Geschäftsführung  Zig - man nannte ihn nur Sigmund, wenn er schlecht auf einen zu sprechen war - hatte ein leicht aufbrausendes Temperament. Er war fett und hatte Plattfüße. Seine hellbraunen Augen lagen tief in runzeligen Höhlen, wie bei einer alten, mißgelaunten Schildkröte. Sein aufgezwirbelter und gewichster Schnurrbart war braun verfärbt von dem Schnupftabak, den er sich in die Nasenlöcher stopfte, und den Zigarren, die er in einer Zigarrenspitze aus Bernstein rauchte. Zig war recht umgänglich, solange er nicht in Zorn geriet. Dann spie er Feuer. Mit kaltem Blick, schneidender Stimme, und wenn es sein mußte, auch mit fester Hand, hielt er Ordnung im Haus. Er schlug niemals mit der Faust zu, aber wenn er ein Mädchen bestrafen wollte, ohrfeigte er sie von links und rechts mit der Handfläche und dem Handrücken. Es waren gleichmäßige Schläge auf Gesicht und Kopf, schnell und schmerzhaft. Er war gerecht und bevorzugte niemanden, hatte gern alles in Ordnung und fand auch für jedes Ding seinen Platz. Er war ein lebendes Kompendium alter Sprüche und Lebensweisheiten aus seiner Heimat. „Raum für alle hat die Erde" gehörte zu seinen liebsten. Er hatte einen ausgeprägten Sinn für Geld. Aber er knauserte keinesfalls beim Essen, bei der Wäsche und der Ausstattung des Hauses. „Das Beste kommt doch am billigsten", pflegte er zu sagen. Jeden Silvester schwamm er in Tränen und sagte, daß er seiner Mutter ein schlechter Sohn gewesen war.

Emma Flegel war mit den Jahren immer dünner geworden. Es schien, als durchstießen ihre Backenknochen die gespannte Gesichtshaut. Sie trug ihr Haar hochaufgetürmt und mit Samtbändern zusammengebunden. Es war hellblond, aber es glänzte nicht. Sie hatte sehr große Hände und Füße, und sie ging mit festen Schritten über den Teppich, als ob sie sich versichern wollte, daß etwas auf dem Boden lag, auf das sie treten konnte. Sie war die Madame und zugleich die Wirtschafterin ihres Bordells. Zig kümmerte sich um den Zustand des Hauses, die Rechnungen, die Weineinkäufe und verteilte Schmiergelder an die Beamten. In den meisten Häusern gibt es eine Madame Ufld dazu eine Wirtschafterin, die die Aufsicht über die Wäsche und die Dienstmädchen hat und im oberen Stockwerk Ordnung unter den Mädchen hält. Aber Emma hatte beide Arbeiten übernommen, und es hielt sie ganz schön in Atem, wenn die Freier, wie die Gäste genannt wurden, sie auch noch in Anspruch nahmen und bedient werden mußten. Zum Unterschied von Zig zeigte Emma niemals eine Gemütsregung oder gar Zorn. Sie schlug nicht, sie zwickte. Unter ihrer unerschütterlich ruhigen Oberfläche war sie ein bißchen verrückt. Sie war eine „Seekapitänstochter", wie sie stolz von sich behauptete. Sie verachtete die Sachsen und alle übrigen Deutschen. Sie sammelte Muscheln und schlief mit Zig in einem großen Schweizer Holzbett, in dessen Kopf- und Fußende Tiere, Bäume und Kobolde eingeschnitzt waren. Emma hatte immer einen besonderen Liebling unter den Mädchen, den sie streichelte, auf die Wange oder den Nacken küßte und manchmal zu sich ins Bett nahm. Sie trank nicht, rauchte aber kleine schwarze Zigarren. Sie war eine richtige „Hausfrau" und eine gute Köchin.    - Nell Kimball, Madame - Meine Mädchen, meine Häuser. Hg. Stephen Longstreet. Frankfurt am Main, Wien und Berlin 1982 (entst. ca. 1917-1932)

 

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