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(pli)
Geburtstag (2) Belew. 13. 7. 20
Mein Geburtstag. Ich bin 26. Ich denke an zu Hause, an meine Arbeit, mein Leben verfliegt. Keine Manuskripte. Dumpfe Schwermut, ich werde es schaffen. Ich führe mein Tagebuch - das wird interessant.
Ich fahre nach Jasienewitschi, meinen Reisewagen gegen einen MG-Wagen und Pferde austauschen. Unwahrscheinlicher Staub, Hitze. Wir fahren durch Peresopniza, eine Freude die Felder, mein siebenundzwanzigstes Jahr, ich denke der Roggen ist reif, die Gerste steht stellenweise sehr gut, Hafer, der Mohn ist am Verblühen, keine Kirschen, Äpfel noch unreif, viel Hanf, Buchweizen, viele zertrampelte Felder, Hopfen.
Ein reiches Land, reich in Maßen. Die Schreiber - schön, jung. Die jungen russischen Stabsoffiziere, singen Operettenmelodien, durch die Stabsarbeit alle ein wenig verdorben. Die Ordonnanzen beschreiben - Schwätzer, Schmarotzer, Schmeichler, Fresser, Faulenzer, das Erbe des Alten, kennen ihren Herrn.
Arbeit des Stabes in Belew. Gut eingespielte Maschine, der wundervolle Kommandeur des Stabes, mechanische Arbeit und lebendiger Mensch. Eine Entdeckung - Pole, wurde entlassen, auf Befehl des Divisionskommandeurs zurückgeholt, überall beliebt, kommt gut mit dem Divisionskommandeur aus, was er auch zu spüren bekommt. Und kein Kommunist - und Pole, und dient treu, wie ein Hofhund, das muß man erst mal begreifen. Der Chef der Kavalleriereserve Djakow - phantastisches Bild. Rote Hosen mit silbernen Streifen, Gürtel mit Goldverzierung, aus Stawropol, Figur wie Apoll, kurzer, grauer Schnurrbart, fünfundvierzig Jahre, hat Sohn und Neffen, maßlose Flüche . . . Djakow, seine Soldaten lieben ihn, Mordskerl, unser Kommandeur, war Athlet, fast Analphabet . . . General, Djakow ist Kommunist, ein erfahrener, kühner Budjonnykämpfer. Traf einmal einen Millionär, Dame am Arm: Herr Djakow, kennen wir uns nicht aus dem Klub. War in 8 Staaten, wo ich auftrete, blinzle ich nur - Tänzer, Harmonikaspieler, Schlaukopf, Aufschneider, höchst malerische Gestalt. Entziffert kaum die Befehle, verliert sie dauernd, macht einen tot, der Bürokram, ich schmeiß alles hin, was werden sie ohne mich anfangen, Flüche, Gespräche mit Bauern, die reißen den Mund auf.
Maschinengewehrwagen und ein paar ausgemergelte Pferde, über
Pferde. - Isaak Babel, Tagebuch 1920. In: I. B.,
Die Reiterarmee. Darmstadt und Neuwied 1980 (SL 321)
Geburtstag (3) Ich hatte Geburtstag. Ich überlegte
ob es wert sei die Wäsche zu wechseln aber ich habe es noch aufgeschoben. Meine
Mutter war hier. Aber nicht viel denn sie hatte einen Eimer mit Syrup und damit
ging sie spazieren. Ich erhielt zwei Torten welche ich aufass und ein Paar Schuhe
aus Kameliendamen Kamelhaar mit einer Schnalle. Meine Wünsche
gingen nicht in Erfüllung und die ewige Aufforderung meiner Mutter zu essen
machte mich ganz krank. Ich rauchte auch eine Pfeife wonach mir sehr schlecht
wurde. Sonst hat mich das ganze nur aufgeregt und wie immer wie sehr ich meine
Mutter liebe ich bin doch so hässlich wenn sie mir auf dem Schoss sitzt. Ich
möchte ihr immer das Allerzarteste antun aber mein Herz bleibt kalt. Dann ergreift
mich eine grosse Reue und ich denke dass sie stirbt und ich habe sie verletzt.
Auch singt sie nicht rythmisch und darum muss sie sich die Beine mit Franzbranntwein
einreiben. Nun bin ich wieder allein. Ich habe gleich meinen Tisch abgedeckt
- das stört nur die Symmetrie. Ich sitze am Ofen und erwarte die Leoniden. - Hans Jürgen von
der Wense, Von Aas bis Zylinder, Bd. I. Frankfurt am Main 2005
Geburtstag (4) Mitternacht, und mir fiel ein, daß ich nun dreißig Jahre alt war.
Ich schlief schlecht, stach in ein zerkochtes Huhn, dessen Knochen sofort
auseinanderfielen, eine dicke und eine dünne Frau standen nebeneinander, die
dünne ging in die dicke über, beide zerplatzten, eine
Gouvernante balancierte mit einem Kind auf einer
Messerklinge in die offene Tür der Untergrundbahn, immer wieder Eilbriefe, Zeichen
im Sand, die ein dummer Gärtner wie Blumen begoß, Pflanzen, die Wörter bildeten,
geheime Botschaften auf Lebkuchenherzen an Kirchtagsständen, ein Gastzimmer
in einem ÖSTERREICHISCHEN Gasthof mit vier Betten, von denen nur eines bezogen
war. Mit erregtem Glied erwachte ich aus diesen Angstträumen, drängte mich sofort
in die schlafende Claire hinein, ermattete und schlief
wieder ein. - Peter Handke, Der kurze
Brief zum langen Abschied. Frankfurt am Main 1972
Geburtstag (5) Gestern bin ich 25 Jahr alt
geworden - ich war in Grüningen und stand an ihrem Grabe - Es ist ein freundlicher
Platz, - mit einem einfachen weißen Gatter verschlossen - abgelegen und hoch
- Es ist noch Raum da - Das Dorf lehnt sich mit den blühenden Gärten um den
Hügel her, und an einigen Stellen verliert sich der Blick m blaue Fernen. Ich
weiß, Sie hätten gern neben mir gestanden, und die Blumen, die ich zum Geburtstage
geschenkt erhalten hatte, langsam mit in den Hügel gesteckt. Vor zwei
Jahren hatte mir Sofie am nämlichen Tage einen schönen großen Kuchen backen
lassen, und eine Fahne und Nationalkokarde daran geheftet. - Novalis
an Karl Ludwig Woltmann (3. Mai 1797)
Geburtstag (6)
Geburtstag (7)
Zu der Zeit, in der sie meinen Geburtstag feierten, Und wofür ich selber mich hielt, als ich Kind war und sie mich liebten, Was ich heute bin, ist wie die Feuchtigkeit auf dem hinteren Zu der Zeit, in der sie meinen Geburtstag feierten ... Ich sehe noch einmal mit einer Deutlichkeit, die mich Still, mein Herz! Die Zeit, in der sie meinen Geburtstag feierten!... |
- Fernando Pessoa, nach
(mus)
Geburtstag (8) Was es an Geburtstagen zu feiern gebe,
verstehe er nicht, sagte Z. Allenfalls sei die Mutter zu beglückwünschen, die
sich zu jenem Datum einer schweren Last entledigt habe. Auf Blumensträuße könne
man aus diesem Anlaß getrost verzichten. Die meisten Rosen
würden, wie die Schweine, nur gezüchtet, um sie
umzubringen. - Hans Magnus Enzensberger, Herrn Zetts Betrachtungen
oder Brosamen, die er fallen ließ, aufgelesen von seinen Zuhörern. Berlin 2014
Geburtstag (9)