Gehirnhälften  Die rechte Hand wird von der linken Hemisphäre des Gehirns gelenkt. Deswegen kann ich nur teilweise tippen. Die rechte Hemisphäre hat etwas dagegen, was daraus zu schließen ist, daß sie mich am Tippen stört. Das ist schrecklich verwirrend. Ich kann nicht sagen, daß ich etwas bin oder tue, sondern bloß meine linke Hirnhälfte. Mit der zweiten muß ich Kompromisse schließen, ich kann doch nicht ewig mit einer angebundenen Hand dasitzen. Ich habe versucht, die rechte Hirnhälfte auf verschiedene Weise zu besänftigen, aber vergeblich. Sie ist einfach unmöglich. Aggressiv, vulgär und arrogant. Ein Glück, daß sie nicht alles lesen kann. Nur bestimmte Redeteile: am besten die Substantive. So ist es immer, ich weiß es, weil ich schon eine Menge einschlägiger Bücher gelesen habe. Verba und Adjektive versteht sie nicht richtig, also muß ich, da sie darauf schaut, was ich tippe, mich so ausdrücken, daß ich sie nicht verärgere. Ob das gelingen wird, weiß ich nicht. Übrigens weiß niemand, warum die ganze gute Erziehung in der linken Hirnhälfte angesiedelt ist. - Stanislaw Lem, Die Verdopplung.  In: Phantastische Träume. Hg. Franz Rottensteiner. Frankfurt am Main 1983 (Phantastische Bibliothek 100)

Gehirnhälften (2)  Die Wirkung der diffusen Magnetfelder  ist reichlich unspezifisch, und auch Persinger weiß nicht so genau, was sie an welcher Stelle des Gehirns exakt auslösen. Entsprechend nebulös ist auch die wissenschaftliche Erklärung seiner erstaunlichen Ergebnisse. Diese führt er vor allem auf die Spezialisierung der rechten und linken Gehirnhälfte zurück. Schließlich ist durch PET-Aufnahmen schon länger bekannt, daß im Gehirn eine Art Arbeitsteilung stattfindet: Links werden analytische Prozesse und Sprache verarbeitet, die rechte Seite dagegen ist eher für ganzheitliche Aufgaben zuständig, zum Beispiel für das Erkennen von Gesichtern, Musikalität oder auch Kreativität. Persinger geht allerdings noch einen Schritt weiter und vermutet in der linken Hemisphäre auch den «Sinn für das Selbst», denn «ohne Sprache gibt es kein Selbstverständnis». In der rechten Hemisphäre sei dagegen, sozusagen als Äquivalent, «das Gefühl einer Präsenz» angesiedelt.

Diese Interpretation stützt er auf seine experimentellen Befunde: «Wirken die Magnetfelder vor allem auf das Gebiet um den linken temporalen Parietallappen, hören die Versuchspersonen oft Stimmen, die ihnen Instruktionen erteilen - diese werden meist mit Gott oder ähnlichem in Verbindung gebracht», erläutert Persinger. «Stimulieren wir dagegen rechts, haben die Probanden das Gefühl, als ob irgendein Ding, eine Wesenheit, neben ihnen stehe, die ihnen fremd ist. Technisch nennen wir das ein ‹Ego-Alien›.» Dieser Eindruck sei eher mit negativen Gefühlen gekoppelt. Wirken die elektrischen Reize dagegen eher links, berichten die Versuchsteilnehnier meist von positiven Gefühlen. Persingers Theorie zufolge sitzt daher in der linken Gehirnhälfte nicht nur der «Sinn für das Selbst», sondern auch der Optimismus, rechts dagegen finden sich pessimistische Stimmungen -eine gewagte Hypothese.

Doch damit nicht genug: Auf diese Weise, so meint der Hirnforscher, ließe sich auch das Zustandekommen religiöser Erfahrungen erklären. Zu solchen Erlebnissen komme es gewöhnlich dann, wenn die vertraute Umgebung zusammenbreche. In derartigen Situationen nehme zunächst die Aktivität der rechten, ängstlichen Hemisphäre zu. Spitze sich die Lage zu und erzeuge etwa Streß oder Schmerz, schütze sich das Gehirn dadurch, daß es seine linke Hälfte, also den Sinn für das Selbst, gewissermaßen ausschalte. Dadurch gewinne die rechte Hemisphäre die Oberhand, und die dort verarbeiteten Erfahrungen - Träume, Visionen, Halluzinationen - träten mit einem Mal verstärkt ins Bewußtsein. «Werden solche rechtshemisphärischen Invasionen wiederholt», erläutert Persinger, «regen sie, paradoxerweise, neue Aktivität in der linken Seite an. Und da die linke Hemisphäre eher Optimismus verbreitet, fühlt die Person in diesem Moment plötzlich große Freude und Zuversicht in sich aufsteigen.» Auf diese Weise werde die ursprüngliche Angst in ihr Gegenteil verkehrt und - wenn der Prozeß weit genug gehe - schließlich ein neuer, umfassenderer Sinn des Selbst etabliert. Daraus könne das Bedürfnis entstehen, all diese neuen Erfahrungen in ein System zu bringen und andere davon zu überzeugen - kurzum, all das, was ein rechtes religiöses Erleuchtungserlebnis ausmacht.   - (kopf)

 

Gehirn Hälfte

 

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