entleman,
russischer
So saß er jetzt da, war sich beinahe selber dessen bewußt, daß er im Fieber
phantasierte, und blickte, wie bereits gesagt, unverwandt nach einem Gegenstand
auf dem Sofa an der Wand gegenüber. Dort saß auf einmal jemand, der Gott weiß
wie hereingekommen war; denn er war noch nicht im Zimmer gewesen, als Iwan Fjodorowitsch
von Smerdjakow zurückkam und den Raum betrat. Es war ein Herr oder, besser gesagt,
ein russischer Gentleman von einer bestimmten Sorte, schon nicht mehr jung,
»qui frisait la cinquantaine«, wie die Franzosen sagen, mit nicht allzu viel
Grau in dem dunklen, reichlich langen und dichten Haar und in dem kleinen Spitzbart.
Er trug einen braunen Rock, der offenbar vom besten Schneider gearbeitet, aber
schon abgetragen war; er mochte vor ungefähr drei Jahren angefertigt sein und
war daher ganz unmodern: wohlhabende Herren der besseren Gesellschaft trugen
schon seit zwei Jahren nicht mehr solche Röcke. Die Wäsche, die lange Krawatte
in Form einer Schärpe - das alles war so wie bei anderen eleganten Gentlemen;
aber wenn man näher hinsah, war die Wäsche etwas unsauber und die breite Krawatte
sehr abgewetzt. Die karierten Hosen des Gastes saßen vortrefflich, waren aber
zu hell und zu eng, wie man sie nicht mehr trug; ebenso unmodern war der weiße
weiche Filzhut des Gastes, auch entsprach er gar nicht der Jahreszeit. Kurz
und gut, das Äußere machte den Eindruck der Wohlanständigkeit bei sehr geringen
Geldmitteln. Es sah so aus, als gehörte der Gentlertian zu der Gattung nichtstuender
ehemaliger Gutsbesitzer, wie sie noch in der Zeit der Leibeigenschaft gediehen;
offenbar hatte er die Welt und die gute Gesellschaft gekannt, hatte seinerzeit
Verbindungen gehabt und sie wohl noch bis heute bewahrt, war aber nach einem
fröhlichen Leben in der Jugend und der Abschaffung der Leibeigenschaft allmählich
verarmt und hatte sich in eine Art von besserem Schmarotzer verwandelt, der
bei guten alten Bekannten umherzigeunert, die ihn wegen seines friedfertigen,
verträglichen Charakters und außerdem noch deshalb aufnehmen, weil er ja immerhin
ein anständiger Mensch ist, den man sogar in der besten Gesellschaft an den
Tisch setzen kann, wenn auch nur an einen bescheidenen Platz. Solche Schmarotzer,
Gentlemen von friedfertigem Charakter, die es verstehen, Geschichten zu erzählen,
Partner beim Kartenspiel zu sein, und es gar nicht lieben, Aufträge auszuführen,
wenn man ihnen solche gibt, stehen gewöhnlich allein; sie sind entweder Junggesellen
oder Witwer, vielleicht haben sie auch Kinder; doch diese Kinder werden immer
irgendwo in weiter Ferne erzogen, bei irgendwelchen Tanten, die der Gentleman
in anständiger Gesellschaft fast nie erwähnt, als schämte er sich etwas einer
solchen Verwandtschaft. Den Kindern entfremdet er sich allmählich völlig, denn
er erhält von ihnen nur dann und wann Glückwunschbriefe Zum Namenstag oder zu
Weihnachten; er beantwortet diese Briefe sogar manchmal. - Das Gesicht
des unerwarteten Gastes war zwar nicht gerade gutmütig,
aber doch friedlich und je nach den Umständen zu jeglichem liebenswürdigen Ausdruck
bereit. Eine Uhr trug er nicht, wohl aber ein Schildpattlorgnon an einem schwarzen
Band. Am Mittelfinger der rechten Hand prangte ein massiver goldener Ring mit
einem billigen Opal. Iwan Fjodorowitsch schwieg zornig und wollte kein Gespräch
beginnen. Der Gast wartete und saß genauso da wie ein Schmarotzer,
der eben erst aus dem ihm im oberen Stockwerk angewiesenen Zimmer zum Tee heruntergekommen
ist, um dem Herrn des Hauses Gesellschaft zu leisten. - Fjodor M.
Dostojewskij, Die Brüder Karamasow. München 1978 (dtv 2043, zuerst 1879)
Gentleman,
russischer
(2) Äußerlich war er am besten mit einem Wort
charakterisiert - ein Gentleman. Groß, schön, gut erzogen, stets korrekt, sauber,
höchst ehrenhaft, besaß er ein vollkommenes Gefühl für Humor, ein nicht minder
vollkommenes Gefühl für das Wort und ein literarisches Gehör.
In der Redaktion gab es ein großes schwarzes Sofa. Charms setzte sich mit
der ewigen Pfeife in eine Ecke. Er schwieg. Dann holte er ein Blatt Papier hervor
und begann ohne Vorrede mit etwas in der Art wie: ›Einmal kam Puschkin zu Gogol
...‹
Gleich darauf lachten die ganze Redaktion und die Besucher schallend. Wenn
Charms fertig war, steckte er das Blatt ebenso gelassen ein und verstummte.
- Nina Gernet, Nachwort zu (
charms
)