- Giorgio Manganelli, Geräusche oder Stimmen. Berlin 1989
Geräuscheraten (2)
Geräuscheraten (3) Folgte eine Szene, in der ein alter Mann, als der Spätankömmling, zur Tür hereintrat, im Malerkittel, worauf, kaum merklich, der ganze Saal ihn fragend anschaute, worauf er, kaum merklich, als sollte das um des Himmels willen gar nichts bedeuten, den Kopf schüttelte. Folgte, wie im Gegenzug, eine Szene, worin einer, umringt von Kindern, und bald nicht nur von denen, den Festnarren spielte, gleichsam nach dem Motto: »Was sind die beleidigendsten Geräusche der Gegenwart?«, demgemäß unser Narr so etwas wie ein kleines Hörspiel von Geräuschen zum besten gab, von denen ein jedes jeweils zugleich die Frage nach dessen Her-Stämmen war, jedesmal auch fast auf der Stelle aus dem Umkreis beantwortet, die erste nur von einem Einzelnen, die späteren mehr und mehr im Chor: »?« - »Quietschen einer Garagentür, gefolgt vom Zuknallen.« - »?« -»Brot, das aus einem Toaster springt.« - »?« — »Kaugummiblase beim Platzen.« - »?« - »Anziehen einer Handbremse in einer stillen Seitenstraße.« - »?« - »Das Aufheulen mehrerer Mountainbike-Bremsen in einem stillen Wald.« - »?« - »Lachen in einer Talkshow.« -»?« - »Hundertschlüsselbundklirren eines, der im Leben sonst nichts zu sagen hat.« - »?« -»Zungenschnalzen eines, der sein Gegenüber abtut und dazu noch den Kopf schüttelt.« — »?« - »Das Zudonnern, im Durcheinander, von hundert grabkammerschweren Stahltüren nach dem Passieren der Sperren in den Weltbahnhöfen.« - »?« - »Das Rummsen, das Bummsen, das Krachen der drei lockeren Metallplatten damals dort in meiner Wohnstraße nachts, ein jedesmal, wenn in Abständen ein Auto darüberfuhr, die erste Lockerplatte für die unterirdischen Weltfernsehkabel, die zweite Lockerplatte für die zur Alarmzentrale führenden Alarmanlagenkabel, die dritte Lockerplatte für den Einstieg in die Atomschutzschächte.«
In der Folge eine Dialogszene mit mehreren Festgästen, zusammengeschart in
einem Winkel: »Freude stellt sich inzwischen fast nur noch ein bei dem Gedanken,
was es alles nicht gibt hier.« Der zweite: »Ein Birnbaum ohne Satellitenschüssel.«
- Ein dritter: »Kein Kriegslärm.« (War das Gelächter dazu nicht eher ein bitteres?)
- Ein vierter: »Keine Verlassenheit. Keine Alpträume. Keine Todesangst. Keine
Lebensangst. Kein Verlorengehen.« (War das Lachen dazu ...?)- Dann aber einer,
scheint es, ganz im Ernst: »Und keine Heimaterde mehr -sie sei euch daheim Zurückgebliebenen
leicht.« Und allmählich fielen die anderen ein: »Und kein Vaterland und keine
Muttersprache mehr. Und keine Besitztümer und sonstigen -tümer mehr. Und keine
Zwiebeltürme und sonstigen Türme mehr. Und das Spielen kein bloßer Zeitvertreib
mehr: Freude, ja, Freude.« -
Peter Handke, Kali. Eine Vorwintergeschichte. Frankfurt am Main 2008
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