eistesabwesenheit Ich
zog ich mich vor ihm aus und ahmte nach bestem Vermögen die langsame Art und Weise
jener nach, wobei ich mich indessen hütete, ihr Lächeln oder ihre verheißungsvollen
oder herausfordernden Gesten nachzuäffen. Wie der Herr der Stätte es nacheinander
wünschte, legte ich zunächst meinen purpurnen Rebozo zu Füßen der Sargtrennwand
nieder, ich streifte die Armbanduhr ab, den Ehering mit dem Herzen in zwei einander
drückenden Händen, den ehedem meine Mutter getragen hatte, meine Ohrringe, kleine
goldene Vögel, die Luis mir geschenkt hatte und die mir lieb waren, und warf
dies alles in einen offenen Sarg; dann zog ich die Schuhe aus, denn der Tyrann
wollte mich barfüßig sehen - meine Sandalen mußte ich meinen armen Schmuckstücken
zugesellen; darauf knöpfte ich träge meine rosa Bluse auf, wobei ich tat, als
verspüre ich Hemmungen, die Arme aus den Ärmeln zu ziehen, obwohl diese weit
waren; ich löste den Gürtel, der meinen breit schwarz und rot gestreiften Rock
festhielt, und als die Kleidungsstücke am Boden lagen, mußte ich mich bücken,
sie aufnehmen und gleichfalls in den Sarg werfen; ich drehte mich um, damit
er sehe, wie meine Finger auf dem Rücken meinen malvenfarbenen Büstenhalter
losnestelten, und drehte mich abermals um, als er zu sehen verlangte, wie meine
Brüste aus ihrer dünnen Hülle hervorkämen; und schließlich
zog ich das bestickte Nylonhöschen aus, die luxuriöse Zierde meiner Nächte im
Motel; es kam mir entstellt vor wie ein verwelktes Alpenveilchen, mit Recht
für den Sarg bestimmt, in dem es verschwand wie der übrige
Putz. Bei jedem Bekleidungsstück, das in den Leichenschrein fiel, hatte ich
gemeint, ich risse mir einen Fetzen meiner fleischernen Basthülle ab, wie es
heißt, daß die Derwische es bei ihren wirbelnden Festbräuchen tun, und als ich
ganz nackt war, geschah es, daß ich, ja, meinen Körper zwar noch sah, ihn aber
nicht mehr spürte (oder richtiger: ich nahm ihn wahr wie den einer andern Frau,
wobei ein leises Mitleid über das ihrer wartende Schicksal in mir aufstieg).
Trotz seiner zur Schau getragenen rohen Stumpfheit merkte Pedro Virgula nur
zu bald, in welchem Maße ich abwesend war (nicht in
meinem Körper, nicht auf der Bühne, nicht in dem Raum, der ihn und mich umschloß),
und er warf mir vor, man müsse lachen und seine Augen glänzen und funkeln lassen,
wenn man nackt sei, oder weinen und jammern und sich die Hände vorhalten im
vergeblichen Versuch, sich zu verhüllen. Ohne daß sie meinem Willen
(der, wie ich meine, ausgelöscht war) widerstrebt hätten, lag jede dieser beiden
Verhaltensweisen heillos jenseits meiner Fähigkeiten; ich gab dem Sarghändler
keine Antwort, und er blieb unbefriedigt. - André Pieyre de Mandiargues, Der
Akt zwischen den Särgen.
In: A.P.M., Schwelende Glut. Frankfurt am Main 1995 (st 2466, Phantastische
Bibliothek 323, zuerst 1959)
Geistesabwesenheit (2)
Als ob diese Erbschaftsgeschichte ein Kobold wäre, der ihn
anstierte oder ihm ein Bein stellte. Kam es also darauf an, so zu tun, als ob
man das gestellte Bein nicht sähe und es schlafwandlerisch
umginge. Und ihm fiel ein, daß sein Lehrer in der ersten Volksschulklasse von
ihm gesagt hatte: »Der Eugen könnt gut schaffen, wenn er nur nicht so geistesabwesend
wär.« Doch schützte diese Geistesabwesenheit vor allerlei (und im Krieg hat
sie dich vielleicht sogar ab und an am Tod vorbeigehen lassen). Außerdem gibst
du damit den anderen Gelegenheit, auf dich herabzusehen. Man darf sich über
dich mokieren, und wenn sie dich für ein bißchen zurückgeblieben halten, dann
wirst du wenigstens von ihnen nicht belästigt. - Hermann Lenz, Seltsamer Abschied. Frankfurt
am Main 1990
Geistesabwesenheit (3)
Meine Imbezillität bestand in der Unfähigkeit, dem Vortrag
der Professoren zuzuhören, all das kam anscheinend daher, daß ich, wie meine
Mama noch fünfzig Jahre später sagte, sehr oft verträumt, daß ich vor allem
in Gedanken immer nur woanders war. Heute denke ich mir, meine Geistesabwesenheit
rührte daher, daß meine Schule aller Schulen, die Universität aller Universitäten
die Brauerei war und der Fluß und die Bäume und die endlosen Spaziergänge und
Streifzüge. Ich entsinne mich, daß meine Gedanken nicht nur in der Schule auf
Abwegen waren. Die feste Glocke der Unwissenheit umgab mich auf allen meinen
Wegen durch die Stadt und durch deren Gäßchen. Hielt mich jemand an, um mich
etwas zu fragen, dann errötete ich, warich so verbiestert, daß ich wie in der
Schule nur närrisches Zeug von mir gab. Dazu kamen Fehlleistungen, besonders
wenn ich einem Mädchen von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Stets mußte
ich mich hüten, in den Bann der schönen Gesichtchen und der Locken und Schleifen
zu geraten, um nicht Gefahr zu laufen, in Ohnmacht zu fallen. -
Bohumil Hrabal, Leben ohne
Smoking. Frankfurt am Main 1993
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