Gerechtigkeit, verteilende   Einer der beiden Lehrer, Premontval nämlich, verliebte sich in seine Schülerin, und zwischen den Lehrsätzen über die Körper, die der Kugel eingeschrieben sind, wurde beiläufig ein Kind gezeugt. Der Vater Pigeon war nicht der Mann, geduldig die Richtigkeit dieser mathematischen Folgerung anzuhören. Die Lage der beiden Verliebten wurde heikel und unhaltbar. Sie gingen miteinander zu Rate. Da sie aber nichts, rein nichts besaßen, wie konnte da schon das Ergebnis ihrer Überlegungen ausfallen? Sie riefen ihren Freund Gousse zu Hilfe. Der verlor weiter kein Wort darüber. Er verkaufte alles, was er besaß, Wäsche, Kleider, Geräte, Möbel und Bücher. Den Erlös nahm er, verfrachtete die beiden Verliebten in eine Postkutsche und gab ihnen zu Pferd das Geleit bis zu den Alpen. Dort leerte er das bißchen Geld, das ihm noch verblieb, aus seiner Börse, gab es ihnen, umarmte und küßte sie, wünschte ihnen eine gute Reise und kehrte auf Schusters Rappen nach Hause zurück. Bis Lyon schlug er sich mit Betteln durch, und dort verdiente er mit der Ausmalung der Wände in einem Mönchskloster Geld genug, daß er, ohne betteln zu müssen, bis nach Paris gelangte.

- Das ist ja wunderbar!

Sicherlich. Und nach dieser heldenmütigen Tat glaubt ihr nun wohl, Gousse habe einen sittlichen Halt? Laßt euch denn eines Bessern belehren. Er besaß nicht mehr sittliche Kraft, als im Kopf eines Hechts zu finden ist.

- Das kann nicht sein!

Es ist aber so. Ich hatte ihm Arbeit verschafft. Ich über­gab ihm eine Anweisung auf achtzig Livres an meinen Sach­walter. Die Summe war in Zahlen ausgeschrieben. Was tat er? Er schrieb eine Null dahinter und ließ sich achthundert Livres auszahlen.

- Schrecklich!

Er ist nicht unehrlicher, wenn er mich bestiehlt, als er redlich ist, wenn er sein letztes Hemd für einen Freund herschenkt. Er ist ein Sonderling ohne Grundsätze. Diese achtzig Franken genügten ihm nicht, mit einem Federstrich verschaffte er sich achthundert, die er brauchte. Und all die kostbaren Bücher, die er mir schenkte?

- Was denn für Bücher ?

Ich benötigte einmal ein kostbares Buch, und er brachte es mir. Einige Zeit später mußte ich ein anderes wertvolles Buch haben, und er brachte es mir ebenfalls. Ich wollte die Bücher bezahlen, aber er nahm das Geld nicht. Da brauchte ich ein drittes. »Dieses Buch könnt Ihr nicht bekommen«, sagte er. »Ihr habt es mir zu spät gesagt. Mein Doktor an der Sorbonne ist mittlerweile gestorben.«

»Und was hat Euer Doktor an der Sorbonne mit dem Buch zu schaffen, das ich wünsche? Habt Ihr die beiden andern etwa gar aus seiner Bibliothek gestohlen?«

»Freilich!

»Ohne seine Einwilligung?«

»Ei, was brauchte ich seine Einwilligung, um eine verteilende Gerechtigkeit auszuüben? Ich habe nichts weiter getan, als daß ich diese Bücher zu größerem Nutz und Frommen den Platz wechseln ließ und sie von einem Ort, wo sie zu nichts nutze waren, an einen andern verbrachte, wo man sie nutzbringend verwendete . . .«

Und nach alledem beurteile einer das Verhalten der Menschen!     - (jak)

 

Gerechtigkeit Verteilung

 

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