Genuß, vollständiger  Herr Deibler trat auf mich zu und fragte mich mit einer Höflichkeit, die mich sehr berührte, ob ich bereit sei. Auf meine bejahende Antwort hin putzte er mich heraus, wie man die zum Tode Verurteilten gewöhnlich herausputzt. Nach Beendigung der

Toilette ging ich, von Herrn Deibler und meinem Verteidiger gestützt, zur Guillotine, neben der die Gehilfen standen. Wir drei sangen „Die Wacht am Rhein". In der Ferne verzerrte ein Pianola Beethovens V. Symphonie.

Als ich gerade das Kippbrett betreten wollte, bat ich darum, telephonieren zu dürfen. „Mit wem?", fragte mich Herr Deibler. „Es ist egal", sagte ich ihm, „ich will einfach telephonieren!" Er wollte es mir nicht versagen. Ich wählte irgendeine Nummer. Es war die eines Admirals, der mir, ohne mich auch nur zu Wort kommen zu lassen, ankündigte, daß er dabei sei, Paris zu verlassen, um an Bord zu gehen. Er sollte an Seemanövern im Mittelmeer teilnehmen. Ich hing ein. Man warf mich auf das Kippbrett. Ich befand mich in demselben Zustand sexueller Erregung wie in dem Augenblick, als ich die Guillotine erblickt hatte. Herr Deibler bemerkte es und erteilte einem seiner Gehilfen den Befehl, mich zu befriedigen.

„Da er gleich sterben wird und es hier keine Frauen gibt", sagte er, „dürfen Sie ihn wohl befriedigen."

Nie in meinem Leben hatte ich einen so vollständigen Genuß; allerdings mußte ich gleich sterben. Und tatsächlich, einige Minuten später fiel das Beil auf meinen Kopf. Gerechtigkeit war geübt worden, wie man so sagt...   - Benjamin Péret, Die letzte Nacht eines zum Tode Verurteilten. Nach: B. P., Die Schande der Dichter. Prosa, Lyrik, Briefe. Hamburg 1985

 

Genuß Vollständigkeit

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme