ehirnwindung  In jener stummen Zone hinter der Stirne habe ich dem Abspielen seiner Träume beigewohnt. Ich meine nicht jene, die in der Nacht hochkommen, sondern die, die er selber fabriziert. Ich habe nicht bloß seine Kunst-Träume gesehen, sondern auch ihre Abfallberge, Müllhalden und Verbrennungsöfen.

Mir scheint tatsächlich nichts anderes übrig zu bleiben als weiter zu kriechen. Doch werde ich jene Furche meiden, die zum ›Denkmal der unbekannten Ratte‹ führt, einem Memorial für alle Tiere, die im Dienste eines solchen Gehirns getötet wurden. Als ich dort war, lief der Film über den Rhesus-Affen, dessen Gehirn frei präpariert war, und das, isoliert, Befehle an Organe erteilte, über die es nicht mehr verfügte. Im Vorprogramm war die Katze zu sehen, deren Nerven ein Forscher durchgetrennt und mit Absicht falsch zusammengenäht hatte; in Großaufnahme leckte das Tier nach einer Verwundung die gesunde Pfote und nicht die, die blutete.

Das hatte mich auf den Gedanken gebracht, mit dem Besitzer ähnlich zu verfahren. Ihm Nerven zu durchreißen, aber nicht so, daß ein Augenlid herunterhängt oder er die Arme nicht über Ellenbogenhöhe zu heben vermag. Nein, die Nervenstränge so zu knüpfen, daß er in ein Schienbein tritt, wenn er küssen will, und daß sich die Haare sträuben, statt daß sich die Pupillen erweitern, sein Sättigungszentrum derart zu erregen, daß er mit Völlegefühl verhungert.

Und alle Analysatoren zu sabotieren, welche die eintreffenden Informationen in wichtige und unwichtige sortieren, dahin wirken, daß alles von unterschiedsloser Bedeutung wird. Alle Blockierungen aufzuheben, damit das Überwachungssystem zusammenbricht. Alles Gespeicherte abzurufen und alles Vergessene zu aktivieren. Diesen Herrn der totalen Information und damit dem Chaos auszuliefern, so daß er nicht mehr weiß, ob er, um sich zu retten, angreifen soll oder klettern, ob er sich besser eingräbt oder läuft.  - Hugo Loetscher, Die Papiere des Immunen. Zürich 1986