eheimniskrämer   Nicht bloß in alten Zeiten, sondern fast stets ist die Kenntnis der Magie als das ruhmvollste Ziel der Wissenschaften erstrebt worden. Wenigstens gingen, um sie zu erlernen, Pythagoras, Empedokles, Democritus, Plato zu Schiffe, und ihre Reisen verdienen eher den Namen Exile als Wanderungen; nach ihrer Rückkehr priesen sie dieselbe, hielten sie aber geheim. Democritus machte den Appollobeches Coptites und den Dardanus aus Phönizien dadurch berühmt, daß er des letztern Schriften aus dessen Grabe holte und die Grundsätze dieser beiden Männer seinen eigenen literarischen Arbeiten anpaßte; nur ist es ein Wunder, daß dergleichen Erzeugnisse von andern Menschen angenommen und auf die Nachwelt übergegangen sind, denn denselben geht alle Glaubwürdigkeit so sehr ab, daß diejenigen, welche alles übrige von Democrit gutheißen, jene Werke als ihm angehörend leugnen. Doch vergebens; man weiß ja, daß gerade er es gewesen, der dem menschlichen Geiste jenen süßen Betrug am festesten eingeprägt hat.  - (pli)

Geheimniskrämer ⁽²⁾  »Ach nein, meine Lieben! Wenn ihr aus dieser Nacht heraustreten wollt, müßt ihr euch vor einem anderen Gott auf die Knie werfen, und vor anderen Engeln, anderen Mächten ... Ihr müßt die Archonten des Lichts und nicht den der Finsternis anbeten.« Hier bewegte er sich auf des Messers Schneide. Aber auch wenn jemand dem Ordinariat über ihn berichtete, könnte man ihm allenfalls ein paar herausgerissene Worte ankreiden. Im übrigen deckte die Koppelung mit der Apokalypse alles. »Die Apokalypse! Das ist die schreckliche Wirklichkeit, auf die ihr jetzt gestoßen seid und mit der ihr zu rechnen habt, die Apokalypse!« Und er hielt die Kerze hoch und schwenkte sie, um so die Menge zu hypnotisieren, sie mit der Flamme zu fesseln. »Aber was bedeutet Apokalypse? Bedeutet es nur Zerstörung, Untergang, Gemetzel, Katastrophe? Gewiß, durch die Katastrophe müssen wir hindurch, man kann ihr nicht mehr ausweichen. Aber was bedeutet wörtlich das griechische Wort Apokalypse?«

Es galt jetzt, das Gleichgewicht zwischen Beschimpfung und Katechismus zu wahren. Da war der Pfeiler der Tradition und da der Blitz der Erneuerung. Gleichgewicht und Vorsicht, immer einen Schritt nach dem andern machen und einen Fuß vor den andern setzen; ein solider Turm mit fest genagelten Stufen, aber die Höhe hier oben, auf der fünften Plattform, spürte man in den Beinen. Der Mantel wog schwer auf den Schultern. Er zeigte sich am Geländer und schöpfte Atem, während er die Menschen unten eine lange Weile schweigend musterte.

»Apokalypse«, sprach er langsam, »bedeutet >Enthüllung<, die Enthüllung von Mysterien und die Erscheinung von verborgenen Dingen.« Eine doppelsinnige Anspielung. Wer es bemerkt, der soll es ruhig bemerken. Aber jetzt wieder ein Blitz.

»Doch erwarten wir nicht, meine Kinder, daß Gott alle seine Geheimnisse an die große Glocke hängt! Am Anfang war das Wort, der Logos, sagt Johannes. Aber er sagt nicht, wie dieses Wort lautet. Und als Paulus im dritten Himmel war, an diesem fernen Ort der ihm zuteil gewordenen Offenbarung, nun, hat er da etwa den Korinthern alles ausgeplaudert, was er gesehen und gehört hatte? Nein, er berichtete nur, geheimnisvolle Worte gehört zu haben, die zu wiederholen ihm verboten war.«  - Fruttero & Lucentini, Wie weit ist die Nacht. München 1989