elassenheit
In Kotzebues »Verschwörung in Kamtschatka« hatte Iffland
den Hetman der Kosaken zu geben, der Verschwörern in die Hände fällt, die ihn
in einem Zelt gefangenhalten, die Büchse auf den Kopf gerichtet für den Fall,
daß er auch nur einen Schrei von sich geben werde. Wir haben einen einzigen
Satz, der berichtet, wie der Schauspieler die Situation meisterte: Iffland
blies in die Mündung der Büchse, um zu erproben, ob sie auch geladen sei. Das
würde bei den uns geläufigen Kalaschnikows nicht mehr genügen, um das Publikum
hinzureißen, aber wir können gerade noch erahnen, wie es wirken mußte, als das
Pulver freihändig aufgeschüttet wurde.
Der Fundort des Satzes bedarf doch noch abschließender Erwähnung. Er steht bei Schopenhauer, um seinen Lesern ein Beispiel zu liefern für Leute, die in jedem Fall den Kopf oben behalten, welches - diese schöne Gelegenheit, den Landsleuten ihre verkehrteste Beschaffenheit von ganz Europa wieder mal zu eröffnen, darf nicht ausgelassen werden -, welches etwas ganz anderes ist als die auf Phlegma und Stumpfheit beruhende Gelassenheit vieler Deutschen und Holländer.
Der Umweg über den gespielten Kosaken zu den lobenswerten reellen Spaniern,
Türken und allenfalls Engländern
ist etwas weit, aber nie vergeblich. Sonst wüßten wir von Iffland weniger.
- (
blum
)
Gelassenheit (2) Auf den über den Schloßgraben
plazierten Baumstämmen im Tierpark ruhen einige Pelikane. Schnabel und Kopf
haben sie unsichtbar unter den Flügeln auf dem Rücken verpackt. Die kleineren
Jungen sitzen mit halb geschlossenen Augen dazwischen, den Schnabel nach vorn
haltend. Ihre Entwicklung scheint noch nicht so weit fortgeschritten, daß sie
schon die Ruhestellung der Altvögel beherrschen. Worauf auch ihre etwas unmotiviert
wirkenden stöhnenden Grunzer hindeuten. Die halbherzigen Bettelrufe erzielen
keinerlei Reaktion. Die Alten beschäftigen sich mit sich selbst, putzen ihre
feuchten verwaschen rosafarbenen Federn oder stoßen sich gegenseitig vom Baum
ins Wasser. So gelassen leben sie auch sonst. - Cord Riechelmann, Bestiarium. Der Zoo als Welt - die
Welt als Zoo. Frankfurt am Main 2003
Gelassenheit (3) Er stürzte sich auf die Erpresserin und riß ihr mit einem Ruck die Bettdecke vom Leib. Sie konnte es nicht verhindern, denn sie hielt mit beiden Händen Gürtel, Dolch und Brieftasche krampfhaft vor die Brust gedrückt. »Also da ist sie!« knirschte er und versuchte sie ihr zu entreißen. Aber es gelang ihm nicht. Doch entglitt ihr bei dem verzweifelten Ringen der Dolch. Er packte rasch zu. »Hilfe, er will mich morden!« kreischte sie entsetzt. Da hatte er schon, sinnlos vor Wut, den Dolch gezückt und ihr in die Brust gebohrt. Mit dumpfem Stöhnen sank sie rückwärts über. Um sicherzugehen, stieß er nochmals zu. Dann raffte er die Brieftasche an sich, riß den gefährlichen Brief heraus und verbrannte ihn über der ausgehenden Lampe zu Asche. Hierauf legte er den Gürtel um und stieg hinunter. Vom Schreckensruf der Tochter alarmiert, hatte sich inzwischen Mutter Yen von ihrem Lager aufgemacht, um nach oben zu eilen. Unterwegs prallte sie mit ihrem Schwiegersohn zusammen.
»Was hat denn der Lärm zu bedeuten?« fragte sie. »Sie hat sich ungebührlich
betragen, da habe ich sie getötet«, sagte er gelassen. -
(
raub
)
Gelassenheit (4) Zur Kennzeichnung
der verschiedenen Landschaften des Verrats ist es nötig
festzustellen, daß die Franzosen das Problem in seiner
heutigen Form kaum kennen, — vielleicht weil sie sich in den Säuberungsprozessen
überanstrengt haben, vielleicht aber auch, weil es bei ihnen so viele Kommunisten
gibt, keine versteckten, sondern wohlbekannte, häufig sogar honorige Leute,
an deren Französität vorläufig noch niemand zweifelt. Dagegen die Engländer
kennen das Phänomen, jedoch in einer weniger virulenten Abart als die Amerikaner,
und sie behandeln es auf gelassenere Weise. Da bei ihnen der Kommunismus der
zwanziger und dreißiger Jahre mit Humor und Lebensfreude
durchsetzt war und oft nur die Form geistvoller Gedankenspiele annahm, können
sie es sich leisten, die einzelnen renitenten Exemplare, die nach der großen
Desillusionierung des letzten Jahrzehnts überblieben,
mit einer Art liebevoller Toleranz als ‹cranks› (Exzentriker)
zu behandeln. Sie sind auch im Grunde bereit, es auf noch ein paar Skandale
mehr ankommen zu lassen. -
(
bov
)
Gelassenheit (5)
Ich ging auf den Lokus und ließ in meiner Zerstreutheit
die Tür unverschlossen. Ich war einen Schritt zurückgetreten, weil ich
vom Schnaps allmählich einen Ständer kriegte, und wie ich so, den Piephahn
in der Hand, dastand und in hohem Bogen auf die Schüssel zielte, ging plötzlich
die Tür auf. Es war Irene, die Frau des Gelähmten. Sie unterdrückte einen
Aufschrei und wollte die Tür wieder schließen, aber aus irgendeinem Grund,
vielleicht weil ich völlig ruhig und gelassen wirkte, blieb sie auf der
Türschwelle stehen, und während ich meinen Piß beendete, sprach sie mit
mir, als sei das nichts Ungewöhnliches. «Eine schöne Leistung», meinte
sie, als ich die letzten Tropfen herausschüttelte. «Treten Sie immer so
weit zurück?» Ich ergriff sie bei der Hand und zog sie herein. -
Henry Miller, Sexus. Reinbek bei Hamburg 1980 (zuerst 1947)
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