ehirntier  A.: Sagen wir so : Der Intellektuelle weiß zu viel, als daß Charakter in ihm aufkommen könnte !

B.: Wie meinen Sie das ?

A.: Nicht nur, daß sich ihm bei jedem Vorfall sofort alle historischen und literarischen Szenen im Geiste darstellen, die sich bei ähnlichen Vorkommnissen je ereigneten — seine schlagartig überfüllte Fantasie also jede ‹Entschlußfähigkeit› lahmt.....

B. (unterbrechend): Ah; das leuchtet mir ein. - Aber, halt : müßte das nicht lediglich zur Folge haben, daß es bei ihm eben etwas länger dauert, bis er, in einer gegebenen Situation, ‹Charakter zeigt› ?

A.: Nein; denn ich begann meinen Satz mit ‹Nicht nur›. — Es tritt ein Zweites hinzu : auf Grund seiner unsinnig=umfangreichen Studien, sind ihm auch die Gründe der Gegenseite jederzeit so geläufig, daß er, und zwar allen Ernstes, nicht mehr weiß, wer ‹Recht hat›: Es könnte der Andere sein ! !

B.: Während der Catcher einfach auf Kommando einhaut, achso. - Demnach brauchte man also Wesen der species Müller nicht erst zur ‹Objektivität› zu ermahnen; zumal - ah, es wird Licht! —: zumal er auch noch Geschichtsschreiber war; und seine ‹Charakterlosigkeit) also die erforderliche ‹Weite des historischen Blicks› ganz mühelos ergab ?

A.: Böswillige werden's ‹Geschmeidigkeit› nennen, oder Unwissende ‹Labilität›; denn es ist gar nicht die mühsam erworbene und ausgeübte ‹Objektivität› des redlich=normalen Professors. Sondern - vielmehr eine unheimliche Art zu sein : ein kindlich=greises, frevelhaft=schuldloses Wesen, das im Zeitenstrom dahingequirlt wird, widerstandslos, lachhaft abgelenkt von jedem läppischen Klein=Zwischenfall. - Arno Schmidt, Müller oder Vom Gehirntier. In: A.S., Dialoge Bd. 2. Zürich 1990 (zuerst 1959)

Gehirn Charakter
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