erücht

A. Paul Weber

- A. Paul Weber

Gerücht (2) Ich bin überzeugt, daß es ein Attentat war. Kaum war Durruti tot, da verschwanden die wichtigsten Anführer des spanischen Anarchismus aus Madrid. Das politische Klima veränderte sich über Nacht.
Viele Anarchisten sahen sich plötzlich verfolgt, überflüssig zu sagen, von wem, von den Kommunisten eben. Es war in diesen Nächten gefährlicher, in den Straßen von Madrid eine Mitgliedskarte der CNT-FAI in der Tasche zu tragen als die einer Partei der extremen Rechten.      Martinez Fraíle

Einige Tage nach dem Debakel der Anarchisten am Garabitas-Hügel fiel Durruti an der Front. Er wurde von hinten erschossen; man nahm allgemein an, daß ihn seine eigenen Leute ermordet hätten, weil er für die aktive Teilnahme der Anarchisten an der Kriegführung und für die Zusammenarbeit mit der Regierung Caballero eintrat.
Viele Anarchisten waren damals in erster Linie daran interessiert, in Spanien eine libertäre Ideal-Republik zu errichten; mit den Sozialisten, den Kommunisten oder den bürgerlichen Republikanern hatten sie nichts im Sinn. Sie dachten nicht daran, für die Regierung Caballero den Kopf hinzuhalten. Das war in ihren Augen »nicht wichtig«.      Louis Fischer

Durruti ist zweifellos einer Unbesonnenheit zum Opfer gefallen. Er kam am Nachmittag an die Front im Universitätsviertel. Es herrschte dort völlige Ruhe. Gerade deshalb war dies ein gefährlicher Moment, weil die Männer sich allzu sorglos bewegten.
Sein großer Packard hatte nahe an der Kampflinie seiner Leute gehalten. Gegenüber lag das Klinikum der Universität, ein großes, sechs- oder siebenstöckiges Gebäude, von dem aus sich ein gutes Schußfeld bot. Der Feind hielt die oberen, die Unseren die unteren Stockwerke besetzt.
Als der Feind, der offenbar sehr wachsam war, einen knappen Kilometer entfernt das Auto anhalten sah, wartete er ab, bis die Insassen ausgestiegen waren; als sie ohne Deckung im Freien standen, gab er eine Maschinengewehrgarbe ab, die Durruti tödlich und zwei seiner Begleiter weniger schwer verletzte.         Ricardo Sanz

Am folgenden Tag lief das Gerücht um, Durruti sei, als er eine panische Absetzbewegung seiner Truppen aufhalten wollte, von einem seiner Männer ermordet worden. Als sich die Todesnachricht kurz darauf bestätigte, verstärkten die Umstände, unter denen er gestorben war, unseren Schmerz um den Verlust dieses tapferen Kämpfers und Offiziers. Was seine Einheit betriffi, so ist es ihr nicht nur nicht gelungen, den Feind aus seinen Stellungen zu werfen, sondern es war umgekehrt der Gegner, der sie zurückschlug, Nach dem Tod Durrutis mußten diese Truppen sofort abgelöst werden: Sie waren für die ganze Madrider Front eine wirkliche Gefahr.  Enrique Lister

Im Grunde sind wir auf Hypothesen angewiesen. Ich weiß nur, allerdings nicht aus erster Hand, ein Bekannter hat mir das gesagt, allerdings einer, der sehr gut unterrichtet war, ich weiß also nur, daß Auguste Lecœur, einer der wichtigsten Männer der Kommunistischen Partei Frankreichs, er war bis zu seinem Ausschluß, der Stalinfrage wegen, nach Thorez der zweite Mann in der Partei — daß also dieser Lecœur, heute Antistalinist, seinen Freunden ganz offen gesagt hat, die Kommunisten seien es gewesen: sie hätten Durruti umgebracht.  Gaston Leval

Augenzeuge: Wir waren in der Straße Miguel Angel Nummer 27 stationiert, dort war Durrutis Hauptquartier. Es war das Stadtpalais des Herzogs von Sotomayor, dem Neffen des Königs Alfons XIII. Am Nachmittag, es war der 19. November, kam ein Melder von der Front. Das Klinikum war in die Hand des Feindes gefallen. Wir stiegen sofort in den Wagen. Das war um vier Uhr nachmittags, zehn vor oder zehn nach vier. Wir fuhren direkt zur Front, so nah wie möglich an das Krankenhaus, um die Lage zu prüfen. Vom am Steuer saß der Chauffeur Julio, neben ihm, wie immer, Durruti; er konnte den Rücksitz nicht leiden. Auf dem Rücksitz saßen Manzana, Bonillo und ich.
Wir führen durch die Stadt und erreichten den Moncloa-Platz über die Rosales-Promenade, gleich vor der Ecke der Straße Andrés Beyano. Wir hörten die Kugeln pfeifen. Wir hielten an, es war nicht weiterzukommen. Der Wagen bot ein zu gutes Ziel für die feindlichen Schützen. Also hielt Julio an und stieg aus, um die Lage zu erkunden. Durruti will ihm folgen, er nimmt sein Schnellfeuergewehr, einen Naranjero, macht die Tur auf und schlägt mit dem Gewehr an das Trittbrett. Das Ding geht los, der Schuß trifft ihn mitten in die Brust, ein glatter Durchschuß, aus.   - Aus: Hans Magnus Enzensberger, Der kurze Sommer der Anarchie. 1972

Gerücht (3)

Gerücht, ganz mit Zungen bemalt, tritt ein.

GERÜCHT

Die Ohren auf! Denn wer von euch verstopft
Des Hörens Tor, wenn laut Gerüchte spricht?
Ich, von dem Osten bis zum müden West
Rasch auf dem Winde reitend, mache kund,
Was auf dem Erdenball begonnen wird.
Beständge Fälschung schwebt auf meinen Zungen,
Die ich in jeder Sprache bringe vor,
Der Menschen Ohr mit falscher Zeitung stopfend.
Von Frieden red ich, während unterm Lächeln
Der Ruh versteckter Groll die Welt verwundet.
Und wer als nur Gerücht, als ich allein,
Schafft drohnde Musterung, wache Gegenwehr,
Indes das Jahr, geschwellt von anderm Leid,
Für schwanger gilt von dem Tyrannenkrieg?
Was doch nicht ist! Gerücht ist eine Pfeife,
Die Argwohn, Eifersucht, Vermutung bläst,
Und von so leichtem Griffe, daß sogar
Das Ungeheuer mit zahllosen Köpfen,
Die immer streitge, wandelbare Menge
Drauf spielen kann. Allein wozu zergliedre
Ich meinen wohlbekannten Körper so
Vor meinem Hausstand? Was will hier Gerücht?
Vor König Heinrichs Siege lauf ich her,
Der in dem blutgen Feld bei Shrewsbury
Den jungen Heißsporn und sein Heer geschlagen,
Löschend die Flamme kühner Rebellion
In der Rebellen Blut. — Was fällt mir ein,
Sogleich so wahr zu reden? Auszusprengen
Ist mein Geschäft, daß Heinrich Monmouth fiel
Unter des edlen Heißsporn grimmgem Schwert,
Und daß der König vor des Douglas Wut
Zum Tode sein gesalbtes Haupt gebeugt.
Dies hab ich durch die Landstädt ausgebreitet,
Vom königlichen Feld zu Shrewsbury
Bis hier zu dieser wurmbenagten Feste
Von rauhem Stein, wo Heißsporns alter Vater
Northumberland aus List scheinkrank verweilt.
Die Boten kommen eilig angejagt,
Und keiner meldet, als was ich gelehrt.
Schlimmer als wahres Übel ist erklungen
Falsch süße Tröstung von Gerüchtes Zungen. Ab.

- Shakespeare, König Heinrich IV., 2. Teil, Prolog

Gerücht (4)

Mitten im Erdkreis ist zwischen Land und Meer und des Himmels
Zonen ein Ort, den Teilen der Dreiwelt allen benachbart.
Alles, wo es geschehe, wie weit es entfernt sei, von dort er-
späht man's; ein jeder Laut dringt hin zum Hohl seiner Ohren.
Fama bewohnt ihn; sie wählte zum Sitz sich die oberste Stelle,
tausend Zugänge gab sie dem Haus und unzählige Luken,
keine der Schwellen schloß sie mit Türen; bei Nacht und bei Tage
steht es offen, ist ganz aus klingendem Erz, und das Ganze
tönt, gibt wieder die Stimmen und, was es hört, wiederholt es.
Nirgends ist Ruhe darin und nirgends Schweigen im Hause.
Aber es ist kein Geschrei, nur leiser Stimmen Gemurmel,
wie von den Wogen des Meeres, wenn einer sie hört aus der Ferne,
oder so wie der Ton, den das letzte Grollen des Donners
gibt, wenn Juppiter schwarzes Gewölk hat lassen erdröhnen.
Scharen erfüllen die Halle; da kommen und gehn, ein leichtes
Volk, und schwirren und schweifen, mit Wahrem vermengt, des Gerüchtes
tausend Erfindungen und verbreiten ihr wirres Gerede.
Manche von ihnen erfüllen mit Schwatzen müßige Ohren,
Andere tragen dem Nächsten es weiter, das Maß der Erdichtung
wächst, und etwas fügt ein Jeder hinzu dem Gehörten.
Töricht Vertrauen ist da, da ist voreiliger Wahn, ist
eitle Freude, da sind die sinnverwirrenden Ängste,
plötzlicher Aufruhr und Gezischel aus fraglichem Ursprung.
Aber sie selbst, sie sieht, was im Himmel, zur See und auf Erden
alles geschieht und durchforscht in der ganzen Weite das Weltrund.

-  (ov)

Gerücht (5)    Grettir hatte immer Freude daran, wenn er Darstellungen von Andren erfuhr, denn ihm konnten Meinungen über ihn nicht falsch genug sein. Und doch erregte es ihn auch wieder in der Gesamtheit, daß die Menschen soviel scharfumgrenzte, kleine Gemeinheiten zu erzählen für richtig hielten. Es waren immer hart dargestellte kleine Bilder, die sich leicht kolportieren ließen, und so kam Grettir zu der Einsicht, daß der Mensch, der dies alles war, was man von ihm sagte, einmal untergehen müßte. So kam es zu der sonderbaren, wenn auch nicht ganz ungewöhnlichen Tatsache, daß Grettir seinen Tod selbst verkündete, um eben alle diese Gerüchte außer Kraft zu setzen.   - Ernst Fuhrmann, Der Geächtete. Berlin 1983 (zuerst 1930)

Gerücht (6) Die Gerüchte erinnern uns an etwas Selbstverständliches: Wir glauben nicht an unsere Kenntnisse, weil sie wahr, begründet oder bewiesen wären. Bis zu einem gewissen Grad verhält es sich umgekehrt: Unsere Kenntnisse sind wahr, weil wir an sie glauben. Das Gerücht beweist noch einmal, falls das notwendig sein sollte, daß alle Gewißheiten gesellschaftlich bedingt sind: Wahr ist, was die Gruppe, zu der wir gehören, als wahr ansieht. Gesellschaftliches Wissen beruht auf Glauben und nicht auf Beweisen. Das darf uns nicht erstaunen: Ist die Religion nicht das schönste Beispiel für ein Gerücht?  - Jean-Noël Kapferer, Gerüchte. Das älteste Massenmedium der Welt. Berlin 1997 (zuerst 1987)

Gerücht (7)   Als Eulenspiegel von Rom zurückreiste, kam er in ein Dorf, in dem eine große Herberge war. Der Wirt war nicht zu Hause. Da fragte Eulenspiegel die Wirtin, ob sie Eulenspiegel kenne. Die Wirtin antwortete: »Nein, ich kenne ihn nicht. Aber ich habe von ihm gehört, daß er ein auserlesener Schalk ist.« Eulenspiegel sprach: »Liebe Wirtin, warum sagt Ihr, daß er ein Schalk ist, wenn Ihr ihn nicht kennt?« Die Frau sagte: »Was ist daran gelegen, daß ich ihn nicht kenne? Das macht doch nichts; die Leute sagen eben, er sei ein böser Schalk.« Eulenspiegel sprach: »Liebe Frau, hat er Euch je ein Leid angetan? Wenn er ein Schalk ist, so wißt Ihr das nur vom Hörensagen; darum wißt Ihr nichts Eigentliches von ihm zu sagen.« Die Frau sprach: »Ich sage es so, wie ich es von den Leuten gehört habe, die bei mir aus- und eingehen.« Eulenspiegel schwieg. Des Morgens stand er ganz früh auf und scharrte die heiße Asche auseinander. Dann ging er zum Bett der Wirtin und nahm sie aus dem Schlaf. Er setzte sie mit dem bloßen Arsch auf die heiße Asche, verbrannte ihr den Arsch gar sehr und sprach: »Seht, Wirtin, nun könnt Ihr von Eulenspiegel sagen, daß er ein Schalk ist. Ihr empfindet es jetzt, und Ihr habt ihn gesehen. Hieran mögt Ihr ihn erkennen.« - (eul)

Gerücht (8)  In den Arbeitervierteln und den besetzten Betrieben verbreitete sich ein Gerücht: General Carlos Prats, der dem Präsidenten Allende treu geblieben war, werde mit seinen Truppen aus dem Süden anrücken. Angeblich hatte man diese Nachricht in einem argentinischen Kurzwellenprogramm gehört. Die unmittelbare Wirkung des Gerüchts war, daß alle auf Prats warteten. Wie in Waterloo, wo die Franzosen vergebens auf Marschall Grouchy warteten ... Tatsächlich befand sich Carlos Prats in Santiago und stand unter Hausarrest. Da das Gerücht jedoch einer ausländischen, also glaubwürdigen Rundfunkstation zugeschrieben wurde, hielt es sich drei Tage. Unter solchen Umständen ist das mehr als genug, um die Niederlage einer Revolution zu bewirken.  - Jean-Noël Kapferer, Gerüchte. Das älteste Massenmedium der Welt. Berlin 1997 
 

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VB
GeruchNachrede, üble

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