emütlichkeit  Es gibt Zeiten, in denen die einzig erfreuliche Stimmungslage des Humors die des blutigen Humores ist und in denen es ein gut Ding um die deutsche Galle wäre. Dies ist freilich fast ein Widerspruch in sich; eine Spur davon scheint nur in den grimmigen Liedern, mit denen die alten Landsknechte im wütenden Übermut angriffen, zurückgeblieben zu sein. »Schweizer, ich scheiß dir ein‘ Dreck auf den Bart!« Es scheint fast, als ob wir uns so prächtige Kerle wie einen Herzog Alba oder wie sie El Greco mit Farben wie aus Blut und Galle gemischt auf die Leinwand brachte, immer von außerhalb verschreiben müßten. Eigentlich gab nur der Sturm und Drang unserer Jugend einmal eine Stimmung, die die Zone durchbricht, innerhalb deren man Spaß versteht — Schiller, als er sich noch für den Karl Moor begeisterte, Klinger, dessen Helden sich so wenig zu lassen wissen, daß sie sich am liebsten in eine Pistole laden und in die Luft knallen lassen möchten, später Grabbe, dessen Herzog von Gotland eine der besten Ohrfeigen in das Gesicht der Gemütlichkeit ist. Man sollte das künstlich züchten, wie man in den Alpendistrikten das Wachstum der Schilddrüse zu fördern sucht, indem man das Salz mit Jodpräparaten versetzt.

Vielleicht wäre es gut, das Bier anstatt mit Hopfen mit Stechapfelkörnern zu bittern oder mit jenen Fliegenpilzen, mit deren Aufgüssen sich der Lappländer bösartige Flugträume verschafft.  - (ej)

Gemütlichkeit (2) Wir sprechen eben von den tollen, fratzenhaften Gestalten, wie sie sich auf dem Korso umhertreiben; da kann ich wenigstens so ungefähr ein Gleichnis anknüpfen. - Seh' ich solch einen tollen Kerl durch greuliche Grimassen das Volk zum Lachen reizen, so kommt es mir vor, als spräche ein ihm sichtbar gewordenes Urbild zu ihm, aber er verstände die Worte nicht und ahme, wie es im Leben zu geschehen pflegt, wenn man sich müht, den Sinn fremder, unverständlicher Rede zu fassen, unwillkürlich die Gesten jenes sprechenden Urbildes nach, wiewohl auf übertriebene Weise, der Mühe halber, die es kostet. Unser Scherz ist die Sprache jenes Urbildes selbst, die aus unserm Innern heraustönt und den Gestus notwendig bedingt durch jenes im Innern liegende Prinzip der Ironie, so wie das in der Tiefe liegende Felsstück den darüber fortströmenden Bach zwingt, auf der Oberfläche kräuselnde Wellen zu schlagen. - Glaubt ja nicht, Meister Celionati, daß ich keinen Sinn habe für das Possenhafte, das eben nur in der äußern Erscheinung liegt und seine Motive nur von außen her erhält, und daß ich Euerm Volk nicht eine überwiegende Kraft einräume, eben dies Possenhafte ins Leben treten zu lassen. Aber verzeiht, Celionati, wenn ich auch dem Possenhaften, soll es geduldet werden, einen Zusatz von Gemütlichkeit für notwendig erkläre, den ich bei euern komischen Personen vermisse. Das Gemütliche, was unsern Scherz rein erhält, geht unter in dem Prinzip der Obszönität, das eure Pulcinelle und hundert andere Masken der Art in Bewegung setzt, und dann blickt mitten durch alle Fratzen und Possen jene grauenhafte, entsetzliche Furie der Wut, des Hasses, der Verzweiflung hervor, die euch zum Wahnsinn, zum Morde treibt. Wenn an jenem Tage des Karnevals, an dem jeder ein Licht trägt und jeder versucht, dem andern das Licht auszublasen, wenn dann im tollsten, ausgelassensten Jubel, im schallendsten Gelächter der ganze Korso erbebt von dem wilden Geschrei: ›Ammazzato sia, chi non porta moccolo‹, glaubt nur, Celionati, daß mich dann in demselben Augenblick, da ich, ganz hingerissen von der wahnsinnigen Lust des Volks, ärger als jeder andere um mich her blase und schreie: ›Ammazzato sia!‹ unheimliche Schauer erfassen, vor denen jene Gemütlichkeit, die nun einmal unserm deutschen Sinn eigen, ja gar nicht aufkommen kann.« - E. T. A. Hoffmann, Prinzessin Brambilla. Ein Capriccio nach Jakob Callot (zuerst 1820)

Gemütlichkeit (3)  Unsere Art zu wohnen steht — wie bekannt — in einem prinzipiellen Gegensatz zu der englischen.

In einer sogenannten Mietskaserne befindet sich im I. Stockwerk eine Wohnung zu 500 Talern Miete, im Erdgeschoß und II. Stockwerk je zwei Wohnungen zu 200 Talern, im III. Stockwerk je zwei Wohnungen zu 150 Talern, im IV. drei Wohnungen à 100 Taler, im Keller, auf dem Bodenraum, im Hinterhaus oder dergleichen noch mehrere Wohnungen à 50 Taler. In einer englischen Stadt finden wir im Westend oder irgendwo anders, aber zusammenliegend, die Villen und einzelnen Häuser der wohlhabenden Klasse, in den anderen Stadtteilen die Häuser der ärmeren Bevölkerung, immer in Gruppen nach dem Vermögen der Besitzer zusammenliegend, ganze Stadtteile dabei lediglich von der Arbeiterbevölkerung bewohnt. Wer möchte nun bezweifeln, daß die reservierte Lage der je wohlhabenderen Klassen und Häuser Annehmlichkeiten genug bietet, aber — wer kann auch sein Auge der Tatsache verschließen, daß die ärmere Klasse vieler Wohltaten verlustig geht, die ein Durcheinanderwohnen gewährt. Nicht ›Abschließung‹, sondern ›Durchdringung‹ scheint mir aus sittlichen und darum aus staatlichen Rücksichten das Gebotene zu sein. In der Mietskaserne gehen die Kinder aus den Kellerwohnungen in die Freischule über denselben Hausflur wie diejenigen des Rats oder Kaufmanns auf dem Weg nach dem Gymnasium. Schusters Wilhelm aus der Mansarde und die alte bettlägerige Frau Schulz im Hinterhaus, deren Tochter durch Nähen oder Putzarbeiten den notdürftigen Lebensunterhalt besorgt, werden in dem I. Stockwerk bekannte Persönlichkeiten. Hier ist ein Teller Suppe zur Stärkung bei Krankheit, da ein Kleidungsstück, dort die wirksame Hilfe zur Erlangung freien Unterrichtes oder dergleichen, und alles das, was sich als das Resultat der gemütlichen Beziehungen zwischen den gleichgearteten und wenn auch noch so verschieden situierten Bewohnern herausstellt, eine Hilfe, welche ihren veredelnden Einfluß auf den Geber ausübt. Und zwischen diesen extremen Gesellschaftsklassen bewegen sich die Ärmeren aus dem III. und IV. Stock, Gesellschaftsklassen von der höchsten Bedeutung für unser Kulturleben, der Beamte, der Künstler, der Gelehrte, der Lehrer usw. In diesen Klassen wohnt vor allem die geistige Bedeutung unseres Volkes. Zur steten Arbeit, zur häufigen Entsagung gezwungen und sich selbst zwingend, um den in der Gesellschaft erkämpften Raum nicht zu verlieren, womöglich ihn zu vergrößern, sind sie in Beispiel und Lehre nicht genug zu schätzende Elemente und wirken fördernd, anregend und somit für die Gesellschaft nützlich, und wäre es fast nur durch ihr Dasein und stummes Beispiel auf diejenigen, die neben ihnen und mit ihnen untermischt wohnen.

Ein englisches Arbeiterviertel betritt der Polizeibeamte und der Sensationsdichter. Wenn die junge Lady seinen alarmierenden Roman gelesen hat, bricht sie wohl in Schluchzen aus, läßt anspannen und fährt in die von ihresgleichen nie betretene Gegend, nach welcher der Kutscher kopfschüttelnd den Weg sucht. In der Regel wird das Bad zu stark für ihre Nerven sein; sie schaudert vor der Armut; sie schaudert vor der Schlechtigkeit und dem Verbrechen, welche überall die Begleiter der sich selbst überlassenen Armut sind, fährt zurück, um nie wieder die schreckliche Gegend zu sehen, und salviert ihre Seele durch einen Geldbeitrag an eine Armenkommission. - James Hobrecht, Über die öffentliche Gesundheitspflege. Stettin 1868. Nach: Werner Hegemann, Das steinerne Berlin. Berlin 1992 (zuerst 1930)

Gemütlichkeit (4)

Gemütlichkeit (5)  Heut erinnere ich, wie Sohn Philip dies Bedürfnis in entsprechendem Alter auf seine Weise befriedigte — auf eine verblüffend einfache Weise: er nahm sich manchmal, wo er just stand oder saß, eine Fußmatte oder einen kleinen Teppich, rollte sich, Mittelfinger im Mund, auf diesem Territorium zusammen, daß kein Teil seines Körpers über den Rand dieser Unterlage hinausragte — um dann ganz vorsichtig und in seiner beherrscht nervösen Zuckelart eine Schuhspitze zum Beispiel, unsagbar behutsam und langsam, über die Grenze seiner Sicherheit hinauszuschieben, über die Mauer seiner Burg sozusagen hinaus oder was weiß ich. Und dazu flüsterte er dann über den Lutschflnger hinweg, gedehnt und wohlig seufzend, das Wort: Gemüüütlich!  - (jan)

Gemütlichkeit (6)  Ich meine, daß die wahrhafte teutsche Gemütlichkeit sich recht in der Art ausspricht, wie der leidige Satan dargestellt wird im menschlichen Leben hantierend. Er versteht sich auf alles Unheil, Grauen und Entsetzen, auf alle Verführungskünste, er vergißt nicht den frommen Seelen nachzustellen, um so viele als möglich für sein Reich zu gewinnen; aber dabei ist er doch ein ganz ehrlicher Mann, denn auf das genaueste, pünktlichste hält er sich an den geschlossenen Kontrakt, und so kommt es denn, daß er gar oft überlistet wird und wirklich als dummer Teufel erscheint, woher denn auch die Redensart kommen mag: das ist ein dummer Teufel! - Aber noch mehr, der Charakter des teutschen Satans hat eine wunderbare Beimischung des Burlesken, durch die das eigentlich sinnverstörende Grauen, das Entsetzen, das die Seele zermalmt, aufgelöst, verquickt wird.  - E. T. A. Hoffmann, Die Serapionsbrüder (zuerst 1819 ff.)

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