Geilheit, genarrte  Ich wandte mich zu der Bajadere. Und um mich selbst anzufeuern, deklamierte ich laut:

„Sie rührt sich, die Cymbel zum Tanze zu schlagen,
Sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen,
Sie schmiegt sich und biegt sich und reicht mir den  Kranz."

O du - - Aber man darf beileibe nichts gegen Goethe sagen, weil der längst ein Heiliger ist bei uns!

Die Bajadere war fett wie eine von Bischeschwars heiligen Mastkühen im goldenen Kuhtempel zu Benares. So ungefähr muß Sulamith ausgesehen haben, König Salomons Geliebte, die er so hübsch im Hohen Liede besingt - ihre Beine waren wie zwei hohe Säulen, ihr Hals war wie der Turm Davids, ihre Arme waren wie zwei Zedern und ihre Brüste waren wie die Berge des Libanon.

Nun hob sich die Schöne - sie kam wirklich hoch. Und sie bewegte sich auch, kam hüpfend näher heran, so daß ich bei der Kokoslampe ihr Gesicht sehen konnte. Ich weiß nicht, ob sie schön war oder häßlich - sie hatte eben gar keine Züge, nur Fett, nur ungeheure Massen von Fett. Das Orchester brach los, und an den Zedern und Säulen klapperten die metallenen Reifen. Sie hob die Zedern und schob die Säulen vor, dann wackelte sie mit dem Bauch.

Augenscheinlich strengte sie diese Art Tanz gewaltig an, denn sie schwitzte wie ein Kohlentrimmer im Roten Meer. Aber ich ließ sie ruhig hupfen: einmal aus Nächstenliebe, weil sie doch ganz gut ein paar Dutzend Kilo abnehmen konnte - und dann wollte ich doch auch etwas haben für mein Geld. So tanzte sie, schwitzte, keuchte und stöhnte - dazwischen spuckte sie, gute knallrote Betelspucke. Als sie meinte, daß es nun genug sei, griff sie meine Hand und begann zu singen.

Sie sang: „Meine Haare triefen von Kokosöl, für dich, o Goldflamme, habe ich mich gesalbt! Komm in mein Haus und ruhe, ich will dein weiches Bette sein. Komm zu deiner weißen Kuh, ein Bad ist dir bereitet, und meine Lippen bieten dir Pan-Supari -"

Und wirklich bot sie mir Pan-Supari, das ist Arekanuß, Betelblatt und Kalk. Jeder Inder kaut es und kann dann prachtvoll rot spucken. Ich mag aber Pan-Supari gar nicht und finde, daß es ganz scheußlich schmeckt.  - Hanns Heinz Ewers, Indien und Ich. München 1918 (zuerst 1911)

 

Geilheit

 

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