edankenübertragung   Am Morgen ging ich, um nicht sofort bei meiner Arbeit zu schwitzen, ins Strandbad Medusa, mietete eine Kabine und einen Sonnenschirm und legte mich in den Sand, halb in die Sonne und halb in den Schatten, wie es mir behagt. Dazu muß ich noch erklären, daß ich die Ausübung meiner Pflichten als Vertreter gern mit meinen persönlichen Rechten und Freuden abwechsle (ohne zu übertreiben). Doch meine beginnende Erholung wurde fast sofort durch eine heftige Belästigung gestört, die sich in mein Wohlbefinden bohrte, wie sich nach einem Dichterwort der Wurm in die Rose bohrt.

Verflucht, ein Kofferradio. Auch hier wie überall, an allen Stränden und in allen Zügen, im Omnibus und im Flugzeug, im Norden und im Süden unserer Halbinsel, in Europa und außerhalb, in der ganzen betäubten freien Welt, ein verfluchtes, dämliches, verdammtes Kofferradio. Oder vielleicht ein Recorder, der nur ein anderes Mittel ist, zu demselben vermaledeiten, ohrenbetäubenden Zweck.

Im ersten Moment wollte ich einen bösen Blick, begleitet von den geeigneten Verbalinjurien, in Richtung der lästigen Lärmquelle und ihrer Handhaber werfen, hielt mich aber doch zurück, um nicht wieder in eine Rauferei zu geraten, wie es mir einige Tage vorher in Fano mit einer ganzen Gruppe lärmender Jugendlicher passiert war. Ich senkte nur äußerst diskret meinen Kopf. Unter dem Sonnenschirm neben dem meinen hatten inzwischen Platz; genommen: eine aufreihende Schönheit im Bikini von etwa achtzehn Jahren, die an den verschiedenen und passenden Stellen gut verteilt waren, und ihr Begleiter, ein junger Alter oder ein alter Junge, je nachdem, aus welcher Sicht man ihn anschaute, graublond und mager an den falschen Stellen, Alter schätzungsweise fünfzig, sechzig, mit völlig grotesken Ketten auf der schlaffen Haut. Er hatte die Krachmaschine in der Hand, aus der im Moment ohrenbetäubende Rockmusik kam, und der alte Narr strengte sich vergeblich an, mit seinen Schrittchen und dem Rucken seiner müde hängenden Schultern deren Takt zu folgen.

»Altes Arschloch, mach dein Scheißradio aus!« schoß es mir augenblicklich durch den Sinn. Und auf der Stelle wiederholte das Radio mit einer vom Lautsprecher verzerrten Stimme, in der ich die meine kaum wiedererkannte: »Altes Arschloch, mach dein Scheißradio aus, altes A...« Und so weiter, ohne Unterbrechung, mehrmals hintereinander, bis der alte Geck sich endlich entschloß auszuschalten, mit einem verwunderten Ausdruck in seinem braungebrannten runzeligen Gesicht. - Gianni Rodari, Das fabelhafte Telefon. Wahre Lügengeschichten. Berlin 1997 (Wagenbach Salto 65, zuerst 1962)

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