Vielleicht wäre es gut, das Bier anstatt mit
Hopfen mit Stechapfelkörnern zu bittern oder mit jenen Fliegenpilzen, mit
deren Aufgüssen sich der Lappländer bösartige Flugträume
verschafft. - (
ej
)
Gemütlichkeit (2) Wir sprechen eben von den tollen,
fratzenhaften Gestalten, wie sie sich auf dem Korso umhertreiben; da kann
ich wenigstens so ungefähr ein Gleichnis anknüpfen. - Seh' ich solch einen
tollen Kerl durch greuliche Grimassen das Volk zum Lachen
reizen, so kommt es mir vor, als spräche ein ihm sichtbar gewordenes Urbild
zu ihm, aber er verstände die Worte nicht und ahme, wie es im Leben zu
geschehen pflegt, wenn man sich müht, den Sinn fremder, unverständlicher
Rede zu fassen, unwillkürlich die Gesten jenes sprechenden Urbildes nach,
wiewohl auf übertriebene Weise, der Mühe halber, die es kostet. Unser Scherz
ist die Sprache jenes Urbildes selbst, die aus unserm Innern heraustönt
und den Gestus notwendig bedingt durch jenes im Innern liegende Prinzip
der Ironie, so wie das in der Tiefe liegende Felsstück den darüber fortströmenden
Bach zwingt, auf der Oberfläche kräuselnde Wellen zu schlagen. - Glaubt
ja nicht, Meister Celionati, daß ich keinen Sinn habe für das Possenhafte,
das eben nur in der äußern Erscheinung liegt und seine Motive nur von außen
her erhält, und daß ich Euerm Volk nicht eine überwiegende Kraft einräume,
eben dies Possenhafte ins Leben treten zu lassen. Aber verzeiht, Celionati,
wenn ich auch dem Possenhaften, soll es geduldet werden, einen Zusatz von
Gemütlichkeit für notwendig erkläre, den ich bei euern komischen Personen
vermisse. Das Gemütliche, was unsern Scherz rein erhält, geht unter in
dem Prinzip der Obszönität, das eure Pulcinelle und hundert andere Masken
der Art in Bewegung setzt, und dann blickt mitten durch alle Fratzen und
Possen jene grauenhafte, entsetzliche Furie der
Wut, des Hasses, der Verzweiflung
hervor, die euch zum Wahnsinn, zum Morde treibt. Wenn an jenem Tage des
Karnevals, an dem jeder ein Licht trägt und jeder versucht, dem andern
das Licht auszublasen, wenn dann im tollsten, ausgelassensten Jubel, im
schallendsten Gelächter der ganze Korso erbebt von dem wilden Geschrei:
›Ammazzato sia, chi non porta moccolo‹, glaubt nur, Celionati, daß mich
dann in demselben Augenblick, da ich, ganz hingerissen von der wahnsinnigen
Lust des Volks, ärger als jeder andere um mich her blase und schreie: ›Ammazzato
sia!‹ unheimliche Schauer erfassen, vor denen jene Gemütlichkeit, die nun
einmal unserm deutschen Sinn eigen, ja gar nicht aufkommen kann.« -
E. T. A. Hoffmann, Prinzessin Brambilla. Ein Capriccio nach Jakob Callot (zuerst 1820)
Gemütlichkeit (3) Unsere Art zu wohnen steht — wie bekannt — in einem prinzipiellen Gegensatz zu der englischen.
In einer sogenannten Mietskaserne befindet sich im I. Stockwerk eine Wohnung zu 500 Talern Miete, im Erdgeschoß und II. Stockwerk je zwei Wohnungen zu 200 Talern, im III. Stockwerk je zwei Wohnungen zu 150 Talern, im IV. drei Wohnungen à 100 Taler, im Keller, auf dem Bodenraum, im Hinterhaus oder dergleichen noch mehrere Wohnungen à 50 Taler. In einer englischen Stadt finden wir im Westend oder irgendwo anders, aber zusammenliegend, die Villen und einzelnen Häuser der wohlhabenden Klasse, in den anderen Stadtteilen die Häuser der ärmeren Bevölkerung, immer in Gruppen nach dem Vermögen der Besitzer zusammenliegend, ganze Stadtteile dabei lediglich von der Arbeiterbevölkerung bewohnt. Wer möchte nun bezweifeln, daß die reservierte Lage der je wohlhabenderen Klassen und Häuser Annehmlichkeiten genug bietet, aber — wer kann auch sein Auge der Tatsache verschließen, daß die ärmere Klasse vieler Wohltaten verlustig geht, die ein Durcheinanderwohnen gewährt. Nicht ›Abschließung‹, sondern ›Durchdringung‹ scheint mir aus sittlichen und darum aus staatlichen Rücksichten das Gebotene zu sein. In der Mietskaserne gehen die Kinder aus den Kellerwohnungen in die Freischule über denselben Hausflur wie diejenigen des Rats oder Kaufmanns auf dem Weg nach dem Gymnasium. Schusters Wilhelm aus der Mansarde und die alte bettlägerige Frau Schulz im Hinterhaus, deren Tochter durch Nähen oder Putzarbeiten den notdürftigen Lebensunterhalt besorgt, werden in dem I. Stockwerk bekannte Persönlichkeiten. Hier ist ein Teller Suppe zur Stärkung bei Krankheit, da ein Kleidungsstück, dort die wirksame Hilfe zur Erlangung freien Unterrichtes oder dergleichen, und alles das, was sich als das Resultat der gemütlichen Beziehungen zwischen den gleichgearteten und wenn auch noch so verschieden situierten Bewohnern herausstellt, eine Hilfe, welche ihren veredelnden Einfluß auf den Geber ausübt. Und zwischen diesen extremen Gesellschaftsklassen bewegen sich die Ärmeren aus dem III. und IV. Stock, Gesellschaftsklassen von der höchsten Bedeutung für unser Kulturleben, der Beamte, der Künstler, der Gelehrte, der Lehrer usw. In diesen Klassen wohnt vor allem die geistige Bedeutung unseres Volkes. Zur steten Arbeit, zur häufigen Entsagung gezwungen und sich selbst zwingend, um den in der Gesellschaft erkämpften Raum nicht zu verlieren, womöglich ihn zu vergrößern, sind sie in Beispiel und Lehre nicht genug zu schätzende Elemente und wirken fördernd, anregend und somit für die Gesellschaft nützlich, und wäre es fast nur durch ihr Dasein und stummes Beispiel auf diejenigen, die neben ihnen und mit ihnen untermischt wohnen.
Ein englisches Arbeiterviertel betritt der Polizeibeamte und der Sensationsdichter.
Wenn die junge Lady seinen alarmierenden Roman gelesen
hat, bricht sie wohl in Schluchzen aus, läßt anspannen
und fährt in die von ihresgleichen nie betretene Gegend, nach welcher der Kutscher
kopfschüttelnd den Weg sucht. In der Regel wird das Bad zu stark für ihre Nerven
sein; sie schaudert vor der Armut; sie schaudert vor der Schlechtigkeit und
dem Verbrechen, welche überall die Begleiter der sich selbst überlassenen Armut
sind, fährt zurück, um nie wieder die schreckliche Gegend zu sehen, und salviert
ihre Seele durch einen Geldbeitrag an eine Armenkommission. - James Hobrecht,
Über die öffentliche Gesundheitspflege. Stettin 1868. Nach: Werner Hegemann,
Das steinerne Berlin. Berlin 1992 (zuerst 1930)
Gemütlichkeit (4)
Gemütlichkeit (5) Heut erinnere ich, wie Sohn
Philip dies Bedürfnis in entsprechendem Alter auf seine Weise befriedigte
— auf eine verblüffend einfache Weise: er nahm sich manchmal, wo er just
stand oder saß, eine Fußmatte oder einen kleinen Teppich, rollte sich,
Mittelfinger im Mund, auf diesem Territorium zusammen, daß kein Teil seines
Körpers über den Rand dieser Unterlage hinausragte — um dann ganz vorsichtig
und in seiner beherrscht nervösen Zuckelart eine Schuhspitze zum Beispiel,
unsagbar behutsam und langsam, über die Grenze seiner Sicherheit
hinauszuschieben, über die Mauer seiner Burg sozusagen hinaus oder was
weiß ich. Und dazu flüsterte er dann über den Lutschflnger hinweg, gedehnt
und wohlig seufzend, das Wort: Gemüüütlich! -
(jan)
Gemütlichkeit (6) Ich meine, daß die wahrhafte
teutsche Gemütlichkeit sich recht in der Art ausspricht, wie der leidige Satan
dargestellt wird im menschlichen Leben hantierend. Er versteht sich auf alles
Unheil, Grauen und Entsetzen, auf alle Verführungskünste,
er vergißt nicht den frommen Seelen nachzustellen, um so viele als möglich für
sein Reich zu gewinnen; aber dabei ist er doch ein ganz ehrlicher Mann, denn
auf das genaueste, pünktlichste hält er sich an den geschlossenen Kontrakt,
und so kommt es denn, daß er gar oft überlistet wird und wirklich als dummer
Teufel erscheint, woher denn auch die Redensart kommen mag: das ist ein
dummer Teufel! - Aber noch mehr, der Charakter des teutschen Satans hat eine
wunderbare Beimischung des Burlesken, durch die das eigentlich sinnverstörende
Grauen, das Entsetzen, das die Seele zermalmt,
aufgelöst, verquickt wird. - E. T. A. Hoffmann, Die Serapionsbrüder
(zuerst 1819 ff.)
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