ediegenheit
Versteht ihr? Ich glaube, daß keiner der Burschen damit rechnete,
auf normale Weise wieder hinunter zu gelangen. Als es dann doch geschah, hörte
ich sie untereinander sagen: ›Nun, ich dachte schon, wir kämen über Bord herunter,
in Bausch und Bogen - samt Masten und allem - verdamm mich, wenn ich das nicht
dachte.‹ ›Das dachte ich im stillen auch‹, antwortete dann müde eine andere
zerschrammte und verbundene Vogelscheuche. Und wohlgemerkt: dies hier waren
Männer, denen die eingedrillte Gewohnheit des Gehorsams fehlte. Einem Zuschauer
wären sie als übles Lumpenpack erschienen, ohne jeden versöhnlichen Zug. Was
veranlaßte sie, dies zu vollbringen — was veranlaßte sie, mir zu gehorchen,
als ich, völlig im klaren darüber, wie gut das sei, sie zweimal die Mitte des
Fock wieder losmachen ließ, damit sie das Segel noch besser festmachten? Was?
Sie hatten keine Berufsehre - hatten keine Vorbilder,
erwarteten kein Lob. Es war nicht Pflichtgefühl; sie wußten alle sehr wohl,
wie man sich drückt, wie man faulenzt und einer Sache ausweicht - wenn sie es
darauf anlegten - und das hatten sie meistens getan. Waren es die zweieinhalb
Pfund pro Monat, die sie hier heraufschickten. Sie hielten ihre Heuer nicht
halbwegs für angemessen. Nein, es war etwas in ihnen, etwas Eingeborenes und
Verborgenes und Dauerhaftes. Ich möchte nicht gerade behaupten, daß die
Besatzung eines französischen oder deutschen
Handelsschiffes nicht ebensolches vollbracht hätte, aber ich bezweifle, daß
sie es in derselben Weise vollbracht hätte. Eine Vollkommenheit
lag darinnen, etwas, das gediegen war wie ein Prinzip und unfehlbar wie ein
Instinkt - eine Offenbarung von etwas Geheimem -
von jenem verborgenen Etwas, jener Begabung zum Guten oder Bösen, die Rassenunterschiede
ausmacht, die das Geschick einer Nation formt. - Joseph Conrad, Jugend. Frankfurt am Main 1968
(zuerst 1902)
Gediegenheit (2)
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