Gelb
 

Mein Schatz hat Haare wie Raps
und hat nur vier Gelüste:
Mein Geld und meine Brüste,
das Messer und den Schnaps.

Sieht er mich ohne sich
zu seinem Herrlein laufen,
wird er den Schnaps versaufen,
das Messer bleibt für mich.

Ich hab’ so Träumerei’n:
er wird wohl einst beim Trunke
in einer Schnapsspelunke,
tief nachts erstochen sein.

Im Bluthemd, wie er war,
so will ich ihn begraben –
der Wurm soll alles haben,
nur nicht sein gelbes Haar.

 - Leo Greiner

Gelb (2)  Das Nichts des Himmels heißt Leere, das Nichts der Gebirge Höhle, das Nichts des Menschen Zurückgezogenheit, leerstehendes Zimmer seiner Behausung oder seines Herzens. In die Höhlenhimmel gelangt man gebeugten Rückens, kriechend, indem man sich klein macht. Nur wer mikroskopisch zu werden vermag, findet in ihnen Zuflucht oder kann sich in ihnen ergehen. Die taoistischen Magier beherrschten diese Kunst. So wurden sie unsterblich.

Zum Beispiel Hiüan Kiai. An den Hof gelangt, äußerte er den Wunsch, an das Östliche Meer zurückkehren zu dürfen. Der Kaiser weigerte sich, seinem Verlangen stattzugeben. Im Palast befand sich ein behauener und bemalter, mit Perlen und Jade verzierter Holzstock. Er stellte die Drei Gebirge im Meer vor, das heißt die Inseln der Glückseligen. Und nun geschah, nach dem Tu-yüang tsa-pien des Su-Ngo, folgendes: Anläßlich des Neuen Jahres ging der Kaiser in Begleitung von Hiüan Kiai diese Tafel betrachten. Er wies mit dem Finger auf die Insel P'eng-lai und sprach: »Nur einer der oberen Unsterblichen vermöchte in diese Region zu gelangen.» Hiüan Kiai lachte und sagte: »Diese drei Inseln sind nicht viel größer als ein Fuß. Niemand kann behaupten, es sei schwierig, zu ihnen zu gelangen. Ich vermag nicht viel, doch will ich den Versuch wagen, auf Kosten Eurer Majestät einen Ausflug dorthin zu unternehmen, um die Schönheit und Häßlichkeit der Lebewesen und Erscheinungen dort zu erkunden.« Sogleich sprang er in die Luft und wurde zusehends kleiner und kleiner. Dann ging er mit einem Male durch die Pforten aus Gold und Silber. Die Umstehenden mochten ihn rufen, solange sie wollten, er ward nicht mehr gesehen. Der Kaiser trug großes Leid um ihn. Er bekam Hautausschlag davon. Im Gefolge dieser Ereignisse hieß man jenes Gebirge »Insel, da der Wahrhaftige verschwand«. Jeden Morgen verbrannte man fortan in der Dämmerung den Weihrauch »Hirn des Phönix« vor dieser Insel, um ihm Verehrung zu erweisen. Zwei Wochen darauf kam Kunde aus Tsing-tscheu, die besagte, Hiüan Kiai habe auf einer gelben Stute das Meer durchquert. Gelb ist die Farbe der Unsterblichkeit. - (cail)

Gelb (3) Eine Matratzenmacherin von Haarlem in Holland, eine gewisse Josepha Gessner, wurde beim Pflücken einer gelben Tulpe von einer Viper gebissen und starb. Man wußte schon, daß sich die Giftschlange hinter der gelben Blume verbirgt. Weil jedoch auch das Gold gelb ist und auch die Sonne als gelb bezeichnet wird, wollen nicht alle anerkennen, daß die giftige Schlange sich hinter dem Gelb verbirgt, daß das Gelb schlimmer ist als Attila, der den Tod sät, wo er vorbeizieht. Das ist ein Streit, der nie aufhört. Gelb ist der Mais, die Zitrone, das Bienenwachs, das Gold und die Sonne, sagen die einen. Gelb ist der Schwefel, das heilige Offizium, die Gelbsucht und gelb sind auch die Chinesen, sagen die andern. Der Fall der Matratzenmacherin von Haarlem war nicht entscheidend, er hat den Streit nicht beigelegt, vielleicht, weil die Zeitungen ihm nicht den gebührenden Platz einräumten oder vielleicht, weil die Tulpe, so gelb sie auch ist, immerhin eine Blume ist. Die elektrischen Funken sind keine Blumen, und viele Menschen sterben ihretwegen. Auch die Bosheit, der Neid, die Eifersucht sind gelb. Die schrecklichsten Verbrechen sind gelb. Das Signal der Gefahr ist gelb. Wenn du zum Gelb das Schwarz fügst, hast du die Hölle, wie der Architekt lehrt, und dann ist es auch überflüssig, wie die Akademiker Unterschiede zwischen dem Chromgelb und dem Strohgelb zu machen.  - Luigi Malerba, Die Schlange. München 1992 (zuerst 1966)

Gelb (4) Der Himmel ist safrangelb. Krokos. Violett, weiß. Safran ist Same. Safransame. Weiß. Frankreichs unschuldige Königslilien. Verdecken die zeugende Kraft, welche gelb. Verdecken das Blut der Schlachtfelder, welches rot.

Will nur noch gelbe Hemde tragen. Safranseide. China. Wüsten aus Quarz und Korund. Hippokampen brüten ihre saphirblauen Eier. Safranseidenfalter. Schmetterlinge, Raupen. Wurmraupen. Wollewurmraupen. Wollewurrnkriechraupen. Wollewurmkriechfreßraupen. Wollewurmkriechfreßkotvöllerraupen. Sind häßlich. Dick. Magen. Plump. Saftig. Wenn man sie zertritt. Nur Darm und Verdauung. Verdautes, Halb verdautes. Dicke Männer. Speisen lange über Tisch. Braten, Fisch. Suppe. Jägersuppe. Königinnensuppe. Kaiserinnensuppe. Papstsuppe. Bischofssuppe. Rittersuppe. Bauern-suppe. Bettlersuppe. Suppe von Fleisch. Kalb, Ochs, Kuh, Bulle, Schaf, Hammel, Widder, Schwein, Sau, Eber, Pferd, Wallach, Stute, Hengst, Rentier, Elch, Hirsch, Reh, Gans, Gänserich, Ente, Taube, Hahn, Kapaun, Henne, Truthahn, Ur, Schneehuhn, Kranich, Krammetsvögel. Fischsuppe von Lachs, Forelle, Dorsch, Hellbutt, Flunder, Karpfen, Steinbutt, Barsch, Hecht, Schleie, Zander, Muräne, Quappen, Maipieren, Barben, Stör, Schellfisch, Makrelen. Krebssuppe. Hummersuppe. Langustensuppe. Krabbensuppe. Garnelen-suppe. Schildkrötensuppe. Aalsuppe mit den sieben Krautern, fünf Gemüsen, drei Dörrfrüchten, einerlei Fisch. Man kocht in Weißwein Rauchfleisch vom Schwein. Suppe von Gries, Reis, Mehl, Grütze, Graupen, Grünkern der fünf Getreidearten Buchweizen, Hafer, Roggen, Weizen, Gerste. Erbsensuppe. Bohnensuppe. Linsensuppe. Kartoffelsuppe. Weißkohlsuppe, Grünkohlsuppe, Rotkohlsuppe, Wirsingkohlsuppe, Blumenkohlsuppe, Rosenkohlsuppe, Kohlrabisuppe, Kohlrübensuppe, Suppe von Peterlein, Portulak, Basilikum, Kopfsalat, Spinat, Dragon, Pimpinell, Tomaten, Kerbel, Kümmel, Sauerampfer, Zwiebeln, Kleinlauchen. Suppen von den Früchten der Bäume und Sträucher. Suppe aus Kuhmilch, Ziegenmilch, Stutenmilch, gesäuert, gebuttert. Suppen aus gegorenen Säften, Arrak, Kognak, Rum. Die Grundstoffe kann man untermischen. Zehntausend Suppen. Zehntausend Fleischspeisen. Zehntausend Fischspeisen, getrüffelte Leckerbissen. Zehntausend Süßigkeiten. Gelees von Weinen mit fettem Rahm. Am Ende essen sie stinkenden Käse. Die fetten Männer. Nach dem Gelee von Wein oder Äpfeln mit Vogelbeersaft oder den Torten oder den Cremes, oder dem Eis.
Haben kein Geschlecht. Nur Mägen. Schöne Schmetterlinge. Sommervögel. Kriechen aus Käfigen. Kokons. Seide. Safranseide. Safranhemdseide. Fraß wird zum Geschlecht. Nur Geschlecht. Darum schöne Schmetterlinge. Begatten einander. Begatten, gebären, sterben. Metamorphose. Wissen nichts mehr von ihrem Magen. Schönheit Lust. Die Wahrheit Gottes. Lust Leben Liebe Lacher Locken Lächeln Leese Seele.

Gelb steht gut zu meiner Haut.  - Hans Henny Jahnn, Perrudja. Frankfurt am Main 1966  (zuerst 1929)

Gelb (5) ist eine warme Farbe, bewegt sich auf den Betrachter zu, strahlt exzentrisch aus. Es steigert sich bei Aufhellung; vertieftes, sehr dunkles Gelb gibt es nicht. Gelb hat die Eigenschaft materieller Kraft, die sich unbewußt auf den Gegenstand stürzt und ziellos nach allen Seiten ausströmt. In einer geometrischen Form eingesperrt, beunruhigt es, sticht, regt auf. Diese Eigenschaft kann gesteigert werden und klingt dann wie eine immer lauter geblasene Trompete oder Fanfarenton. Es hat Verwandtschaft mit den Gemütszuständen der blinden Tollheit, Tobsucht, des Wahnsinns. Es ist die Farbe der Verschwendung, der Sommerkräfte.  - Wassily Kandinsky, nach: Walter Hess (Hg.), Dokumente zum Verständnis der modernen Malerei. Reinbek bei Hamburg 1964 (rde 19)
 

 

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