entleman  »Mein Freund, ich möchte dennoch ein Gentleman sein und wünsche, daß man mich auch als solchen behandelt«, begann der Gast in einem Anfall echt schmarotzerhaften und schon im voraus zu Kompromissen bereiten, gutmütigen Ehrgefühls. »Ich bin arm, aber . .. ich will nicht sagen, daß ich sehr ehrenhaft sei, aber... gewöhnlich gilt es in der Gesellschaft als Axiom, ich sei ein gefallener Engel. Bei Gott, ich kann mir nicht vorstellen, wie ich jemals ein Engel sein konnte. Wenn ich es auch einst war, so ist das so lange her, daß es keine Sünde ist, es vergessen zu haben. Jetzt lege ich nur Wert auf den Ruf eines anständigen Menschen und lebe, wie es sich gerade trifft, wobei ich mich bemühe, angenehm zu sein. Ich liebe die Menschen aufrichtig - oh, man hat mich in vielem verleumdet! Hier verläuft, wenn ich zeitweise zu euch übersiedle, mein Leben wie ein wirkliches, und das gefällt mir am meisten. Denn auch ich leide, ebenso wie du, unter dem Phantastischen, und darum liebe ich euren irdischen Realismus. Hier bei euch ist alles klar umrissen; hier gibt es Formeln, hier gibt es Geometrie, bei uns aber nur lauter unbestimmte Gleichungen! Hier gehe ich umher und träume. Ich träume gern. Außerdem werde ich auf Erden abergläubisch - lache, bitte, nicht: gerade das gefällt mir, daß ich abergläubisch werde. Ich nehme hier alle eure Gewohnheiten an: ich gehe gern ins öffentliche Dampfbad, kannst du dir das vorstellen, und ich liebe es, zusammen mit Kaufleuten und Popen dort zu schwitzen. Mein Traum ist, mich zu verkörpern, aber so, daß es endgültig sei, unwiderruflich, irgendeine dicke, sieben Pud schwere Kaufmannsfrau zu werden und an alles zu glauben, woran sie glaubt. Mein Ideal ist, in die Kirche zu gehen und dort aus reinem Herzen eine Kerze aufzustellen, bei Gott, es ist so. Dann hätten meine Leiden ein Ende. Auch ärztlich behandeln lasse ich mich bei euch gern: im Frühjahr herrschten die Blattern, und ich ging hin und ließ mich im Waisenhaus impfen - wenn du nur wüßtest, wie zufrieden ich an jenem Tage war; ich spendete für meine slawischen Brüder zehn Rubel !... Aber du hörst ja nicht zu l Weißt du, du bist heute gar nicht recht bei Laune.« Der Gentleman schwieg eine Weile. »Ich weiß, daß du gestern bei jenem Arzt warst... nun, wie ist dein Befinden? Was hat dir der Doktor gesagt?«

»Dummkopf!l« sagte Iwan kurz.

»Aber dafür bist du klug, und wie!l Schimpfst du schon wieder? Ich frage doch nicht aus Teilnahme, sondern nur so. Bitte, du brauchst nicht zu antworten. Jetzt gibt es wieder viel Rheumatismus...«

»Dummkopf l« wiederholte Iwan.

»Du sagst immer dasselbe; ich aber habe im vorigen Jahr einen solchen Rheumatismus bekommen, daß ich heute noch daran denke.«

»Kann denn der Teufel Rheumatismus haben?« »Warum denn nicht, wenn ich mich manchmal verkörpere? Wenn ich mich verkörpere, nehme ich auch die Folgen auf mich. Satanas sum et nihil humani a me alienum puto.«

»Wie? Was? Satanas sum et nihil humani... Das ist gar nicht dumm für den Teufel !«

»Ich freue mich, daß ich es dir endlich recht gemacht habe.«  - Fjodor M. Dostojewskij, Die Brüder Karamasow. München 1978 (dtv 2043, zuerst 1879)

Gentleman (2)  Sie waren in den Geographie- und Geschichtsstunden schlagfertig und witzig wie nie. Besonders Miles hatte sich offenbar vorgenommen, mir zu zeigen, wie leicht er mich ›hineinlegen‹ konnte. Dieses Kind ist in meiner Erinnerung von einer unaussprechlichen Aura aus Glanz und Elend umgeben; es lag in allem, was er tat, eine so einzigartige Vornehmheit, daß er — für uneingeweihte Augen — der unbefangenste, ritterlichste kleine Gentleman war, den man sich denken konnte.

Ich selber mußte mich trotz meines besseren Wissens ständig in acht nehmen, nicht in staunendes Anschauen zu versinken; mußte mir den kalt prüfenden Blick und den entmutigten Seufzer gleichermaßen verbieten, mit denen ich das Rätsel: wie dieser kleine Gentleman sich je habe strafbar machen können, im selben Atem lösen wollte und es gleichzeitig aufgeben mußte. Angenommen, er habe wirklich durch den finstern Spuk, um den ich wußte, einen Blick ins tiefste Herz des Bösen getan, so verlangte doch mein ganzes nach Gerechtigkeit dürstendes Gemüt qualvoll nach einem Beweis: ob er jemals wirklich etwas Böses getan habe.

Jedenfalls war es ein vollendeter kleiner Kavalier, der an jenem schrecklichen Abend — wir hatten früh zu Mittag gegessen — zu mir kam und mich fragte, ob er mir für eine halbe Stunde etwas vorspielen dürfe. David vor Saul die Harfe schlagend hätte sich nicht zartfühlender einschmeicheln können. - Henry James,  Bis zum Äußersten. Frankfurt am Main 1962 (zuerst 1898)
 

 

Herr

 

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