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still
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Geister (2) Mein Geist kommt so ziemlich
jede Nacht zu mir. Anfangs, wenn er sich durch
heiß- und kaltwehende Luft
ankündigt, wage ich nicht, mich zu bewegen. Ich liege wie verstorben in
meinem Bett; so sehr ich ihn mag, fürchte ich ihn auch. Er ist immer in
ein großes weißes Laken gehüllt, die Enden des Tuches wehen um und über
ihn, sein Gesicht hat er mir noch nie gezeigt, keinen Fuß, keine Hand.
Es sind alles weiße Stumpen, die sich unter dem Laken zu mir hinbewegen.
Er steht oft länge Zeit vor meinem Bett, dreht und bewegt sich, ich sehe
ihn trotz meiner geschlossenen Augen genau. Er weiß
sicherlich, daß ich mich nur aus Angst vor ihm
schlafend stelle. Er ist so vorsichtig, spricht niemals, um die anderen
nicht zu wecken. Zu ihnen geht er nie, nur zu mir. Deshalb und weil sein
Kommen so unheimlich schön ist, nenne ich ihn meinen Geist. Seit den letzten
Wochen weiß ich, daß er jede Nacht zu mir kommt, ich warte auf ihn. Meine
Puppen mag er nicht, ich packe sie abends ins Puppenbett. Ich liege vor
dem Einschlafen immer auf dem Rücken, so kann ich ihn sehen, wenn er durch
die Wohnzimmertür ins Bubenzimmer geht und in der Schlafzimmertür erscheint.
Gefühlt habe ich ihn schon längst, neben dem dunkelgrünen Kachelofen steht
er, geht am Kleiderschrank vorbei, ich seh, wie er auf mein Gitterbett
zukommt, an meiner Seite stehen bleibt, sich dreht und wendet in den Laken,
langsam mit den Armen schwingt, heiße und kalte Luft um sich wehen läßt,
die mich durchpiekst wie Stecknadelspitzen prickeln; es tut richtig weh.
Das Schöne ist etwas anderes: Er schleicht ziemlich lange um mein Bett,
dann hebt er sich ganz langsam vom Boden, mir wird wahnsinnig heiß, weil
ich weiß, daß er jetzt waagerecht über mir schwebt — sein verhüllter Leib
berührt mich nur ganz wenig, und dann fühle ich den heißen Atem direkt
vor meinem Gesicht, gegen meine Lippen bläst er, meinen Hals, in die Augen,
die ich jetzt fest geschlossen habe, er darf niemals merken, daß ich noch
nicht schlafe. Einmal, zu Muttis Geburtstag,
hatte ich Wein getrunken, daher weiß ich, was ein
Rausch ist. Das, was ich mit meinem Geist fühlen
kann, ist tausendmal stärker, viel gefährlicher und unendlich schön. Ich
kann nie verfolgen, wie er von mir weggeht, muß immer irgendwo anders sein
zu dieser Zeit, und dann bin ich traurig und habe keine Angst mehr, möchte
ihn zurückrufen. Ich schob mein langes, albern weißes Nachthemd über meinen
Bauch bis unter den Hals zu einer dicken Wurst zusammen, vielleicht erscheint
er noch einmal. Er ist nie zweimal gekommen, alles Bauchstreicheln nützt
mir nichts, aber er kommt jede Nacht. Deshalb schlaf ich morgens etwas
länger, damit der Tag schnell um ist und ich ihn
wieder fühlen kann. - Jo Imog, Die Wurliblume. Reinbek bei Hamburg
1972 (rororo 1471, zuerst 1967)
Geister (3) Zu der Fähigkeit zu hexen
gelangte man hauptsächlich durch den Besitz eines Geistes. Diese Geister,
welche meistens die Namen Lucifer, Nickel, Firley, Dribulte, Chim, Klaus
etc. führen, waren zuweilen als schwarze Katzen, als Mistkäfer, als schwarze
Hündchen, sehr oft auch als Viferitzen (Eichhörnchen) gestaltet, bei der
Ausfahrt auf den Blocksberg auch als Böcke; die der Männer waren weiblichen,
die der Weiber männlichen Geschlechts, des Buhlens wegen. Erworben wurden
sie bald durch Kauf, bald durch Schenkung; ja man gab sie den Töchtern
als Ausstattung mit. Wer einmal einen solchen Geist besaß, konnte sich
seiner nicht entledigen, er fand denn Jemand, der ihn abnahm; warf er ihn
sonst fort, so hatte er zu besorgen, daß der Geist ihn selbst beschädige.
Manche besaßen auch zu gleicher Zeit mehrere Geister. Der Kaufpreis war
meistens ein bis drei Gulden preußisch (10 Sgr. bis 1 Thlr.).
- H. Frischbier, Hexenspruch und Zauberbann. 1870
Geister (4) »Geist« wird häufig
als die körperlose Seele eines Toten definiert. Das, so meinen Parapsychologen,
reiche nicht, weil es ja mitunter auch Erscheinungen
lebender Personen gebe. Daher erscheint die Definition des Engländers
W. H. Myers angebrachter, der einen Geist als »Manifestation von beharrender,
persönlicher Energie« beschreibt. - (
hoe
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Geister (5) Tatsache
ist, daß es zumindest zwei Arten von Wesen gibt,
denen wir den Namen Geister gegeben haben: diejenigen, die bereits gelebt
haben, und diejenigen, die erst leben müssen und denen dies in der Mehrzahl
der Fälle nicht gelingt. Die blinde Existenz dieser Nichtgeborenen,
dieser vollständigen und doch zu schwachen Geschöpfe besteht in der Tat aus
nichts anderem als einer unerfüllten Lebensgier. Wahrhaftig eine Existenz von
Larven. Sie bringen es eben nicht fertig, ins Leben zu gelangen; nachdem Gott
sie erschaffen, verließ er sie an der Schwelle zur Welt und kümmert sich nicht
mehr um sie. - N.N.: Der Brunnen des Hl. Patrizius, nach
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land2
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Geister (6) Die Jinn (im Singular: masc. Jinni;
fem. Jinniyah) waren Dämonen, die in der Wüste und Wildnis geisterten. Bedeckt
von Haaren und mißgestaltig, oder gestaltet als Tiere, Schlangen oder Strauße,
waren sie ungefeiten Menschen sehr gefährlich. Mohammed erkannte die Existenz
dieser heidnischen Geister an (Koran, 37:158) und gliederte sie in die mohammedanische
Vorstellungswelt ein, die drei geschaffene Intelligenzen unter Allah kennt:
Engel, geformt aus Licht, Jinn, geformt aus schwerelosem
Feuer, und Menschen, geformt aus dem Staub der Erde.
Die mohammedanischen Jinn haben die Macht, nach ihrem Belieben jede Gestalt
anzunehmen, aber nicht dichter als die Materie von Feuer und Rauch, und können
dadurch sich Sterblichen sichtbar machen. Es gibt drei Arten von Jinn: fliegende,
gehende und tauchende. Man glaubt, daß viele den rechten Glauben angenommen
hätten, und diese betrachtet man als gut, die anderen als böse. - Joseph Campbell, Der Heros in tausend Gestalten.
Frankfurt am Main 1978 (st 424, zuerst 1949)
Geister (7)
"Geist eines Genius"
Geister (8) »Als ich Ihnen heute nachmittag in den Wäldern auf der anderen Seite der Stadt begegnete, haben Sie mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, wissen Sie! Meine Augen waren wund und das Licht schlecht. Für einen kurzen Moment glaubte ich, meinen Doppelgänger zu sehen.«
Meister Kalebasse brachte seinen Esel zum Stehen.
»Sprechen Sie nicht leichtfertig von ernsten Dingen«, sagte er tadelnd. »Niemand
ist nur einer; wir alle sind eine Summe von vielem. Aber wir vergessen leicht
unsere weniger zufriedenstellenden Bestandteile. Wenn es einem davon gelingen
sollte, Ihnen zu entwischen, und Sie ihm begegneten, würden Sie ihn für einen
Geist halten, Doktor. Und für einen sehr unangenehmen Geist dazu!« - Robert van Gulik, Halskette und
Kalebasse. Zürich 1982
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