Was passierte denn da? Ein Buch namens Onania erschien in England, ein kleines, anonym verfasstes Pamphlet, das nach und nach überall in Europa übersetzt und ein regelrechter Bestseller wurde. Der Autor ergeht sich darin über eine unerträgliche Praxis, deren tödliche Folgen er als Erster entdeckt haben will. Außerdem bot er gleich eine Medizin gegen angeblich aus der Onanie resultierende Krankheiten an. Bemerkenswerterweise kaufte man seine Medizin, selbst die großen Aufklärer der Zeit glaubten ihm, dass exzessive Masturbation sogar Pocken und Tuberkulose verursachen könne; Diderot nahm die Thesen dieses Autors sogar in die Enzyklopädie auf.
Sie haben auch das Geheimnis hinter dem Pseudonym des Verfassers
gelüftet? Ja, John Marten. Nach reichlicher Puzzlearbeit fand ich eine
obskure Schmähschrift eines konkurrierenden Schriftstellers, der Marten
persönlich attackierte. Das ist deswegen interessant, weil Marten nicht
nur die Onania verfasste, sondern auch zahlreiche kleinere Softpornos.
Auf der einen Seite beförderte er also die Masturbation, behauptete aber
andererseits, sie mache krank, und verkaufte dagegen seine eigene Medizin.
- Thomas W. Lacqueur, interviewt von Lars Reichardt. Süddeutsche Zeitung
Magazin v. 8.10.2004
-
Quelle
Geschäftsidee (3)
Es wäre ein gutes Geschäft - |
- Renate Rasp, in: Tintenfisch 1. Jahrbuch für Literatur. Berlin 1968
Geschäftsidee (4) Herr Hale, unsere Interessen gebieten uns, zwanzig Millionen Dollar von Ihnen zu fordern. Wenn wir auch so rücksichtsvoll sind, Ihnen eine angemessene Frist einzuräumen, innerhalb derer Sie die erforderlichen Transaktionen ausführen können, so bitten wir Sie doch, nicht zu lange zu zögern. Wenn Sie unsere Bedingungen akzeptiert haben, so rücken Sie eine passende Notiz in die Seufzerspalte der 'Morgenröte' ein. Wir werden Sie dann mit unseren Plänen bezüglich der Übernahme der erwähnten Summe bekannt machen. Sie tun das am besten einige Tage vor dem l. Oktober. Tun Sie es nicht, so töten wir an diesem Tage einen Mann in der neununddreißigsten Straße des Ostviertels, um Ihnen zu zeigen, daß wir es ernst meinen. Es wird ein Arbeiter sein. Sie kennen ihn nicht und wir auch nicht. Sie repräsentieren eine Macht innerhalb der modernen Gesellschaft; das tun wir auch — eine neue Macht. Ohne von Zorn oder Bosheit erfüllt zu sein, haben wir den Krieg begonnen. Wie Sie schnell erkennen werden, sind wir einfach Geschäftsleute. Sie sind der obere Mühlstein, wir der untere. Das Leben dieses Mannes wird zwischen uns zermalmt werden. Sie können ihn retten, wenn Sie zur rechten Zeit auf unsere Bedingungen eingehen und handeln.
Es war einmal ein König, der unter dem Fluche litt, daß alles, was er anrührte, zu Gold wurde. Wir haben seinen Namen angenommen und benutzen ihn als unser offizielles Siegel. Gelegentlich gedenken wir uns den Namen gesetzlich schützen zu lassen, um uns selbst vor eventueller Konkurrenz zu schirmen.
Wir verbleiben
Ihre ergebenen Lieblinge des Midas
- Jack London, Die konzentrischen Tode. In: J.L.,
Die konzentrischen Tode. Stuttgart 1983.
Die Bibliothek von Babel Bd. 14, Hg. Jorge Luis Borges
Geschäftsidee (5) Als erstes hielten sie einen Vortrag über Mäßigkeit; aber das brachte nicht mal so viel ein, daß sie sich beide davon hätten betrinken können. In einem andern Dorf machten sie eine Tanzschule auf; aber sie verstanden sich nicht besser aufs Tanzen als ein Känguruh, und beim ersten Schleifer, den sie zum besten gaben, stürzte sich das Publikum auf sie und schleifte sie aus dem Ort. Ein andermal versuchten sie's mit Volksreden, aber es dauerte nicht lange, da erhob sich das Publikum, beschimpfte sie fürchterlich und schmiß sie raus. Sie verlegten sich auf Missionspredigten, Mesmerismus, Kurieren, Wahrsagen und sonst noch allerlei, aber sie schienen mit nichts so rechtes Glück zu haben.
So kamen sie schließlich ganz auf den Hund, lagen nur auf dem Floß
herum, während es dahintrieb, brüteten immerzu vor sich hin, sagten halbe Tage
lang gar nichts und waren schrecklich mißgestimmt und niedergeschlagen. -
Mark Twain, Huckleberry Finns Abenteuer. Frankfurt am Main 1975 (zuerst 1884)
Geschäftsidee (6) Um kein Mittel, sich
Geld zu verschaffen, unversucht zu lassen, legte Caligula ein Bordell in
seinem Palaste an. Zu diesem Zweck stellte er mehrere Kammern bereit und richtete
sie, entsprechend der Würde des Ortes, prunkvoll ein. Hierin mußten vornehme
verheiratete Frauen und freigeborene Knaben sich feilhalten. Dann schickte er
seine Nomenklatoren auf den Märkten und in den Basiliken herum, um junge und
alte Männer zur Ausübung des Geschlechtsakts einzuladen. Den Besuchern, die
gerade kein Geld bei sich hatten, schoß er es gegen Zinsen vor und ließ von
eigens bestellten Aufsehern ihre Namen öffentlich verzeichnen, als die Namen
von Leuten, die für die Vermehrung der kaiserlichen Einkünfte sorgten. - (
sue
)
Geschäftsidee (7) «Soll ich Ihnen mal den perfekten Mord an Ihrer Frau ausmalen? Sie können's vielleicht eines Tages gebrauchen.»
Guy erhob sich. «Ich muß ein paar Schritte gehen.»
Bruno klatschte plötzlich in die Hände. «Mach! Mensch, ich hab 'ne Idee! Wir begehen jeder einen Mord — für den andern! Ich bringe Ihre Frau um und Sie meinen Vater! Wir haben uns im Zug getroffen, und kein Mensch weiß, daß wir uns kennen. Perfekte Alibis, verstehen Sie?»
Die Wand vor seinen Augen klopfte mit rhythmischen Pulsschlägen, als sei sie im Begriff aufzuspringen. Mord. Das Wort erschreckte ihn, verursachte ihm Übelkeit. Er wollte weg, aus dem Abteil hinaus, aber ein Albtraum hielt ihn hier fest. Er versuchte sich aufzurichten und die Wand festzuhalten, um Brunos Worte zu verstehen; er spürte, irgendwo war Logik darin wie in einem Rätsel oder Puzzlespiel, das auf die Lösung wartete.
Brunos tabakverfärbte Hände tanzten und sprangen auf seinen Knien. «Mensch, feuerfeste Alibis!» schrie er. «Die Idee meines Lebens! Begreifen Sie das gar nicht? Ich könnte es irgendwann machen, wenn Sie nicht in der Stadt sind, und Sie könnten es machen, wenn ich nicht da bin!»
Guy begriff. Das wäre tatsächlich nicht nachzuweisen.
«Es würde mir wirklich Spaß machen, Miriams Laufbahn ein Ende zu bereiten,
um Ihre damit zu fördern», sagte Bruno und lachte. «Finden Sie nicht auch, man
sollte ihr das Handwerk legen, ehe sie noch anderen Leuten das Leben ruiniert?
» - Patricia Highsmith, Alibi für zwei. Reinbek bei Hamburg 1968 (zuerst
1950)
«Zieh sie aus», befahl Coffin Ed Wop.
Sie hörte den Unterton nicht zu unterdrückender Begierde in seiner Stimme, und glaubte, sie würde vergewaltigt werden. Sie schüttelte den Kopf und versuchte wieder zu sprechen, murmelte etwas, das wie «Sie brauchen doch gar nich ...» klang.
Wop starrte beide dümmlich und versteinert an. «Sie ausziehen?» wiederholte er, als ob er die Bedeutung der Worte nicht verstanden hätte.
«Zieh ihr die verfluchten Kleider aus», zischte Coffin Ed zwischen zusammengebissenen Zähnen. «Hast du das noch nie gemacht?»
Wop näherte sich ihr, als ob sie eine Löwin mit Jungen wäre. Sie verhielt sich passiv, hob abwechselnd einen Fuß nach dem anderen, damit er ihr Schuhe und Strümpfe abstreifen konnte. Keiner sagte ein Wort. Nur mühsames Atmen und das Klappern von Wops Zähnen waren zu hören. Aber er brauchte so lange, ihr das grüne Gabardinekostüm und die chartreusefarbene Unterwäsche auszuziehen, daß die Stille nahezu unerträglich wurde.
Als sie splitternackt war, ließ Coffin Ed sie los.
Sie drehte sich um und erkannte ihn erst jetzt. «Oh, Sie sind's», sagte sie mit ihrer knarrenden Stimme.
«Ja, ich bin's», bestätigte er.
Sie fiel vor ihm auf die Knie und umschlang fest seine Oberschenkel. «Tun Sie mir bitte nichts!» flehte sie.
«Dummes Geschwätz», knurrte er nur, packte eine Handvoll ihres Haars und zerrte sie auf die Couch.
Ihre dicken, wulstigen Lippen verzogen sich vor Schmerz, während sie nach Luft schnappte, aber sie wagte nicht zu schreien. Er rollte sie her-Uln und untersuchte sie sorgfältig auf Nadeleinstiche, fand aber keine.
«Fessele sie», befahl er Wop.
Wop bewegte sich wie ein Roboter, mit steifen Gliedern und blicklosen Augen. Als er fertig war, befahl Coffin Ed: «Hol die Puderdose aus ihrer Handtasche.» Dann beugte er sich über sie und packte wieder ihr Haar. Er zog ihr den Kopf in den Nacken, bis ihre Kehle straff gespannt war, und ritzte ihr mit dem Messer eine sechs Zoll lange Linie quer über den Hals.
Sie rührte sich nicht, atmete nicht. Ihre Augen waren stumpfe, unergründliche Teiche der Angst.
«Gib mir den Spiegel», befahl Coffin Ed Wop.
Er hielt ihn ihr vor die Augen. «Siehst du deinen Hals?»
Eine dünne, blutige Linie war zu sehen, wo er ihr die Haut angeritzt hatte. Sie wurde ohnmächtig.
Er warf die Puderdose fort und fluchte mit unterdrückter, ohnmächtiger Wut vor sich hin: «Blut sehen können sie alle, nur das eigene nicht.»
Dann ohrfeigte er sie, bis sie wieder zu sich kam. Er wußte, daß er die Grenze überschritten hatte, daß er in einen Bereich abgeirrt war, der außerhalb des Menschlichen lag. Er wußte, daß das, was er tat, unverzeihlich war. Aber er wollte nicht noch mehr Lügen anhören.
Sie lag starr da und sah ihn voller Haß und Furcht an.
«Das nächste Mal schneide ich bis zum Knochen durch», drohte er.
Ein Schauder rann durch ihren Körper.
«Ich will alles sagen», krächzte sie. «Ich sag Ihnen, wie Sie es finden können. Das wollen Sie doch nur wissen, nich wahr?»
Er sah sie nur wortlos an.
«Wir können Halbe-Halbe machen», fuhr sie eindringlich fort. «Ihr Partner
kriegt auch einen Anteil. Es is auch für drei reichlich genug. Und mich können
Sie außerdem noch haben. Ich kann's gut, Sie werden noch ganz verrückt nach
mir sein. Bestimmt. Und passieren kann gar nichts. Ihr seid doch Polypen. Euch
können sie nichts anhaben, und die anderen knallt ihr einfach übern Haufen.»
- Chester Himes,
Heroin für Harlem. Reinbek bei Hamburg 1968 (zuerst 1966)
Geschäftsidee (9)
- Paul Flora, Floras Taschenfauna. Berlin 1964 (Ullstein
Buch 469)
Geschäftsidee (10) Wir standen
vor der Geflügelhalle. »Da drinnen sitzt nun das widerliche Pack und gackert
und gackert«, murmelte Canonnier. »Gestopft und genudelt krähen sie ihre Lügen
aus . . . Aber du siehst, in der Politik war noch was zu machen«, setzte er
leise hinzu. »Den großen Schlag könnte man da landen, ohne Zweifel. Da ist unter
all diesen zum Fraß aufgereihten Regierungsrenommisten auch nicht einer, dem
nicht wie bei den Spartanerknaben der Fuchs am Magen nagte. Wenn man Dokumente
hätte ... Du verstehst schon? Na, du verstehst doch, hm? Jemand, dem man alle
Beweise liefern würde, der den Mut und die Kraft hätte, diesem Pack an die Gurgel
zu fahren.« - Georges Darien, Der Dieb. Frankfurt am Main 1889
(zuerst 1897)
Geschäftsidee (11) Die Kupplerinnen und die Huren hatten sich in greulicher Sitzung versammelt. Sie redeten recht abgefeimt in Abwesenheit von Geld- und Hodensäcken und flickten dem Geld am Zeug. Die älteste der Kupplerinnen, schlecht mit Zähnen ausgerüstet und dem Sprechen nach ein Säugling, klapperte mit den Kinnladen und sagte:
»Es wird bald einen sauberen Weltbankrott geben. Eine feine Gabe! Zeit macht Hunger. Um ein Haar, und es ist geschehen! Feste und Geschenktage faulen seit langem. Botenlohn zählt zu den Toten. Das Geld hat sich so verändert, daß es nicht mehr zu erkennen ist: rnit dem Aufgeld ist es in Nichts zerflossen wie vernichtete Ehre. Ein Achterreal nimmt sich zwei Vierern gegenüber wie ein Elefant aus. Von den Dublonen redet man wie von den Infanten von Aragon:
›Was ist mit ihnen geschehen?‹
›Ein andermal‹ spielt jetzt die Rolle des ›Nimm‹. Item: ›Euer Gnaden können auf mein Wort bauen‹ - damit kannst du krepieren. ›Geldanweisung‹ - damit magst du verrecken. Ein hübscher Rammler mit Lockenmähne und Bändern an den Schläfen bedeutet: Hunger; ein flaumbärtiger Junge: Fasten. Töchterchen, uns hilft nur eins: halten, behalten, und ich empfehle euch: Bargeld und Vorauszahlung. Ich verwalte ein paar halbverweste Männer, nicht lebend, nicht tot, gut ausgestattete Mumien, die haben ihren Kitzel zu Erben eingesetzt und zahlen in guter Münze für ihre räudigen Körper. Ihr Mädchen, die Habgier vertreibt den Ekel. Schließt die Augen, verstopft euch die Nasenlöcher wie einer, der ein Abführmittel nimmt. Bitteres zum eigenen Vorteil schlucken, ist Medizin. Bedenkt: ihr verbrennt alte Rocksäume, um das eingenähte Gold, und saugt an Knochen, um das Mark herauszuholen. Ich habe für jede von euch ein halbes Dutzend Ludergreise, verrunzelte Rosinengalane, die mexikanische Golddublonen spucken. Ich verlange nicht den dritten Teil für die Vermittlung; zahlt mir einen kleinen Betrag, ich bin's zufrieden, damit ich diese verdammte Ehre wahren kann, der ich mich mein Lebtag gerühmt habe.«
Sie mummelte ihre Rede zu Ende, klappte Nase und Kinn wie eine Klaue zusammen und machte ein Gesicht wie ein Raubvogel. Eine der Fechtschwestern und Gelegenheitsarbeiterinnen, eine Rocklüpferin und diebische Elster, antwortete ihr:
»Großmütterchen, Lustbarkeiten-Einfädlerin, Leib-in-Leib-Wirkerin, Leute-Verketterin,
Kuppelsirene, Weberin von Blicken: merke, wir sind
viel zu jung, um uns bärtigen Scheißern und Wackelgreisen zu verkaufen. Verschwende
deine Munition an Dueñas, das sind die Dirnen der Verstorbenen, die Bettschwestern
des Todes. Mütterchen, wallendes Blut verlangt mehr nach Freude als nach Geld
und mehr nach Lust als nach Geschenken. Suche dir einen anderen Beruf, denn
die Kutschen sind den Büßermützen über den Kopf gewachsen, und ich hoffe es
noch zu erleben, daß das Volk diese Kupplerinnen mit Gurken bewirft.« -
Francisco de Quevedo, Die
Träume. Die Fortuna mit Hirn oder die Stunde aller. Frankfurt am Main 1966 (zuerst
1627)
Geschäftsidee (11) Plötzlich sehe ich, daß auf der andern Seite der Straße an einem Fenster auch eine Frau sitzt, rot angezogen. Ich hatte mein hübsches malvenfarbiges Kleid an, weißt Du ....
Ich kannte diese Frau nicht. Sie mußte eine neue Mieterin sein, die erst seit einem Monat dort wohnt, und da es doch seit einem Monat regnet, habe ich sie noch nicht gesehen. Aber ich merkte sofort, daß es nichts Anständiges sein konnte. Zuerst ekelte sie mich und es ärgerte mich, daß sie am Fenster saß grade wie ich, und dann fing es an, mir Spaß zu machen, sie zu beobachten.
Sie hatte die Ellbogen aufs Fensterbrett gestemmt und liebäugelte mit den Männern und die Männer ihrerseits betrachteten sie alle oder wenigstens fast alle. Es war, als müßten sie durch irgend etwas, wenn sie sich dem Hause näherten, auf sie aufmerksam geworden sein, als witterten sie sie, wie Hunde das Wild, denn sie hoben plötzlich den Kopf und wechselten schnell einen Blick mit ihr in heimlichem Einverständnis, etwa wie Freimaurer. Ihr Blick sagte: »Willst Du?«
Und der Blick der Herren antwortete: »Keine Zeit,« oder: »ein ander Mal« – oder: »kein Geld« – oder: »willst Du machen daß Du fortkommst, du Elende«. Das sagten nämlich die Familienväter.
Du glaubst gar nicht, wie komisch es war, ihr zuzusehen, wie sie ihr Geschäft betrieb.
Manchmal machte sie schnell das Fenster zu und dann entdeckte ich, daß ein Herr in ihr Haus ging. Sie hatte ihn erwischt wie der Angler einen Gründling am Haken. Da sah ich nach der Uhr. Sie blieben zwischen zwölf und zwanzig Minuten, keiner länger. Diese Spinne machte mir wirklich mit der Zeit Spaß. Und dann war sie nämlich gar nicht übel ....
Ich fragte mich: wie fängt sie's nur an, sich so schnell verständlich zu machen, so schnell und so gründlich. Giebt sie neben ihrem Blick noch irgend ein Zeichen mit dem Kopfe oder mit der Hand?
Und ich beobachtete sie durch mein Opernglas, um die Geschichte genau zu untersuchen. O, es war ganz einfach: zuerst ein Blick, dann ein Lächeln, dann eine ganz kleine Bewegung mit dem Kopf, die so viel sagen wollte, als: »kommst du herauf?« Aber so leicht, so unbestimmt, so fein, daß es offenbar wirklich einer großen Geschicklichkeit bedurfte, um es ihr nach zu machen.
Da fragte ich mich, ob ich das wohl ebenso gut könnte, dieses kleine Zeichen von unten nach oben, frech und doch nett. Denn ihr Zeichen war sehr nett.
Und ich trat vor den Spiegel, um es zu versuchen. Liebste Freundin, ich konnte es besser als sie, viel besser. Ich freute mich darüber und setzte mich wieder ans Fenster.
Jetzt fing das arme Wurm keinen mehr, aber auch keinen einzigen. Sie hatte wirklich kein Glück. Es muß doch fürchterlich sein, sein Brot auf diese Art und Weise zu verdienen, fürchterlich und doch manchmal ganz spaßhaft. Denn unter den Herren, die man so auf der Straße sieht, giebts doch manchmal welche, die gar nicht übel sind.
Jetzt gingen sie alle an meiner Seite der Straße vorüber, drüben kein einziger, denn die Sonne hatte sich gedreht. Einer nach dem andern, Junge, Alte, Schwarze, Blonde, Graue, Weiße.
Ich sah sehr nette, liebe Freundin, wirklich riesig nette, viel hübscher als Dein Mann, Dein ehemaliger Mann meine ich, da Du ja geschieden bist. Du kannst jetzt wählen.
Ich fragte mich, wenn ich ihnen das Zeichen machte,
würden sie mich wohl verstehen, mich, die ich eine anständige Frau bin?
Und da packte mich eine wahnsinnige Lust, ihnen das Zeichen zu machen,
eine Lust, eine Begierde wie eine Frau in anderen Umständen, eine
fürchterliche Lust, weißt Du, so eine Begierde, der man einfach nicht
widerstehen kann. Es geht mir manchmal so. Ist das nicht zu dumm, so
was? Ich glaube, wir Frauen haben etwas vom Affen. Wenn wir unseren
Mann lieben, so machen wir ihm in den ersten Monaten nach der Hochzeit
alles nach, dann machen wir unseren Liebhabern nach, unseren
Freundinnen und schließlich, wenn sie hübsch sind, unseren
Beichtvätern. Wir nehmen ihre Art und Weise zu denken an, ihre Manier
zu sprechen, ihre Ausdrücke, ihre Bewegungen, alles. Es ist zu dumm.
Übrigens, wenn es mich zu sehr prickelt, irgend etwas zu thun, dann
thue ich's immer. -
Maupassant
Geschäftsidee (12) An Zahl waren es schließlich tausend Männer, über die Morell gebot, Männer, die alle den Schwur geleistet hatten. Zweihundert bildeten den Hohen Rat, und dieser gab die Befehle, die die übrigen achthundert ausführten. Das Risiko fiel auf die unteren Grade. Wenn sie rebellierten, wurden sie dem Gericht übergeben oder in die reißende Strömung mächtiger Flüsse geschleudert, mit einem sicheren Stein an den Füßen. Häufig waren es Mulatten. Ihre ruchlose Aufgabe war folgende:
Sie durchkämmten — geziert mit der Eintagspracht von Ringen, die Respekt einflößen sollten - die ausgedehnten Pflanzungen des Südens. Sie wählten einen unglücklichen Neger und boten ihm die Freiheit. Sie sagten ihm, er solle seinem Patron weglaufen und sich von ihnen ein zweites Mal verkaufen lassen, auf einem entfernten Gut. Sie würden ihm dann einen Anteil an seinem Verkaufspreis geben und ihm zu einem weiteren Ausbruch verhelfen. Daraufhin würden sie ihn in einen freien Staat bringen. Geld und Freiheit, klingende Silberdollars samt der Freiheit: welche größere Versuchung konnten sie ihm bereiten? Der Sklave wagte seine erste Flucht.
Der natürliche Weg war der Fluß. Ein Kanu, der Kielraum eines Dampfers, ein Nachen, ein großes Floß, wie ein ganzer Himmel, mit einem Hüttchen auf dem Vorderdeck oder mit hohen Segeltuchzelten; auf den Ort kam es nicht an, sondern darauf, daß man sich unterwegs wußte, sicher auf dem unermüdlichen Fluß... Sie verkauften ihn auf einer anderen Pflanzung. Er floh ein zweites Mal, ins Röhricht oder in die Steinschluchten. Dann erzählten ihm seine schrecklichen Wohltäter (denen er schon zu mißtrauen begann) dunkel etwas von Unkosten und erklärten, sie müßten ihn ein letztes Mal verkaufen. Nach seiner Rückkehr würden sie ihm die Anteile aus beiden Verkäufen und die Freiheit geben. Der Mann ließ sich verkaufen, arbeitete eine Zeitlang und trotzte bei einer letzten Flucht der Gefahr der Bluthunde und der Peitschenhiebe. Er kam in Blut und Schweiß wieder, verzweifelt und schlafbedürftig.
Man muß die juristische Seite dieser Vorgänge bedenken. Der Neger wurde von den Häschern Morells nicht verkauft, ehe sein ursprünglicher Herr seine Flucht angezeigt und dem Finder eine Belohnung ausgesetzt hatte. Jedermann konnte ihn jetzt festnehmen, so daß Weiterverkauf nur ein Vertrauensbruch, kein Diebstahl war. Bei den Zivilgerichten vorstellig zu werden war eine unnütze Ausgabe, da für Schäden nie Ersatz geleistet wurde.
All das war so beruhigend wie möglich, aber nicht für immer. Der Neger konnte reden; der Neger, aus schierer Dankbarkeit oder Verzagtheit, war imstande zu reden. Ein paar Kruken Roggenwhisky im Bordell von Cairo, Illinois, wo dieser Sohn einer Hündin, der als Sklave zur Welt gekommen war, die schweren Silberstücke, die ihm zu geben sie keinen Anlaß hatten, vergeuden würde, und schon würde er das Geheimnis ausschwitzen. In diesen Jahren agitierte im Norden eine Partei für die Abschaffung der Sklaverei, ein Haufen gefährlicher Narren, die das Eigentum leugneten, die Befreiung der Neger predigten und sie zur Flucht anstachelten. Morell wollte sich nicht mit diesen Anarchisten verwechseln lassen. Er war kein Yankee, er war ein Weißer aus dem Süden, Sohn und Enkel von Weißen, und er wartete auf den Tag, da er sich von den Geschäften zurückziehen und ein Herr sein und seine meilenweiten Baumwollfelder und seine Reihen gebückter Sklaven besitzen würde. Bei seiner Erfahrung hatte er für überflüssige Risiken nichts übrig.
Der Flüchtling erwartete die Freiheit. Daraufhin übermittelten Lazarus Morells
schattenhafte Mulatten einander einen Befehl, vielleicht nur einen Wink, und
erlösten ihn vom Sehen, Hören, Tasten, von Tag, Niedertracht, Zeit, seinen Wohltätern,
dem Erbarmen, der Luft, den Hunden, dem Weltall, der Hoffnung, dem Schweiß und
seinem eigenen Ich. Eine Kugel, ein tiefer Messerstich oder ein Schlag, und
die Schildkröten und die Barben des Mississippi empfingen die letzte Nachricht.
- J. L.Borges, Universalgeschichte der Niedertracht,
nach (
bo3
)
Geschäftsidee (13)
Geschäftsidee (14)
Geschäftsidee (15) »Angenommen ein
Mann eröffnet in einer Gemeinde eine Praxis und behauptet, er könne das Geschlecht
von ungeborenen Kindern beeinflussen; er könne durch eine einfache und harmlose
Behandlung bewirken, daß schwangere Frauen nach Wunsch Jungen oder Mädchen zur
Welt bringen. Das Honorar beträgt 100 Euro, zahlbar im voraus. Um keinerlei
Verdacht eines Schwindels aufkommen zu lassen, bietet der Mann eine absolute
Garantie an: Im Falle des Mißerfolgs wird nicht nur das Honorar zurückgezahlt,
sondern überdies 50 Euro als Entschädigung für die vergeudete Zeit. Nach landläufiger
›Logik‹ ist das Angebot verlockend, wenn man schon bereit ist, 100 Euro zu zahlen,
um ein Kind mit dem gewünschten Geschlecht zu bekommen. Wenn der Mann Erfolg
hat, dann ist es gut; falls nicht, dann ist nichts verloren, man kann sogar
50 Euro gewinnen. Nach der Wahrscheinlichkeitslogik stehen indessen für den
Scharlatan die Chancen zwei zu eins, wogegen die Chancen für die Geburt von
Buben und Mädchen praktisch eins zu eins sind!« Mit anderen Worten: Der Mann
wettet bei einer Chancenverteilung von eins zu eins, und gewinnt er, hat er
100 Euro einkassiert; verliert er, zahlt er 50 Euro. - Anatol Rapoport, nach: Georg Brunold, Fortuna
auf Triumphzug. Berlin 2011
Geschäftsidee (16)
Geschäftsidee (17) »Würdest du mir einen
Gefallen tun?«, sagte Donnell zu Juicy, der noch ein halbes Kind war und keine
Ahnung hatte, wer die Panther waren. »Wenn dieser Typ aufs Klo geht, gehst du
ihm nach und machst ihn an. Sag zu ihm, wenn er pissen will, kostet ihn das
fünfzig Mäuse, oder du schneidest ihm den Schwanz ab. Kapiert? Genau in dem
Moment komm' ich rein und kleb dir eine, aber nur wie im Kino, klar? Ich schlag'
nicht wirklich zu, ich tu' nur so. Aber der Fettsack soll denken, ich hab ihm
das Leben gerettet.« - Elmore Leonard, Freaky Deaky. München 1989
Geschäftsidee (18) Ezra Pound machte einen
Vorschlag, über den mein Vater, als ich ihn deswegen fragte, nur den Kopf schütteln
konnte. Es ging um folgendes: Wir sollten uns einen großen Vorrat »606« - das
neue arsenhaltige Antisyphilitikum, mit dem Ehrlich vor kurzem an die Öffentlichkeit
getreten war - anschaffen und damit unverzüglich an die Nordküste Afrikas reisen
und ein Geschäft eröffnen. Wir beide, ich mit meiner medizinischen Ausbildung
und Erfahrung, er mit seinen sozialen Neigungen, könnten mit der Behandlung
all der reichen alten Nabobs dort - vermutlich allesamt von der Krankheit befallen
- eine Million absahnen und uns nach spätestens einem Jahr für unsere literarischen
Vergnügungen zur Ruhe setzen. Vielleicht war ja etwas dran, ich weiß es nicht.
Aber wenn ich Ez je etwas von einer Herxheimer-Reaktion erzählt hätte, würde
er gedacht haben, ich rede wie ein deutscher Bauer aus Pennsylvanien. Risiken?
Die praktischen Details kümmerten Ezra nicht. Mich erinnerte das zu sehr an
einen Job, der mir einmal angeboten worden war - einen reichen, aber wahnsinnigen
jungen Mann mit gemeingefährlichen Veranlagungen auf einer Europareise zu begleiten.
Aber Ezra konnte meine Einwände nicht verstehen. Wir ließen es bleiben. - (wcwa)
Geschäftsidee (19)
Geschäftsidee (20) Bruno klatschte
plötzlich in die Hände. «Hach! Mensch, ich hab 'ne Idee! Wir begehen jeder einen
Mord - für den andern! Ich bringe Ihre Frau um und Sie meinen Vater! Wir haben
uns im Zug getroffen, und kein Mensch weiß, daß wir uns kennen. Perfekte Alibis,
verstehen Sie?» - Patricia Highsmith, Alibi für zwei. Reinbek bei Hamburg
1969 (zuerst 1950)
Geschäftsidee (21) Bruder Antonio
von San Marcetlo verkauft, während er die Beichte
abnimmt, das Paradies und häuft damit unendlich
viel Geld an. Zwei Ferrareser verkaufen ihm mit abgefeimter List einen nachgemachten
Edelstein. Er merkt, daß er falsch ist, und stirbt vor Schmerz und Verzweiflung
darüber. - Masuccio, Novellino. Berlin 1988 (zuerst 1476)
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