eschenk In
so ziemlich die gleiche Richtung, jedoch über eine
kürzere Zeitspanne (einige Monate im Gegensatz zu zwanzig Jahren) geht eine
Geschichte, die ich von R. habe, einem Freund, der vergeblich in Buchhandlungen
und Katalogen nach einem gewissen ausgefallenen Buch gefahndet hatte, einem,
wie er meinte, außergewöhnlichen Werk, das er unbedingt lesen wollte. Eines
Nachmittags nahm er auf dem Weg durch die Stadt eine Abkürzung durch die Grand
Central Station, stieg die Treppe zur Vanderbilt Avenue hinauf und erblickte
dort am Marmorgeländer eine junge Frau mit einem Buch in der Hand: es war dasjenige,
das er so dringend gesucht hatte.
Obgleich er normalerweise nicht zu denen gehört, die Fremde ohne weiteres ansprechen, war R. von diesem Zufall so verblüfft, daß er nicht schweigen konnte. «Ob Sie‘s glauben oder nicht», sagte er zu der jungen Frau, «nach diesem Buch habe ich überall gesucht.»
«Es ist wunderbar», antwortete die junge Frau. «Ich bin gerade damit fertig geworden.»
«Wissen Sie, wo ich es mir kaufen könnte?» fragte R. «Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wieviel mir daran liegt.»
«Nehmen Sie meins», antwortete die Frau. «Aber das gehört Ihnen», sagte R.
«Es hat mir gehört», sagte die Frau, «aber jetzt bin ich damit fertig. Ich bin
heute hierhergekommen, um es Ihnen zu schenken.» - Paul Auster, Das rote Notizbuch. Reinbek bei Hamburg 1996 (zuerst
1995)
Geschenk (2) Eines Abends nun, als ich von einem Spaziergang wiederkehrte, fand ich vor der Tür meines Palastes Haribadada, der mir feierlich in geheimnisvollen Worten ankündigte, daß mich ein Geschenk des Fürsten in meinem Zimmer erwarte; zugleich entbot er mir die Entschuldigungen seines Herrn dafür, daß er nicht früher bedacht habe, mir etwas darzubieten, das ich doch entbehren müsse.
Nach diesen dunklen Worten verneigte sich der Botschafter und entschwand.
Ich trat ein und sah an der Wand, nach der Größe gereiht, unbeweglich sechs kleine Mädchen Seite an Seite gleich einem Stintspieß stehen. Die Älteste mochte acht Jahre alt sein, die jüngste sechs. Im ersten Augenblick begriff ich nicht recht, weshalb dieses Pensionat bei mir eingezogen war, dann erriet ich die zartsinnige Aufmerksamkeit des Fürsten: er schenkte mir einen Harem. In allerhöchster Huld hatte er ihn überaus jung gewählt, denn je grüner dort die Frucht, desto höher ihr Wert.
Und völlig verwirrt, peinlich berührt und beschämt, stand ich vor diesen Görchen, die mich mit ihren großen, ernsten Augen anblickten und bereits zu wissen schienen, was ich von ihnen fordern konnte.
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich hätte sie am liebsten fortgeschickt, aber ein Geschenk des Herrschers weist man nicht zurück. Es wäre eine tödliche Beleidigung gewesen. Ich mußte die Kinderschar schon bei mir behalten.
Sie standen und musterten mich weiter, harrten still meiner Befehle, suchten aus meinen Augen mein Denken zu erraten. Oh, verwünschtes Geschenk! Wie es mich bedrückte! Da ich mir allmählich lächerlich vorkam, fragte ich die Größte:
»Wie heißt du?«
»Châli«, antwortete sie.
Dieses Kind mit seiner so feinen, zart gelblichen Haut wie Elfenbein, mit seinem Antlitz aus langen, klaren Linien war ein Wunder, eine Statue.
Da fragte ich, um zu sehen, was sie wohl antworten werde, um sie verlegen zu machen vielleicht:
»Warum bist du hier?«
Mit ihrer sanften, harmonischen Stimme sagte sie: »Ich bin hier, um zu tun, was dir gefällig ist, mein Gebieter.«
Das Kind war unterrichtet.
Dieselbe Frage stellte ich der Kleinsten, und deutlich, mit ihrer höheren Stimme, antwortete sie: »Ich bin hier, um zu tun, was dir gefällig ist, mein Gebieter.«
Sie sah aus wie ein Mäuschen, die Kleine, sie war allerliebst. Ich hob sie in meinen Armen hoch und küßte sie. Die anderen machten eine Bewegung, als ob sie forthuschen wollten, da sie wohl glaubten, ich hätte meine Wahl nun getroffen, doch ich gebot ihnen zu bleiben, setzte mich nach indischer Weise, hieß sie rund um mich Platz nehmen und fing an, ihnen ein Märchen von Genien zu erzählen, denn ich sprach hinlänglich ihre Sprache.
Sie lauschten mir mit aller Aufmerksamkeit, erschauerten bei den wunderbaren Geschehnissen, bebten vor Angst, rangen die Hände. Sie dachten kaum mehr daran, wozu sie da waren, die armen Kleinen.
Als ich das Märchen beendet hatte, rief ich meinen vertrauten Diener, Latchman, und ließ Süßigkeiten, eingemachte Früchte und Backwerk kommen, woran sie sich fast krank aßen; dann, da ich dieses Abenteuer mittlerweile recht drollig fand, veranstaltete ich Spiele, um meine Damen zu unterhalten.
Besonders eines hatte einen Riesenerfolg. Ich schlug mit den Beinen eine
Brücke, und meine sechs Kleinen krabbelten darunter
hindurch, die Kleinste am Kopf der Reihe; und jedesmal schubste mich die Größte
ein wenig an, weil sie sich nie klein genug machte. Darüber gerieten sie in
ohrenbetäubendes Gelächter, und wie die jungen Stimmen
unter dem niedrigen Gewölbe meines prunkvollen Palastes so widerklangen, erweckten
sie ihn mit ihrer kindlichen Fröhlichkeit zum Leben.
- (
nov
)
Geschenk (3) In der Luft faßten den Perseus die
Winde und schleuderten ihn wie Regengewölk bald da, bald dorthin. Als er über
den Sandwüsten Libyens schwebte, rieselten blutige Tropfen vom Medusenhaupte
auf die Erde nieder, welche sie auffing und zu bunten Schlangen
belebte. Seitdem ist jenes Erdreich an feindseligen Nattern so ergiebig. Perseus
flog nun weiter westwärts und senkte sich endlich im Reiche des Königs Atlas
nieder, um ein wenig zu rasten. Dieser hütete einen Hain voll goldener Früchte
mit einem gewaltigen Drachen. Umsonst bat der Besieger der Gorgone ihn um ein
Obdach. Für sein goldenes Besitztum bange, stieß ihn Atlas unbarmherzig von
seinem Palaste fort. Da ergrimmte Perseus und sprach: «Du willst mir nichts
gönnen: empfange du wenigstens ein Geschenk von mir.» Er holte die Gorgo aus
seinem Schubsacke hervor, wandte sich ab und streckte sie dem König Atlas entgegen.
Groß wie der König war, wurde er augenblicklich zu Stein
und in einen Berg verwandelt,
Bart und Haupthaar dehnten sich
zu Wäldern aus; Schultern, Hände
und Gebein wurden Felsrücken; sein Haupt wuchs als hoher Gipfel in die Wolken. -
(
sage
)
Geschenk (4) Dem Standpunkt der Empiriker zufolge
wird die Sprache gewissermaßen im Laufe ihrer Existenz
- durch die sich von Generation zu Generation wiederholenden Erfahrungen - davon
informiert, daß »die Mathematik möglich ist«. Die
Sprache ist nur ein Träger, der dem Gehirn die entsprechende
Information zuführt, wobei diese Information einen realen Gewinn darstellt;
die Sprache ist der Vermittler zwischen der die Mathematik lehrenden Welt und
dem Menschen. Der anderen Ansicht zufolge ist die Schaffung der Mathematik das
Ergebnis der Arbeit zerebraler Mechanismen, die man nicht mit dem Neuronenapparat
verwechseln darf, der für die Lösung von Anpassungs-, d. h. Überlebensproblemen
bestimmt ist. Die Genese dieser Mechanismen ist
demnach ein wahres Wunder, man weiß nicht, wie, warum
und wozu sie entstanden sind. Sie stellen ein phänomenales Geschenk dar, das
der Mensch von der Evolution bekommen hat. -
Stanislaw Lem, Philosophie des Zufalls Bd. 2. Frankfurt am Main 1989 (zuerst
1968)
Geschenk (5) Unvollkommene Geschenke, das
sind zum Beispiel solche Geschenke: Wir schenken jemandem zum Geburtstag, sagen
wir, den Deckel eines Tintenfasses. Wo ist das Tintenfaß selbst? Oder wir schenken
ein Tintenfaß mit Deckel. Wo ist der Tisch, auf dem das Tintenfaß stehen soll?
Wenn das Geburtstagskind schon einen Tisch hat, ist das Tintenfaß ein vollkommenes
Geschenk. Daraus folgt: wenn das Geburtstagskind schon ein Tintenfaß hat, kann
man ihm durchaus den Deckel dazu schenken, es wäre ein vollkommenes Geschenk.
Schmuck für den nackten Körper wie Ringe, Armbänder, Ketten und so weiter sind
stets vollkommene Geschenke (vorausgesetzt natürlich, das Geburtstagskind ist
kein Krüppel). Das gilt auch für so etwas wie ein
Stäbchen, das an einem Ende eine kleine Holzkugel und am anderen Ende einen
kleinen Holzwürfel hat. Solch ein Stäbchen kann man in der Hand halten oder
hinlegen, wo immer man will. Solch ein Stäbchen ist sonst zu nichts nütze. - (
charms
)
Geschenk (6) Jemima ging in ihr Zimmer hinauf.
Als sie allein war, riss sie hastig das Geschenkpapier auf ... und stieß einen
halblauten Schrei aus: In ihren Händen hielt sie den Kopf eines Hahns,
dessen Augen im Angesicht des Todes erstarrt waren. Es war kein gewöhnlicher
Hahn; einen wie diesen hatte sie noch nie gesehen. Er war fünfmal so groß wie
jeder andere und außerdem weiß, vollkommen weiß, sogar am Kamm und am Schnabel.
Jemima beugte sich vor und küsste ihn dreimal. »Geschöpf aus den Ländern, die
ich so gern einmal sehen möchte«, sagte sie, »schönes Geschöpf, einzigartiger
Hahn.« Lange saß sie da und betrachtete den Kopf des toten Tiers in ihren Händen.
Es war beinahe Mitternacht, als sie zu Bett ging, wo sie den Kopf des Hahns
fest an ihr Herz drückte. Die ganze Nacht hatte sie Albträume, durch die »Wolfs«
Gesicht geisterte, zu dem nun ein langer, grauer und sehr behaarter Körper gehörte.
Mal war er ein Wolf, mal ein Fuchs oder irgendein anderes Tier, und manchmal
hatte er, mit seinem eigenen verquickt, die Körper aller Tiere zugleich. -
(
wind
)
Geschenk (7) Unvollkommene Geschenke, das
sind zum Beispiel solche Geschenke: Wir schenken jemandem zum
Geburtstag, sagen wir, den Deckel eines Tintenfasses. Wo ist das
Tintenfaß selbst? Oder wir schenken ein Tintenfaß mit Deckel. Wo ist der
Tisch, auf dem das Tintenfaß stehen soll? Wenn das Geburtstagskind
schon einen Tisch hat, ist das Tintenfaß ein vollkommenes Geschenk.
Daraus folgt: wenn das Geburtstagskind schon ein Tintenfaß hat, kann man
ihm durchaus den Deckel dazu schenken, es wäre ein vollkommenes
Geschenk, Schmuck für den nackten Körper wie Ringe, Armbänder, Ketten
und so weiter sind stets vollkommene Geschenke (vorausgesetzt natürlich,
das Geburtstagskind ist kein Krüppel). Das gilt auch für so etwas wie
ein Stäbchen, das an einem Ende eine kleine Holzkugel und am anderen
Ende einen kleinen Holzwürfel hat. Solch ein Stäbchen kann man in der
Hand halten oder hinlegen, wo immer man will. Solch ein Stäbchen ist
sonst zu nichts nütze. -
(charms)
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