Geburtstagsgesellschaft    Als Emile den Oberkellner an der Tür eine Verbeugung machen sah, verkrampfte er die Lippen zu einem unterwürfigen Lächeln. Eine blonde Frau mit langen Zähnen, in lachsfarbenem Theatermantel, rauscht an dem Arm eines Herrn herein, der ein rundes Mondgesicht hat und den Zylinder wie einen Eimer vor sich her trägt. Dann kommt ein junges, kraushaariges Mädchen in Blau, fletscht die Zähne und lächelt süß, dann eine dickliche Frau mit hochgetürmter Frisur, ein schwarzes Samtband um den Hals, dann eine Flaschennase und dann ein längliches, zigarrenfarbenes Gesicht - Hemdbrüste, Finger, die weiße Krawatten zurechtzupfen, schwärzliche Reflexe auf Zylinderhüten und Lackschuhen - und zuletzt ein verrunzeltes altes Männlein mit kleinen Goldzähnchen, das unablässig mit den Armen fuchtelt, mit krähender Stimme Begrüßungen hervorsprudelt und in der Hemdbrust einen nickelgroßen Brillanten trägt. Die rothaarige Garderobiere sammelt die Mäntel ein. Der alte Kellner stößt Emile mit dem Ellbogen an. «Das ist der Macher von's Ganze», flüstert er mit schiefgezogenem Mund, während er sich tief verbeugt. Emile drückt sich an die Wand, während die Gäste schlurfend und schubsend ins Zimmer strömen. Ein Patschuliwölkchen, das ihm ein Atemzug in die Nase weht, läßt ihn plötzlich bis an die Haar wurzeln erröten.

«Aber wo ist denn Fifi Waters?» ruft der Mann mit dem Brillantknopf.

«Sie sagt, sie kann erst in einer halben Stunde kommen. Die Kavaliere lassen sie nicht zur Bühnentür hinaus.»

«Tja, wir werden aber nicht auf sie warten, auch wenn es ihr Geburtstag ist. Ich habe noch nie im Leben auf jemand gewartet.» Eine Sekunde lang blieb er stehen und ließ forschende Blicke über die Frauen der Tischrunde schweifen, dann zupfte er die Manschetten aus den Ärmeln des Schwalbenschwanzfracks hervor und setzte sich mit einem Ruck hin. Im Nu war der Kaviar verschwunden. «He, Kellner!» rief er heiser. «Wo bleibt die Rheinweinbowle?»

... «De suite, Monsieur...» Mit angehaltenem Atem und eingesogenen Wangen räumte Emile die Teller weg. Frostig liefen die Kelche an, als der alte Oberkellner die Bowle aus einem geschliffenen Kristallkrug einschenkte, in dessen Tiefe Pfefferminz und Eiswürfel und Zitronenschalen und längliche Gurkenschnitten schwammen.

«Aha, das ist mir das Richtige!» Der Mann mit dem Brillantknopf setzte das Glas an die Lippen, trank schmatzend, stellte das Glas weg, sah seine Tischnachbarin von der Seite an. Sie war damit beschäftigt, kleine Butterklümpchen auf kleine Brotbissen zu schmieren und sie in den Mund zu stopfen, dabei murmelte sie unaufhörlich: «Ich kann nur ganz wenig essen, gerade nur ein paar ganz winzige Bissen.»

«Aber das stört Sie nicht beim Trinken, Mary, wa?» Sie lachte gackernd wie ein altes Huhn und klopfte ihm mit dem geschlossenen Fächer auf die Schulter. «Ach du lieber Gott, Sie sind mir eine Nummer, Sie sind mir eine Nummer.»

«Allume-moi ça, sporca madonna», zischelte der alte Kellner Emile ins Ohr.

Als Emile die Kerzen unter den Wärmeplatten auf dem Serviertisch anzündete, begann ein Duft nach heißem Sherry, nach Sahne und Hummer ins Zimmer zu sickern. Die Luft war heiß, voller Geklirr, Parfüm und Rauch. Nachdem Emile beim Servieren des Newburg-Hummers geholfen und die Gläser gefüllt hatte, lehnte er sich gegen die Wand und strich sich mit der Hand über das verschwitzte Haar. Seine Blicke glitten über die molligen Schultern der Frau, die vor ihm saß, glitten an dem gepuderten Rücken hinab bis zu der Stelle, wo sich unter dem Spitzenschal ein kleines Silberhäkchen gelöst hatte. Der kahlköpfige Herr neben ihr drückte sein Bein an das ihre. Sie war jung, in Emiles Alter, und unablässig blickte sie mit halbgeöffneten feuchten Lippen in das Gesicht des Mannes empor. Emile wurde schwindlig, er konnte die Blicke nicht abwenden.    - John Dos Passos, Manhattan Transfer. Reinbek bei Hamburg 1977 (zuerst 1925)

Geburtstagsgesellschaft (2)

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