ehör  Ich fuhr schon eine ganze Zeit zur See, ehe ich gewahr wurde, daß das Gehör eine besondere Rolle bei der Beurteilung der Windstärke spielt. Es geschah eines Nachts. Das Schiff war einer der eisernen Wollklipper, die im siebten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts in Schwärmen von der Clyde hinaus in die Welt gingen. Eine großartige Periode des Schiffbaus war das, und ich kann wohl sagen, auch eine Zeit der übertakelten Schiffe. Es waren wirklich unglaublich große Masten, die man damals auf die schmalen Schiffsrümpfe setzte, und das Schiff, an das ich jetzt denke, dessen bunt verglastes Oberlicht den Wahlspruch trug: »Glasgow blühe«, war bestimmt eines der am schwersten übertakelten Exemplare. Es war für hartes Segeln gebaut, und man hatte fraglos alles aus ihm herausgeholt, was es vertragen konnte. Unser Kapitän war ein Mann, der für seine raschen Reisen bekannt war, die er mit der alten ›Tweed‹ gemacht hatte, einem Schiff, das wegen seiner Schnelligkeit in der ganzen Welt berühmt war. Die ›Tweed‹ war ein Holzschiff gewesen, und er brachte nun die Tradition der schnellen Reisen mit auf den Eisenklipper.

Ich war der jüngste Offizier an Bord und ging als Dritter Steuermann zusammen mit dem Ersten Offizier Wache. Während einer der Nachtwachen, wir segelten mit hartem, auffrischendem Wind, hörte ich, wie zwei Leute in einer geschützten Ecke an Oberdeck folgende aufschlußreichen Worte wechselten. Sagte der eine:

»Glaub', es ist Zeit, paar von den leichten Segeln wegzunehmen.« Mürrisch gab der andere, ein älterer Mann, von sich: »Keine Angst, nicht so lange der Erste an Deck ist. Der ist so taub, daß er gar nicht merkt, wie es weht.«

Und tatsächlich, der arme P. hörte sehr schlecht, obwohl er noch ganz jung und ein tüchtiger Seemann war. Gleichzeitig hatte er den Ruf, geradezu ein Draufgänger zu sein, wenn es um das Stehenlassen von Segeln ging. Er verstand es, sehr geschickt seine Schwerhörigkeit zu verheimlichen, und wenn er auch ein Mann ohne Furcht war, so glaube ich doch nicht, daß er je die Absicht hatte, unnötige Risiken einzugehen. Niemals werde ich sein treuherziges Erstaunen vergessen, als er einmal wegen einer Sache zur Rede gestellt wurde, die sehr waghalsig ausgesehen hatte. Natürlich konnte das mit durchschlagender Wirkung nur unser Kapitän tun, der selbst ein Mann waghalsiger Tradition war. Für mich, der ich wußte, unter wem ich fuhr, waren das eindrucksvolle Szenen. Kapitän S. war wegen seiner außerordentlichen seemännischen Befähigung sehr berühmt - eine Berühmtheit, die meine ganze jugendliche Bewunderung erregte. Das Andenken an ihn habe ich mir bis zum heutigen Tage bewahrt, weil er es tatsächlich war, der im gewissen Sinne meine Ausbildung erst vervollständigte. Das war oft eine sehr stürmische Methode, aber reden wir nicht mehr davon. Ich bin sicher, er meinte es gut, und ich bin davon überzeugt, daß ich ihm niemals, nicht einmal zur damaligen Zeit, seine schneidende Kritik übelgenommen habe. Und ihn, gerade ihn, Lärm schlagen zu hören, weil man zuviel Segel stehen ließ, dies schien ein so unglaubliches Erlebnis, wie es sonst nur in Träumen vorkommt. Gewöhnlich ging das so vor sich: Am nächtlichen Himmel fegen über uns die Wolken hinweg, der Wind heult, die Royals sind gesetzt, und das Schiff stürmt in der Dunkelheit dahin, eine ungeheuere weiße Schaumfläche in gleicher Höhe mit der Leereling. Steuermann P., der die Wache hat, steht seelenruhig in Luv, die Arme im Kreuzwant eingehakt, ich selbst, der Dritte Steuermann, habe mich auch irgendwo in Luv der schrägliegenden Poop festgeklammert, aufs äußerste gespannt, um beim ersten Anzeichen irgendeines Befehls sofort loszujagen; im übrigen bin ich innerlich jedoch ganz ruhig und ergeben. Plötzlich erscheint im Niedergang eine große, dunkle Gestalt, sie ist barhäuptig und hat einen rechtwinklig geschnittenen, weißen Bart, der in der Dunkelheit sehr gut zu erkennen ist - Kapitän S. -, der unten in seiner Kammer durch das furchtbare Stampfen und schwere Schlingern des Schiffes beim Lesen gestört worden ist. Er hält den Korper stark gegen das schrägliegende Deck geneigt, geht gewohnlich ein oder zweimal stumm auf und ab, bleibt eine Zeitlang beim Kompaß stehen, geht noch ein paarmal hin und her, und dann bricht es aus ihm heraus: »Was haben Sie denn mit dem Schiff vor?«

Und der Erste, der nicht verstanden hat, was in den Wind gerufen wurde, antwortet fragend: »Ja, Herr Kapitän?« Hierauf beginnt in dem zunehmenden Sturm ein kleiner privater Schiffssturm, in dem einige in leidenschaftlichem Ton fallende rauhe Worte zu hören sind, sowie Rechtfertigungsversuche, die in jeder nur denkbaren Klangfarbe beleidigter Unschuld vorgebracht werden.

»Du lieber Himmel, Herr P.! Ich habe früher auch Segel stehen lassen, aber -«

Und der Rest geht für mich in einer Sturmbö verloren. Dann läßt sich während eines vorübergehenden Abflauens des Windes die protestierende Unschuld wieder hören:

»Das Schiff kann es anscheinend recht gut vertragen.« Darauf ein erneuter Ausbruch der wütenden Stimme:

»Jeder Idiot kann Segel stehen lassen -« Und so weiter, und so weiter, während das Schiff mit noch größerer Schlagseite, noch lauterem Getöse und noch bedrohlicherem Zischen der weißen, beinah blendenden Schaumfläche in Lee weiterstürmt. Denn das Beste an der ganzen Sache war, daß Kapitän S. seiner ganzen Veranlagung nach anscheinend gar nicht imstande war, seinen Offizieren den eindeutigen Befehl zum Segelbergen zu geben, so daß dieses seltsame Hin und Her so lange weiterging, bis es schließlich beiden in einer besonders alarmierenden Bö klar wurde, daß es nun an der Zeit sei, etwas zu unternehmen. Es gibt nichts, was einen tauben Mann und einen zornigen eher zur Vernunft bringt als der furchterregende Neigungswinkel ihrer mit Segeltuch überladenen Masten. - (con)

Gehör (2)   Das Gehör ist ein so äußerst reichhaltiger Sinn. Es fehlt noch an irgendeiner Anleitung, ihm näherzukommen. Vom Lichte sehen wir, Herschels und Ritters Entdeckungen zufolge, nur die Hälfte, und vielleicht noch weniger. Aber es soll ein Sinn sein, der uns alles beibringt. Direkt, dynamisch, geht es nicht; mechanisch muß es geschehen. In jedem Körper ist alles, so auch das Unsichtbare, enthalten. Bei der Oszillation, Vibration, usw., schwingt alles. Alles wirkt nach einem Schema samt und sonders zugleich. Darum kommt's auf diesem Wege ganz in den Menschen. Die Ortsveränderung bringt tausend chemische, elektrische, magnetische Prozesse hervor. Alles, was nur irgend erregt werden kann, wird hier erregt. So klingt hier alles, alles wird gewußt, gefühlt. Das Hören ist ein Sehen von innen, das innerstinnerste Bewußtsein. Darum läßt sich auch mit dem Gehör tausendmal mehr ausrichten, als mit irgendeinem andern Sinn. Der Gehörsinn ist unter allen Sinnen des Universums der höchste, größte, umfassendste, ja es ist der einzige allgemeine, der universelle Sinn. Es gilt keine Ansicht des Universums ganz und unbedingt, als die akustische.  - (rit)
 


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