Schuß in Richtung Gespenst,
wie am Feuer zu erkennen war. Doch daraufhin erfolgte nichts von dem,
was ich eigentlich erwartet hätte: kein Schrei und auch keinerlei Reaktion des
Getroffenen. Die weiße Gestalt blieb, wo sie war, und sackte auch nicht zusammen.
Ganz offenbar, was ich gleich feststellen sollte und mir ohnehin schon gedacht
hatte, war das Gespenst, als es die Waffe auf sich gerichtet sah, Hals über
Kopf durchs Gebüsch geflüchtet, wobei sein Linnen zurückblieb. So kam ich schließlich,
mich dabei an die erforderliche Vorsicht haltend, doch noch zu meinem ersehnten
Laken; ziemlich durchlöchert, denn es war
ja von Kugeln durchbohrt, doch bestens für den Zweck geeignet.
Und damit konnte ich, wenn auch nur vorübergehend, in das Haus
und in das Leben dieser Menschen eintreten. - Tommaso Landolfi, Nachtschatten,
nach (
land
)
Gespenst (16)
- Victor Hugo
Gespenst (17)
Die junge Frau wird vom Geist eines Ritters beobachtet
- (
hoe
)
Gespenst (18)
Gewöhnlich kommt es, wenn die Lichter brennen. Von Zeit zu Zeit scheint es umherzurennen Es ist beschäftigt in der Gängelschwemme Mit schrillen Glocken kugelt es im Staube. |
- Hugo Ball, nach: 113 DADA Gedichte. Hg. Karl Riha. Berlin
1982
Gespenst (19) In einem Universitätsgebäude in Coventry glaubte ein Ingenieur, der während der Nacht allein im Labor arbeitete, plötzlich eine Gestalt vorbeihuschen zu sehen. Nachdem das gleiche Phänomen in der folgenden Nacht wieder auftrat, versuchte er den Grund herauszufinden. Schließlich kam der Wissenschaftler der Ursache auf die Spur: ein Ventilator in der Wand sendete unhörbaren Infraschall mit einer Frequenz von 18 Hz aus, der den Augapfel in Schwingungen versetzte und dem Gehirn dadurch falsche Informationen zukommen ließ. - Wikipedia
Gespenst (20) Gilbert Ryles
Hauptwerk The Concept of Mind ( „Der Begriff des Geistes“) wurde 1949 veröffentlicht.
In ihm wird die These entwickelt, dass die Philosophie seit René Descartes
von dem Mythos eines „Gespenst in der Maschine“ gefangen sei. Damit meinte Ryle
die Vorstellung, nach der der Geist als vom physischen Körper verschieden gedacht
wird. Dies führt laut Ryle zu unüberwindlichen Schwierigkeiten: niemand könnte
wissen, ob in einem anderen auch ein Geist vorhanden ist. Es wäre auch nicht
verständlich, wie ein immaterieller Geist mit einer materiellen Umwelt interagieren
sollte. Schließlich ist nicht klar, wie ein nicht-räumlicher Geist sich in einem
körperlichen (also räumlichen) Objekt befinden könnte. -
Wikipedia
Gespenst (21)
DAS GESPENST Wie weiß der Sommer ist! Wie Menschenlachen, Ich folge dir stets ohne mich zu wenden. — Versprich, daß du mich morgen nicht mehr kennst! |
Gespenst (22)
Gewöhnlich kommt es, wenn die Lichter brennen. Von Zeit zu Zeit scheint es umherzurennen Es ist beschäftigt in der Gängelschwemme Mit schrillen Glocken kugelt es im Staube. |
- Hugo Ball, nach: Anthologie der Abseitigen. Hg. Carola Giedion-Welcker.
Frankfurt am Main 1990
Gespenst (23) Wieland hängte an der Tür ein Beutelchen voll Blitzlichtpulver auf, zündete die Lunte an und setzte sich hurtig an den Schreibtisch. Im Moment des dumpfen Blitzlicht-Platzens neigte er sich beflissen über die Schreibmaschine, die aus der Anwaltskanzlei seines Vaters stammte.
»Hingegeben der Arbeit, so sehe ich darauf aus«, sagte Wieland drei Tage
später und deutete aufs entwickelte Bild. Darauf war er im dunkeln Anzug mit
Krawatte zu sehen, und kaum merklich schien der Stuhl, auf dem er saß, durch
seinen Leib. Das Blitzlicht hatte ihn zum Geist verändert (sozusagen), weil
das Licht der glimmenden Lunte, bevor er sich hinsetzen konnte, die Umrisse
des Zimmers auf die Platte gebannt hatte. - Hermann Lenz, Seltsamer Abschied. Frankfurt
am Main 1990
Gespenst (24) Alarmierend ist, was
dem Gespenst meines Herrn Vaters zustößt. Ich nenne ihn so, obgleich ich füglich
Zweifel hege, daß dieser Dampf in Uniform mein Erzeuger sei. Ihr wißt, er ist
nichts weiter als ein Gespenst; ein poveres Ding, ein Nicht-Ding, ein Atem,
der sich an den Nüstern der Zuggäule im Winter niederschlägt. Und wie ist er
dennoch hartnäckig, listig und verfänglich. Vor zwei Tagen ging ich, kurz nach
meinem Tod, um ihn in den Festungswällen des Schlosses zu suchen; und sieh da,
ich entdeckte seinen ehrwürdigen Leuchtkreis, der an einer Zinne lehnte: und
er beugte sich vor, als wolle er die Finsternis erforschen. Langsam, behutsam,
wie es einem kürzlich Verstorbenen gebührt, trat ich näher. Er schien mich nicht
zu hören. Welch langer Augenblick der Enthüllung! Mein Vater, das sind keine
Hirngespinste, leuchtete auf und verlosch abwechselnd, wie man mir von gewissen
Tiefseefischen berichtete, mit einem, wie mir schien, unregelmäßigen Rhythmus;
ich verharrte, verdutzt zuerst, dann verstört. Denn es bestand kein Zweifel:
der lasterhafte Alte modulierte aus seinem eigenen unglückseligen Licht Signale
in den Raum! Ich schärfte meinen Blick, aber es gelang mir nicht, etwas zu entdecken
jenseits der großen tagtäglichen Nacht. Leise zog ich mich zurück. Der Papa
kam zur gewohnten Stunde zum Abendbrot herunter, aber er schien in gewisser
Weise schwächer, beklommen, abgewetzt; in seinen Augen saß jedoch ein Zeichen
von Boshaftigkeit, von Tücke, vielleicht ein Lachausbruch, und er ging so weit,
mit meiner Mutter zu witzeln, mit der er für gewöhnlich recht herbe Beziehungen
unterhält. Der Entschluß, Euch zu schreiben, wurde vor allem durch diese Signale
meines Vaters beschleunigt, da ich den Verdacht hege, daß der alte Maulwurf,
der lasterhafte Ränkeschmied irgendeine böse Verschwörung
im Sinn habe, von der ich nichts weiß, die aber nichts Gutes verheißt, wenn
sie diese blutleeren Lippen zu traurigem Lächeln bewegt. Es liegt eine Neigung
zum Spiel und Spott in ihm, und er schreckt auch nicht zurück vor den schmierenhaftesten
Schaustellungen. Ich bin sicher, während unserer formellen Zwiegespräche einen
Anflug von Ärger bemerkt zu haben, eine grollende Ungeduld, wenn er mich als
Sohn behandelt; als wäre dies ein Schwank, eine Burleske, der man rasch ein
Ende setzen müsse. Daher denn ich folgendermaßen überlege: wenn mein Vater Signale
gibt, dann verständigt er sich mit jemandem; dieser mag entweder lebendig oder
ein Gespenst sein; einer von uns, sofern er lebendig ist; aus anderen Welten,
wenn es sich um ein Gespenst handelt. Gibt es also andere Welten,
die fähig sind, meinem durchschreitbaren Vorfahren Gesprächspartner zu liefern?
Oder geht in der Nacht etwas vor sich, von dem wir keine Anzeichen haben, seufzt
aus den obersten oder untersten Räumen ein Todeshauch oder Hauch neuen und uns
fremden und unverträglichen Lebens; machen neue Ungeheuer sich bereit, unseren
Platz einzunehmen? Wird dann aber ein Gespenst, nicht mehr als bereits verbrauchter
Lebensrest, vielmehr wirksameres und tüchtigeres Zeichen neuen Lebens sein,
das sich dümmlicherweise selbst gebiert? Ich fühle mich als edles Gespenst,
als Einhorn gegenüber diesem ehrlosen Verblichenen, dieser kolorierten Seele,
die undurchbohrbar, ewig, bereits jemandem von seiner eigenen Rasse zuzwinkert.
Kommen denn die Gespenster uns aus der Zukunft zu?
- Hamlet an die Prinzessin von Clève, nach: Giorgio Manganelli,
An künftige Götter. Berlin 1983
Gespenst (25) Die Mattigkeit überkommt mich unerwartet. Wenn das Universum ein einziges unendliches Gespenst wäre, wenn das Nichtsehen, das ich jetzt erprobe, nichts anderes wäre als ein Gespensterleben zu leben, wenn es schließlich zwischen Gespenst und Gespenst keine Lücke, keinen Abstand, keinen Zwischenraum gäbe, so daß ein aschgrauer Zipfel, ein Fetz-chen Gespenst zu sein nichts anderes wäre als die unendlich repetitive Totalität jenes Gespensts zu sein, das ihr die Welt nennt, wenn schließlich alles schon gestorben wäre - verzehrt und dennoch ewig als irreduzible Verzehrung -, wäre es dann nicht ratsam, oder schlimmer: günstig, vorteilhaft, schlau, sich diesem versengten, verkohlten und aschigen Zustand hinzugeben, ohne andere Erinnerung an die Flammen als die der Verliebtheit in die Verzehrung? In meinem Inneren stößt die antike Fledermaus einen gellenden Schrei aus und ich spüre, wie ihre Zähne meine inwendigen Fleischwände bearbeiten. In mir tätowiert trage ich das Zeichen meiner eigenen Unfähigkeit, mich zu verzehren, ich bin zwiefach, und mein Innerstes, das mich peinigt, nimmt den ewigen Waffenstillstand der Gespenster nicht an. Die Drachen brüllen in meiner Hand und in meiner Kehle rennen die Kröten auf und ab. Jemand sammelt Ziegelsteine, um in meinem rechten Bein den Grundriß einer Stadt zu simulieren, Lampions werden angezündet an der Stelle, wo einst mein Zwerchfell war - jetzt Reiseziel innerer Touristen in Gestalt winziger Reptilien.
Freudig erkenne ich mich vom Bösen bewohnt, ein rennendes Lazarett, ein rasendes
Leprosorium, ein davonstürzendes Siechenhaus, eine teratologische Versammlung
- Kummer der Theologen und lustvolle Qual der Religionsgeschichtler. Wer wird
mein munteres rattenzerfressenes Lumpentrüppchen in ein Gespenst verwandeln?
Der Dunst umschließt mich, aus meinem geöffneten Mund strömt Licht, ich stürze
in den bodenlosen Ort, fliege, werde Komet. - (
hoelle
)
Gespenst (26) Heute würden wir sagen, der Schriftsteller war jahrhundertelang ein abhängiger Arbeiten gewesen, wenn nicht gar ein Parasit der Gesellschaft: Mit Einfuhrung des Urheberrechts wurde er zu einem >selbständigen Arbeite< und gelangte in den Besitz einer gesetzlichen Handhabe, die seine Arbeit quantifizierbar machte und ihm erlaubte, seine >Produkte< zu verkaufen anstatt seine >Dienste< anzubieten.
Die Gesellschaft aber war noch nicht bereit, den Handel mit Produkten intellektueller Arbeit zu akzeptieren, und betrachtete diese Art von >Produzenten< als Fremdkörper: sie fand weder eine angemessene Stellung für sie noch einen Markt für ihre Produkte. Mit dieser historischen Wende in der gesellschaftlichen Stellung des Schriftstellers beginnt paradoxerweise seine Laufbahn als >Gespenst<. Der Schriftste!ler als Gespenst entsteht paradoxerweise durch einen Gesetzesakt, eine ökonomische Verfügung, ein konkretes, strahlendes und schallendes Gesetz, wie Pinocchio sagen würde.
Hier beginnt man zu verstehen, daß ein richtiges Gesetz in einer falschen
Gesellschaft genau das Gegenteil dessen bewirken kann, was ursprünglich beabsichtigt
war. Das Recht, eine Ware zu verkaufen, für die sich keine Käufer fan/ den,
begründete und besiegelte die unselige Lage des Schriftstellers in der Gesellschaft.
Nun, wo er keine Gönner mehr besaß und Produzent einer überflüssigen Ware war,
nach der keine Nachfrage bestand, hatte er seinen ehemaligen Status als Diener
verloren, aber keinen neuen errungen: vom Standpunkt der Gesellschaft aus war
er zu einem Gespenst geworden. - (gesp)
Gespenst (27)
Gespenst (28)
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