Gesellen, freundliche  Den harten und unbeweglichen Kern aller Bergläufer bildeten die vier, fünf alten Verbrecher, welche seit Jahren die Plage der Pässe und höheren Wege ausmachten. Sie waren freundliche, etwas falsche Gesellen, die viele Anekdoten zu erzählen wußten, gutmütig die andern aushorchten, über die jüngeren grobe Späße machten.

Einer hatte in seiner Körperfülle das Aussehen eines würdigen Mandarins; es fehlte ihm an seiner Mütze nur der Knopf. Er hielt sehr auf respektvolle Behandlung und bediente sich eines komischen Höflichtskeitszeremoniells bei den kleinsten Dingen im Verkehr, wobei gestört er in unsäglich gemeines Schimpfen ausbrechcn konnte. Er war Hypochonder, äußerst wehleidig und verbrauchte das meiste Geld, das er durch Diebstahl und Raub erwarb, bei kleinen Wurzelfrauen, Hökerinnen in den Nachbarorten, bei denen er nach Medikamenten ein und aus ging. Er hatte eine Masse Eigenheiten, schnitzte sehr gewandt Tabaksdosen mit Blumendeckeln, suchte bei jedem frisch Ankommenden zu erfahren, was es für Neuigkeiten darin in den Städten gäbe, bemühte sich auf die furchtbarste Art, wenn er es wollte und es für ihn nötig wurde, die Muster zu beschaffen. Er seufzte seinen Hökerfrauen vor, die ihn als feinen Herrn behandelten, wie ein armer Mensch seine Haut zu Markte tragen müsse, um auch nur eine Spielerei zu erwerben. Wenn er einbrach, war er der zähste, sicherste Mensch, mit Muskeln von Stahl, einer unbezwinglichen Geduld und Kalte. Vor Leuten, besonders jungen Männern, die ihn überraschten und die er angreifen mußte, hatte er einen Ekel, wenn sie sich nicht wehrten oder um Schonung bettelten, nachdem er sie gefaßt hatte. Er hatte zwei Kaufmannsgehilfen einmal, die vor Entsetzen auf ihrem Ofenbett laut schrien, als er in ihr Zimmer nachts eindrang, mit einem Eisenstück erst betäubt, dann aber, als die kräftigen Menschen trotz seines Befehls unter ihrer Decke weiter wimmerten, sie mit der ersten besten Schnur einen nach dem andern erwürgt, war toll, ohne etwas zu nehmen, in die Berge zurückgerannt. Er führte seitdem den Namen 'Seidenschnur'.

Ein anderer dieser fünf Gesellen war ein großer hagerer Kantonese mit einer Hornbrille. Dieser liebte weder Totschlag noch Einbruch, er war Gelehrter und verfaßte Gedichte, gesellschaftliche und sittenfördernde Abhandlungen, Betrachtungen über allerhand Themata, auch aus der Tierwelt, Geologie, Astrologie. Sein Wesen blieb den meisten der Vagabunden dauernd fremd.

Er hielt sich völlig fern von ihnen; sie kamen in seine Höhle, um sich über vielerlei Dinge, besonders Krankheiten und günstige Tage, Rats zu erholen. Es war ein Mann von einer gewissen Bildung, der viele Dichter abschrieb und saubere Charaktere malte. In diesen großen ruhigen Menschen kam alle paar Monate eine Veränderung. Die ihn besuchten, merkten das vorher; er hörte ihnen nicht mehr geduldig zu; es herrschte Unordnung in seiner sonst ziemlich gerichteten Wohnung im Felsen. Er erklärte selbst, wenn ihn einer fragte, daß er jetzt viel mit eigenen Sachen beschäftigt sei, nur diese Tage; sie sollten sich nicht abstoßen lassen; er würde über die Sache, die sie ihm vortrügen, später noch genau nachdenken und ihnen Auskunft geben. Dann kamen die paar Tage, wo die Banditen sich nicht von ihrem Gelächter erholten. Wo der gelehrte Mann schmierig und zerfetzt von oben bis unten über alle Wege kletterte, bei allen Bekannten vorsprach in diesem Aufzug unter einem Schwall hochtrabender unverständlicher Worte und Brocken, dazwischen mit kolossalen Schlüpfrigkeiten, die an ihm sonst unbekannt waren, um sich warf, und selbst aus dem Lachen nicht herauskam, das sein Gesicht unter tausend trockenen Fältchen vergrub. Auf diesem Hin und Her, bei dem er sich keine Ruhe gönnte, kaum ein paar Stunden tags schlief, ohne sich zu erschöpfen, versteckte sich die hagere Gestalt auch gelegentlich hinter einem Block bei Mondlicht an einer Straßenbiegung, fiel mit lautem Geschrei ganze Karawanen an, die nicht selten auseinanderstoben vor ihm, stieß einen einsamen Pilger, nachdem er lange hinter ihm her mit Wutbläken geschlichen war, unter einem Freudenjuchzer in den Abgrund, verging sich bei Marktflecken in viehischer Weise an Frauen und Kindern. Nach ein paar Tagen saß er wieder in seiner Höhle, zeigte ernst seinen Gästen die Schrunden und Beulen, die er davongetragen hatte. Er behandelte diese Verletzungen in den ersten Tagen wie eine heilige Sache, kam rasch in das alte Geleise, in die gelehrte Arbeit, bei der ihn keiner, unter schwerster Gefahr, an die unruhigen Tage erinnern durfte.   - Alfred Döblin, Die drei Sprünge des Wang-lun. München  (zuerst 1915)

 

Geselle Freundlichkeit

 

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