emeinnutz Von der Flora sagte man, sie sei die feinste und erfolgreichste Kurtisane gewesen, die je in Rom oder anderswo die Hurenschaft ausübte! Und ihren Ruf erhöhte noch, daß sie aus gutem Hause und einem vornehmen Geschlecht stammte, denn derartige Frauen von so hohem Rang gefallen gewöhnlich mehr, und ein Zusammentreffen mit ihnen ist exzellenter als eines mit anderen. Auch hatte Frau Flora das Gute, und darin war sie Lais überlegen: Diese gab sich jedermann preis wie eine Vettel, Flora nur den Vornehmen; sie hatte sogar an ihrer Tür einen Anschlag gemacht:
›Eintritt für Könige, Häuptlinge,
Diktatoren, Konsuln,
Zensoren,
Oberpriester, Quästoren, Gesandte
und andere große Herren.
Sonst Eintritt verboten‹
Lais ließ sich stets voraus bezahlen, Flora nicht; sie sagte, sie verhielte sich den Großen gegenüber aus dem Grunde so, damit sie sich auch ihr gegenüber als große und vornehme Leute benähmen; und dann wird ja auch eine Frau von großer Schönheit und edlem Herkommen stets so hochgeachtet, als sie sich selbst schätzt; daher nahm Flora nur, was man ihr gab, wenn sie sagte, jede feine Dame müsse ihrem Liebhaber aus Liebe Liebes tun, nicht aus Habsucht, weil alle Dinge ihren bestimmten Preis hätten, nur die Liebe nicht.
Kurz, sie betrieb zu ihrer Zeit die Liebe so artig und ließ sich so tüchtig bedienen, daß es, wenn sie manchmal ihre Wohnung verließ, um in der Stadt spazierenzugehen, für einen Monat lang genug von ihr zu reden gab, von ihrer Schönheit, von ihrem schönen und reichen Schmuck, von ihrem stolzen Wesen, ihrer Anmut wie auch von dem großen Gefolge von Höflingen, Liebhabern und großen Herren, die bei ihr waren, die ihr folgten und sie wie Sklaven begleiteten, was sie geduldig ertrug. Und wenn die fremden Gesandten in ihre Länder zurückkehrten, dann freute es sie mehr, von der Schönheit und von der Einzigartigkeit der schönen Flora zu erzählen als von der Größe der römischen Republik; besonders rühmten sie ihre große Freigebigkeit, die doch der Gemütsart solcher Frauen zuwiderläuft; ihre Vornehmheit hob sie aber auch wirklich über das Gewöhnliche hinaus.
Endlich starb sie so reich und so vermögend, daß der Wert ihres Silbers,
ihrer Möbel und Juwelen hinreichte, die Mauern Roms wieder aufzubauen und dazu
noch Schulden der Republik abzutragen. - (
brant
)
Gemeinnutz (2) Die Natur
will immer gemeinnützig sein, aber sie versteht es nicht, zu diesem Zwecke die
besten und geschicktesten Mittel und Handhaben zu finden: das ist ihr großes
Leiden, deshalb ist sie melancholisch. Daß sie
den Menschen durch die Erzeugung des Philosophen und des Künstlers das Dasein
deutsam und bedeutsam machen wollte, das ist bei ihrem eignen erlösungsbedürftigen
Drange gewiß; aber wie ungewiß, wie schwach und matt ist die Wirkung, welche
sie meisthin mit den Philosophen und Künstlern erreicht! Wie selten bringt sie
es überhaupt zu einer Wirkung! Besonders in Hinsicht des Philosophen ist ihre
Verlegenheit groß, ihn gemeinnützig anzuwenden; ihre Mittel scheinen nur Tastversuche,
zufällige Einfälle zu sein, so daß es mit ihrer Absicht unzählige Male mißlingt
und die meisten Philosophen nicht gemeinnützig werden. Das Verfahren der Natur
sieht wie Verschwendung aus; doch ist es nicht die Verschwendung einer frevelhaften
Üppigkeit, sondern der Unerfahrenheit; es ist anzunehmen, daß sie, wenn sie
ein Mensch wäre, aus dem Ärger über sich und ihr Ungeschick gar nicht herauskommen
würde. Die Natur schießt den Philosophen wie einen Pfeil in die Menschen hinein,
sie zielt nicht, aber sie hofft, daß der Pfeil irgendwo hängenbleiben wird.
Dabei aber irrt sie sich unzählige Male und hat Verdruß. Sie geht im Bereiche
der Kultur ebenso vergeuderisch um wie bei dem Pflanzen und Säen. Ihre Zwecke
erfüllt sie auf eine allgemeine und schwerfällige Manier: wobei sie viel zu
viel Kräfte aufopfert. Der Künstler und andererseits die Kenner und Liebhaber
seiner Kunst verhalten sich zueinander wie ein grobes Geschütz und eine Anzahl
Sperlinge. Es ist das Werk der Einfalt, eine große Lawine zu walzen, um ein
wenig Schnee wegzuschieben, einen Menschen zu erschlagen, um die Fliege auf
seiner Nase zu treffen. Der Künstler und der Philosoph sind Beweise gegen die
Zweckmäßigkeit der Natur in ihren Mitteln, ob sie schon den vortrefflichsten
Beweis für die Weisheit ihrer Zwecke abgeben. Sie treffen immer nur wenige und
sollten alle treffen — und auch diese wenigen werden nicht mit der Stärke getroffen,
mit welcher Philosoph und Künstler ihr Geschoß absenden. Es ist traurig, die
Kunst als Ursache und die Kunst als Wirkung so verschiedenartig abschätzen zu
müssen: wie ungeheuer ist sie als Ursache, wie gelähmt, wie nachklingend ist
sie als Wirkung! Der Künstler macht sein Werk nach dem Willen der Natur zum
Wohle der anderen Menschen, darüber ist kein Zweifel: trotzdem weiß er, daß
niemals wieder jemand von diesen ändern Menschen sein Werk so verstehen und
lieben wird, wie er es selbst versteht und liebt. Jener hohe und einzige Grad
von Liebe und . Verständnis ist also nach der ungeschickten Verfügung der Natur
nötig, damit ein niedrigerer Grad entstehe; das Größere und Edlere ist zum Mittel
für die Entstehung des Geringeren und Unedlen verwendet. Die Natur wirtschaftet
nicht klug, ihre Ausgaben sind viel größer als der Ertrag, den sie erzielt;
sie muß sich bei all ihrem Reichtum irgendwann einmal zugrunde richten.
- Friedrich Nietzsche, Schopenhauer als Erzieher (1874)
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