Gedichtverächter  Die These, daß fast niemand Gedichte mag und daß der ganze Bereich der Versdichtung Fiktion und Vortäuschung ist, klingt vermutlich ebenso kühn wie unernsthaft. Und dennoch stelle ich mich hier vor euch hin und erkläre, daß mir Gedichte überhaupt nicht gefallen und daß sie mich sogar langweilen. Ihr wollt sagen, ich sei ein elender Ignorant? Aber ich arbeite doch schon seit langem in der Kunst, und ihre Sprache ist mir nicht ganz fremd. Ihr könnt mir auch nicht euer Lieblingsargument vorhalten, ich besäße eben keine Empfänglichkeit für Poesie, denn die besitze ich sehr wohl, und zwar in hohem Maße - und wenn Poesie sich mir offenbart, nicht in Versgedichten, sondern gemischt mit anderen, prosaischen Elementen, z. B. in den Dramen Shakespeares oder in der Prosa Dostoevskijs und Pascals oder einfach bei einem Sonnenuntergang, dann bebe ich wie andere Sterbliche auch . . . An der reinen, in Versen geschriebenen Poesie quält mich das Übermaß, das Übermaß an Poesie, das Übermaß an poetischen Wörtern, das Übermaß der Metaphern, das Übermaß der Sublimierungen, endlich das Übermaß der Kondensierung und der Säuberung jeglicher antipoetischer Elemente - Gedichte gleichen derart einem chemischen Produkt.   - Witold Gombrowicz, Gegen die Dichter. In: W. G., Eine Art Testament. Gespräche und Aufsätze. München 2006
 

Gedicht Verachtung


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