Gepäckträger  Der verrückteste von der ganzen Familie war zweifellos der Onkel Rodolphe, der war ganz und gar verdreht. Wenn man zu ihm redete, kicherte er still in sich hinein. Er antwortete sich selbst. Das dauerte stundenlang. Er wollte immer im Freien sein. Nie hat er's in einem Laden versucht, nie in einem Büro, nicht einmal als Wächter, auch nicht bei Nacht. Auch zum Acheln blieb er lieber draußen, auf einer Bank. Er war mißtrauisch gegen jedes Daheim. Nur wenn er sehr hungrig war, kam er zu uns. Er blieb den Abend über. Er hatte nämlich zu viele Mißerfolge gehabt.

Das Hinaufschaffen von Gepäck in die Wohnung, seine Einnahmequelle, war ein Beruf, zu dem Training gehörte. Er hat ihn mehr als zwanzig Jahre lang ausgeübt. Wie ein Hase lief er hinter den Kutschen und dem Gepäck her. Seine Hochsaison war das Ferienende. Dieses Geschäft machte ihn hungrig, und natürlich durstig, Den Kutschern gefiel er. Bei Tisch benahm er sich komisch. Er erhob sich mit dem Glas in der Hand, er trank allen zu, oder er stimmte ein Lied an... mitten drin horte er auf... ohne Grund und Anlaß prustete er los, in seine Serviette hinein.

Man begleitete ihn nach Hause. Er feixte noch immer. Er wohnte in der rue Lepic, im Rendezvous du Puy-de'Dôme, in einer Kombüse zum Hof. Sein ganzer Kram lag auf dem Boden, kein einziger Stuhl war da, kein Tisch. Während der Ausstellung wurde er ‹Troubadour›. Er machte den Anreißer für Vieux Paris auf dem Quai, vor den Schenken aus Pappe. Seine Kluft bestand aus bunten Fetzen. «Treten Sie ins <MittelaIter> ein!» ... Beim Grölen erwärmte er sich, er stampfte herum. Wenn er abends zu uns zum Essen kam, herausstaffiert wie im Karneval, bereitete Mama ihm eine Wärmflasche. Er hatte immer kalte Füße. Er hat sich das Leben kompliziert, indem er sich mit einem <Flitt-chen> zusammentat, der Rosine, die in einem mit gemaltem Papier beklebten Keller nebenan auftrat und Witze erzählte. Ein unglückliches Ding, sie spuckte aus beiden Lungen. Nicht drei Monate hat es gedauert. Sie ist in ihrem Zimmer im Rendezvous gestorben. Er wollte sie nicht forttragen lassen. Er hatte ihre Tür verrammelt. Jeden Abend ging er hin und legte sich neben sie. Man merkte es am Gestank. Da ist er rasend geworden. Er begriff nicht, daß die Dinge vergehen. Mit Gewalt hat man sie begraben. Er wollte sie selbst auf einem Tragereff bis nach Pantin hinausbringen.

Schließlich bezog er wieder seinen Posten gegenüber der Esplanade, meine Mutter war entrüstet. «Mit den paar Fetzen auf dem Leib! Bei dieser Hundekälte! Ein wahres Verbrechen!» Besonders ärgerte sie, daß er seinen Überzieher nicht anzog. Er hatte einen von Papa. Man schickte mich hin, um nachzusehen, da ich klein war, brauchte ich keinen Eintritt zu bezahlen.

Er stand hinterm Gitter, als Troubadour verkleidet. Er war wieder ganz heiter geworden, der Rodolphe. «Guten Tag!» sagte er zu mir. «Tag, mein Söhnchen!... Siehst du meine Rosine, he?...» Er zeigte über die Seine hinüber, die ganze Ebene... auf einen Punkt im Nebel... «Siehst du sie?» Ich sagte «Ja». Ich wollte ihn nicht verstimmen. Meine Eltern beruhigte ich.

Ende 1913 ging er mit einem Zirkus fort. Es war nie zu erfahren, was aus ihm geworden war. Man hat ihn nie wiedergesehen.   - (tod)

 

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