eselligkeit
Eine Ursache für das Ausbleiben von Ideen ist, daß der
Schreibende sich mit der falschen Art von Menschen umgibt, oder
auch daß überhaupt Leute um ihn herum sind. Natürlich können
Menschen anregend sein, und ein zufälliger
Satz, ein Ansatz zu einer Geschichte können seine Phantasie entzünden.
Meistens aber ist die Ebene geselligen Beisammenseins nicht die
Ebene schöpferischer Einfälle, nicht die Ebene, auf der schöpferische
Ideen entstehen. Es ist schwierig, das eigene Unbewußte wahrzunehmen
oder darauf zu reagieren, wenn man mit einer Gruppe von Menschen
zusammen ist, oder auch nur mit einem einzigen, was aber schon
leichter ist. Das ist im Grunde merkwürdig, denn es kommt vor,
daß gerade die Menschen, die wir gern haben oder lieben, wie
Gummiisolatoren auf den zündenden Funken der Inspiration reagieren.
Man wird mir hoffentlich verzeihen, wenn ich von Bakterien auf
Elektrizität umschwenke, um den kreativen Prozeß zu beschreiben.
Er ist schwer zu beschreiben. Ich möchte auch nicht, daß sich
das, was ich von Menschen und von ihrer Wirkung auf den Schreibenden
sage, irgendwie mystisch anhört; aber es gibt Leute — oft sind
es gerade die wahrscheinlichsten: beschränkt, träge, in jeder
Beziehung mittelmäßig —, die aus irgendeinem unerklärlichen Grunde
stimulierend auf die Phantasie einwirken. Ich kenne viele solche
Leute; und wenn ich kann, suche ich sie gern von Zeit zu Zeit
auf und rede mit ihnen. Es macht mir nichts aus, daß mich andere
vielleicht fragen: »Was in aller Welt findest du nur an X oder
Y?«
- Patricia Highsmith, Suspense
oder Wie man einen Thriller schreibt. Zürich 1990 (zuerst 1966)
Geselligkeit (2) Jener Tick,
den Johnson hatte, sein mehr als
eigenartiges Gefuchtel wird zu Unrecht als krampfartig bezeichnet.
Wenn es sein mußte, konnte er reglos dasitzen, so gut wie irgendwer.
Ursprünglich handelte es sich wohl um die schlechte Gewohnheit,
die er angenommen hatte, seine Gedanken unwillkürlich mit gewissen
Gebärden zu begleiten, und diese wegwerfenden Gebärden kamen
mir immer so vor, als wolle er damit ein Stück seiner Vergangenheit
abschütteln, ein früheres Verhalten mißbilligen. Sobald er nicht
in ein Gespräch verwickelt war, drangen
dergleichen Gedanken auf ihn ein, weshalb ihm jedwede Gesellschaft,
jedwede Beschäftigung lieber war, als sich selbst überlassen
zu sein. Die Hauptangelegenheit seines Lebens war eingestandenermaßen
die Flucht vor sich selbst; diese Veranlagung betrachtete er
als die Krankheit seines Gemüts, gegen die es kein anderes Mittel
gab als Geselligkeit. - (
johns
)
Geselligkeit (3) Eine
Woche mit 4 Abendeinladungen, das ist eine Materialschlacht.
Das bedeutet einerseits, viermal zu Stunden, in denen man nicht
essen mag, Brühe in Tassen, Gebratenes mit Mischgemüse, hinterher
Eis, und andererseits, Unterhaltungen darüber, wer im November
1915 Chef des Stabes beim 15. Reserve-Korps war, und Gespräche
über Verwundungen. Alles Helden, ich gebe es zu, und meine Verehrung
vor ihnen und vor dem Weltkrieg als Ganzen ist uneingeschränkt,
ich bin froh, dazugehört zu haben und wieder dazu zu gehören,
aber es strengt unendlich an. Wer hat überhaupt diese Art der
Geselligkeit erfunden, dass Männer und Frauen nebeneinander sitzen
und gemeinsam essen und dann noch reden müssen, das ist doch
furchtbar; diese Geselligkeit stammt doch sicher von Frauen,
denen die Natur verliehen hat, ohne Unterbrechung zu plappern,
von einem Bild, das ihr Elternhaus vor 50 Jahren darstellt, springen
sie auf einen Hut, an dem noch eine rote Feder fehlt, und dabei
sehen sie unschuldig aus. - Gottfried
Benn
an F.W. Oelze, 14.11. 1938
Geselligkeit (4) Der
geistreiche Mensch wird vor Allem nach Schmerzlosigkeit, Ungehudeltseyn
[Ungeschorensein], Ruhe und Muße streben, folglich ein stilles,
bescheidenes, aber möglichst unangefochtenes Leben suchen und
demgemäß, nach einiger Bekanntschaft mit den sogenannten Menschen,
die Zurückgezogenheit und, bei großem Geiste, sogar die Einsamkeit
wählen. Denn je mehr Einer an sich selber hat, desto weniger
bedarf er von außen und desto weniger auch können die Uebrigen
ihm seyn. Darum führt die Eminenz des Geistes zur Ungeselligkeit.
Ja, wenn die Qualität der Gesellschaft sich durch die Quantität
ersetzen ließe; da wäre es der Mühe werth, sogar in der großen
Welt zu leben: aber leider geben hundert Narren, auf Einem Haufen,
noch keinen gescheuten Mann. — Der vom andern Extrem hingegen
wird, sobald die Noth ihn zu Athem kommen läßt, Kurzweil und
Gesellschaft, um jeden Preis, suchen und mit Allem leicht vorlieb
nehmen, nichts so sehr fliehend, wie sich selbst. Denn in der
Einsamkeit, als wo Jeder auf sich selbst zurückgewiesen ist,
da zeigt sich was er an sich selber hat: da seufzt der Tropf
im Purpur unter der unabwälzbaren Last seiner armsäligen Individualität;
während der Hochbegabte die ödeste Umgebung mit seinen Gedanken
bevölkert und belebt. Daher ist sehr wahr was Seneka sagt:
omnis stultitia laborat fastidio sui [Alle Dummheit leidet an
ihrem eigenen Überdruß]; wie auch Jesus Sirachs
Ausspruch: »Des Narren Leben
ist ärger, denn der Tod.« Demgemäß wird man, im Ganzen, finden,
daß Jeder in dem Maaße gesellig ist, wie er geistig arm und überhaupt
gemein ist. Denn man hat in der Welt nicht viel mehr, als die
Wahl zwischen Einsamkeit und Gemeinheit.
- (
schop
)
Geselligkeit (5) Mit seinesgleichen
lebt das Krokodil in geselligem Einvernehmen,
außer zur Paarungszeit mit gleich großen in Frieden, während es kleineren der
eigenen Art stets gefährlich bleibt, denn wenn sich der Hunger
regt, vergißt es jede Rücksicht. Um andere Tiere bekümmert es sich nur insofern,
als es sich darum handelt, eines von ihnen zu ergreifen und zu verspeisen. -
(
Brehm
)
Geselligkeit (6)
Geselligkeit (7) Von 1432 an existierte in jeder Residenz de Rais' ein Raum, wie ihn sich de Sade nicht grausiger hätte ausmalen können: Dort dienten die letzten Zuckungen Sterbender der Lust. Auch in der riesigen Festung Champtocé war ein solches Zimmer dem Entsetzen reserviert. War sein Großvater hier vielleicht gestorben? Vielleicht auch in der Nähe? Im Todesjahr dieses Großvaters begannen die Morde. Von Anfang an gab sich Gilles der Wollust im Kreise seiner Kumpanen hin. Der Verlauf war so, daß er eigenhändig tötete, wenn er den Wunsch danach hatte. Wenn es ihm besser paßte, wandte er sich an Guillaume de Sille oder an Roger de Briqueville, seine Spießgesellen und Vettern, die aus adligen vom Krieg ruinierten Familien stammten. Gilles tötete oft eigenhändig in Gegenwart von Sille und Briqueville, aber wenn es sein mußte, legte einer der Haudegen Hand ans Werk. Alle lebten auf Kosten des Meisters; der Meister zahlte, aber erst verschafften sie ihm, was er wünschte.
Zu Beginn gab sich die Gesellschaft der Völlerei hin; man stopfte sich mit Delikatessen voll und schüttete starke Getränke in sich hinein — aber niemals, scheint es, ließen die dienstbaren Geister Gilles allein in der Einsamkeit des Blutes.
Nach 1432 wurde Champtocé wahrscheinlich nur wenig benutzt. Sehr bald traten
das Haus von La Suze in Nantes und die Schlösser Tiffauges und Machecoul an
seine Stelle. Später wechselten auch die Teilnehmer an diesen Festen; andere
drangen in die Geheimnisse ein. Augenscheinlich gab es da zunächst Kirchensänger:
André Buchet aus Vannes, Jean Rossignol aus La Röche. Sie hatten zweifellos
Engelsstimmen und waren homosexuell, Gilles machte sie zu Chorherren in Saint-Hilaire-de-Poitiers.
Weiterhin waren da Hicquet de Bremont und Robin de Romulart (oder »Petit-Robin«),
der mit Sicherheit Ende 1439 starb. Zwei Kammerdiener schließlich, die auf die
Namen Poitou und Henriet hörten, vervollständigten die blutige Mannschaft. -
Georges Bataille, Gilles de Rais. Frankfurt/Main, Berlin, Wien 1975 (zuerst
1965)
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