eldgier   »Geben Sie zu, daß Sie die Leiche Ihres wirklichen Mannes in dem Keller Ihrer Villa in Saint-Raphael eingemauert haben?«

»Nun und?«

 »Geben Sie zu, daß Sie unberechtigt sich weiter seine Rente haben auszahlen lassen?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe das Geld nicht erhalten. Der Anwalt übergab es direkt diesem Mann, und das geht mich nichts an. Ich weiß, was auf dem Spiel steht, was mir droht.«

»Mein Gottl Mein Gott!« stammelt die Haushälterin des Pfarrers, die eine solche Haltung erschreckt.

Und man muß sagen, daß die anwesenden Männer, die schon so manches erlebt haben, einander verblüfft anblicken, als die dünne und nervöse Madame Le Cloaguen ruhig wie jemand, der genau weiß, was er sagt, der sich genau erkundigt und seine Vorsichtsmaßnahmen getroffen hat, erklärt:

»Sie wissen genau, daß ich nicht viel riskiere. Sechzehn- bis fünfzigtausend Francs Geldstrafe, sechs Tage bis zwei Monate Gefängnis. Paragraph 368 des Strafgesetzbuches.«

Sie ist stolz auf sich.

»Ich wußte gar nicht, daß dieser Mann eine Tochter hatte und daß er sie besuchte. Und was meinen Mann betrifft, so ist es doch wohl für ihn gleich, ob er auf einem Friedhof beerdigt ist oder ...«

»Schweigen Sie, Unglückliche«, schreit Madame Biron, die sich nicht mehr beherrschen kann. »Merken Sie denn nicht, daß Sie ein Ungeheuer sind? Daß man noch nie eine Frau, ein Geschöpf Gottes, etwas so Ungeheuerliches hat sagen hören? Wenn ich denke, daß mein armer Octave, Herr Kommissar. Ich kann nicht mehr. Machen Sie das Fenster auf, ich ersticke sonst.«

Und es stimmt. Sie ist leichenblaß geworden, und Schweißtropfen perlen an ihrer Oberlippe. Maigret öffnet das Fenster. Der grüne Vorhang bläht sich, ein Windhauch weht über die Gesichter, und lauter Donner hallt in den Salon herein.

»Nun und jetzt, Maigret?« scheint der Richter zu fragen.

Er hat das Gefühl, daß der Kommissar nicht seine gewohnte Sicherheit hat. Maigret raucht bedächtig seine Pfeife, stellt sich vor Madame Le Cloaguen hin, und sein Gesicht wirkt wie versteinert..

»Sie haben recht, Madame. Die Justiz vermag nicht viel gegen Sie, und dennoch ist es in meiner ganzen Laufbahn das erstemal, daß ich einer solchen Geldgier begegne und solchen auf sie zurückzuführenden gemeinen Taten. Es wäre mir fast lieber, daß Sie in einer Zornesaufwallung LeCloaguen getötet hätten.«

Ein Schrei hinter ihm. Madame Biron versteht das alles nicht mehr.

»Entschuldigen Sie, Madame. Aber es gibt Dinge, die gesagt werden müssen. Der Untersuchungsrichter hat eben von dem armen Mädchen gesprochen, das unter besonders erschütternden Umständen in der Rue Caulaincourt ermordet worden ist. Madame Le Cloaguen könnte mit einem Wort Licht in das Dunkel bringen, und in wenigen Minuten hätten wir den Mörder gefaßt. Oder irre ich mich, Madame?«

Sie sieht ihn groß an. Sie zögert eine Sekunde. Ihre Züge verhärten sich noch mehr, und sie sagt:

»Nein!«

»Sprechen Sie!«

 »Ich werde nichts sagen, hören Sie?«

Und plötzlich verliert sie die letzten Hemmungen und wird zu einer wahren Furie.

»Nie, verstehen Sie? Ich werde nichts sagen, weil ich Sie hasse, ja, Sie, Sie, Kommissar Maigret, mehr als jeden anderen! Seit dem Tage, da Sie zum erstenmal in diese Wohnung gekommen sind. Ich hasse Sie! Ich hasse Sie! Und ich werde nichts sagen! Sie werden nichts herausbekommen. Ich werde meine zwei Monate Gefängnis absitzen, aber Sie .,. Sie ...« - Georges Simenon, Maigret verschenkt seine Pfeife. München 1977 (Heyne Simenon-Kriminalromane 49, zuerst 1944)

Geldgier (2)

 

Geld Gier

 

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