eschöpf,
anständiges Der Herr zuckte die Achseln und sagte:
»In Desglands' Nachbarschaft wohnte eine reizende Witwe, die mit einer berühmten
Kurtisane des verflossenen Jahrhunderts* viel Ähnlichkeit
hatte. Sie war brav und tugendsam aus Vernunft, liederlich und wollüstig
aus Temperament. Sie war immer tags darauf verzweifelt über die Dummheiten,
die sie tags zuvor begangen hatte, und so brachte sie ihr Leben jederzeit
zwischen Vergnügen und Gewissensbissen zu: Vergnügen, Gewissensbisse,
dann Reue und neue Lust. Doch konnte die Reue nie die Lust am Genießen
ersticken. Ich habe sie in ihren letzten Augenblicken gekannt. Sie sagte, endlich
werde sie zwei große Widersacher los. Ihr Gatte war voll Nachsicht für den einzigen
Fehler, den er ihr vorwerfen konnte; er beklagte sie, solange sie lebte,
und beweinte sie noch lange nach ihrem Tod. Er behauptete, seine Frau von ihren
Liebschaften abhalten zu wollen wäre von ihm ebenso lächerlich gewesen, wie
wenn er ihr das Trinken hätte abgewöhnen wollen. Er verzieh ihr ihre unzähligen
Liebschaften, weil sie in ihrer Wahl so geschickt und heikel war. Nie nahm sie
einen Dummkopf oder einen Bösewicht zum Geliebten. Ihre Gunst war immer der
Lohn für besondere Begabung oder wahre Rechtschaffenheit. Sagte man von einem
Mann, er sei ihr Geliebter oder er sei es gewesen, so war das gleichbedeutend
mit der Versicherung, er sei ein überlegener, ein verdienstvoller Mann. Da sie
ihre Flatterhaftigkeit und Unbeständigkeit kannte, verpflichtete sie sich nie
zur Treue. ,Ich habe in meinem ganzen Leben nur einmal einen falschen Eid geschworen:
das erstemal', sagte sie. Ob nun ein Mann das Gefühl schwinden fühlte, das er
für sie gehegt hatte, oder ob sie die Liebe nicht mehr verspürte, die er ihr
eingeflößt hatte, stets blieben sie gute Freunde. Nie gab es einen schlagenderen
Beweis dafür, was für ein Unterschied zwischen Rechtschaffenheit und Lebenswandel
eines Menschen bestehen kann. Man konnte wirklich nicht behaupten, daß sie ein
ehrbares Leben führte, und mußte doch zugeben, es sei schwer, ein anständigeres
Geschöpf zu finden. Ihr Pfarrer sah sie nur höchst selten in der Kirche; aber
zu jeder Zeit fand er dafür ihre Börse für die Armen und Bedürftigen offen.
Sie pflegte im Scherz von der Religion und den Gesetzen zu sagen, sie seien
zwei Krücken, die man Leuten nicht wegnehmen dürfe, wenn sie schwach auf den
Beinen seien. Die Frauen sahen es nicht gern, wenn ihre Männer mit ihr verkehrten,
aber es lag ihnen viel daran, daß ihre Söhne mit ihr Umgang hatten.«
-
(jak)
* Ninon de Lenclos
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