eschlechtsakt   Die endliche Vereinigung, der nackte und unerläßliche Geschlechtsakt, bildete den zähesten Teil der Vorführung, zumal er, als habe er dem Dogma eines Lehrfilms zu gehorchen, in allen Varianten absolviert wurde. Ihre Reihenfolge war gleichgültig, oder aber sie wurde bestimmt von der Art, in der auf schnellstmögliche und komplikationsarme Weise ein Stellungswechsel vorzunehmen sei: jede Version diente demselben Ziel, der Unterbringung des schweifenden männlichen Äußeren im weiblichen Innenleben; dieses Ergebnis war in einer Form bekannt, daß das Wort Ziel dafür im Grunde nicht mehr zu gebrauchen war.

Die letzte Variante war in der Regel diejenige, in welcher die Frau vor dem Mann auf den Knien ruhte, während ihr das Glied von hinten, so die volkstümliche Bezeichnung für diese Konstellation, in den offen sich darbietenden Leib eindrang; die Stellung schien eine Art befreiendes Finale zu ermöglichen, weil sie sich offenbar von der Kamera am besten einfangen ließ. Doch auch hierbei konnte sich der Akteur nicht bequem zwischen den Schenkeln seiner Partnerin plazieren, sondern mußte das Werk in einer schwierigen Hockstellung verrichten, fast in einer Reithaltung über der Frau, wozu er mit seinem ganzen Gewicht auf den rechtwinklig gebeugten und außerdem gespreizten Beinen lastete; mit den Armen stützte er sich an den Hüften der Frau ab wie auf einem Turngerät. Wie schwer es ihm fiel, erkannte man daran, daß ab und zu ein krampfartiges Zittern durch seine Waden lief, und dies, obwohl er, man sah es, sehr gut trainiert war. Nun hätte das Kameraauge freien Einblick gehabt, wäre da nicht sein herabhängendes Skrotum gewesen, das - es war nicht aus der Welt zu schaffen, es war ein Verhängnis, das nicht transparent gemacht werden konnte - ohne Unterlaß und mit perfidem Schwung vor der Öffnung der Frau umherpendelte. Die Kamera mußte unterhalb der Szene filmen, sie mußte das störende sackartige Gebilde unterlaufen, man hätte eigentlich aus einem Loch im Fußboden heraus filmen müssen. Auf die Idee, den faltigen Hautbeutel mit einem Heftpflaster irgendwo am Oberschenkel zu befestigen, kam man nicht, künstlerische Einfälle waren den Herstellern solcher Filme fremd. Und nach einiger Zeit fragte man sich, ob das schreckliche Ächzen und Keuchen, von dem alles begleitet wurde, in Wirklichkeit nicht von der die Kamera bedienenden Person herrührte, die vielleicht zu einem Kopfstand gezwungen war, um die Zielkurve ihres Objektivs an diesem ungebärdigen Hodensack vorbeizulenken, der sie immer wieder durchkreuzte. - Wolfgang Hilbig, Das Provisorium. Frankfurt am Main 2001 (Fischer-Tb. 15099, zuerst 2000)

Handeln Geschlechtsleben
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Verwandte Begriffe
FortpflanzungLiebe
Synonyme
Geschlechtsverkehr