-
(pli)
Geburt (2) Das Weib so
gebieret / Wird mit der Todesfurcht geängstiget / mit mit den aller
empfindlichsten Schmerzen gequälet / mit der graussamsten Marter gefolgert
/ mit tausend Seufftzern belästiget / mit dem Angstgeschrey bejammert /
mit Zittern und Zagen überfallen. Ihre Haare werden gleichsam zu Schlangen
/ ihre Arme zu Rudern / ihre Hände zu Fesseln / ihr Leib zu einem Abgrund
der Schmerzen / ihre Brust will die Quelle des Lebens / das Hertz
durch die Augen aus giessen / wann es nicht für Furcht
und Wartung der Dinge / so noch kommen sollen / zu Eis gefroren wäre. Alle
Sinnlichkeit wird auf dieser Marterbank ausgeleschet : der Puls verschwindet
/ das Geschrey / Klagen und Zagen vermehret sich / der kalte Schweiss
trieffet über den ganzen Leib / und stehen die armen Creaturen auf der
Schwelle zwischen Tod und Leben; Deßwegen sind die Schmertzenmütter / von
allen ihren Söhnen billig geehret werden sollen / und saget hiervon Sirach
recht: Mein Sohn vergiß nicht / wie sauer du deiner Mutter
worden bist. - (
hrs
)
Geburt (3) Eine alte Vettel aus der Gevatterschaft, die für eine große Ärztin geachtet, und vor etlichen sechzig Jahren von Brisepaille bei Sainct Genou dorthin gezogen war, die macht' ihr ein so entsetzlichs Restrinctif, welches ihr alle Carunkeln im Leib dermaßen zusammenschnürt' und räutelt, daß ihr sie mit genauer Not mit den Zähnen hättet erlockern mögen: was schauderhaft zu denken ist: zumal der Teufel doch in der Meß des heiligen Martin, als er das Getratsch der beiden Sibyllen aufschrieb, sein Pergament mit schönen Zähnen gar wohl zu prolongieren wußt.
Durch diesen Unfall öffneten sich die Cotyledones der Gebärmutter oberwärts,
durch welche das Kind kopfüber hupft' in die hohle Ader, dann durch das Zwergfell
weiter kroch bis über die Achseln (wo sich gedachte
Ader in zwei teilt), und seine Straß zur Linken nehmend, endlich durchs linke
Ohr zu Tag kam. Sobald es geboren war, schrie es nicht,
wie die andern Kinder, mi mi mi! sondern mit lauter Stimm: »zu trinken! zu trinken!
zu trinken!« - (
rab
)
Geburt (4) Als die grosse Ratte, welche meiner Frau Mutter ein gantz neu seiden Kleid zerfressen, mit den Besen nicht hatte können todt geschlagen werden, indem sie meiner Schwester zwischen die Beine durchläufft und unversehens in ein Loch kömmt, fällt die ehrliche Frau deßwegen aus Eyfer in eine solche Kranckheit und Ohnmacht, daß sie gantzer 24 Tage da liegt und kan sich der Tebel hohlmer weder regen noch wenden. Ich, der ich dazumal die Welt noch niemals geschauet und nach Adam Riesens Rechen-Buche 4 gantzer Monat noch im Verborgenen hätte pausiren sollen, war dermassen auch auf die sappermentsche Ratte so thöricht, daß ich mich aus Ungedult nicht länger zu bergen vermochte, sondern sahe, wo der Zimmermann das Loch gelassen hatte und kam auf allen vieren sporenstreichs in die Welt gekrochen.
Wie ich nun auf der Welt war, lag ich 8 gantzer Tage unten zu meiner
Frau Mutter Füssen im Bettstroh, ehe ich mich einmal recht besinnen kunte,
wo ich war. Den 9ten Tag so erblickte ich mit grosser Verwunderung die
Welt. O sapperment! wie kam mir alles so wüste da
vor! Sehr malade war ich, nichts hatte ich auf den Leibe. Meine Fr. Mutter
hatte alle Viere von sich gestreckt und lag da, als wenn sie vor den Kopf
geschlagen wäre. Schreyen wolte ich auch nicht, weil ich wie ein jung Ferckelgen
da lag und wolte mich niemand sehen lassen, weil ich nackend war, daß ich
also nicht wuste, was ich anfangen solte. Ich hatte auch willens, wieder
in das Verborgene zu wandern, so kunte ich aber der Tebel hohlmer den Weg
nicht wieder finden, wo ich hergekommen war. Endlich dachte ich, du must
doch sehen, wie du deine Frau Mutter ermunterst, und versuchte es auf allerley
Art und Weise. Bald kriegte ich sie bey der Nase, bald krabbelte ich ihr
unten an den Fußsohlen, bald machte ich ihr einen Klapperstorch, bald zupffte
ich ihr hier und da ein Härgen aus, bald schlug ich sie aufs Nolleputzgen.
Sie wolte aber davon nicht aufwachen; letzlich nahm ich einen Strohhalm
und kützelte sie damit in den lincken Nasen-Loche,
wovon sie eiligst auffuhr und schrie: »Eine Ratte! eine Ratte!« Da ich
nun von ihr das Wort Ratte nennen hörete, war es der Tebel hohlmer nicht
anders, als wenn jemand ein Scheermesser nehm und führe mir damit unter
meiner Zunge weg, daß ich hierauf alsobald ein
erschreckliches Auweh! an zu reden fing. Hatte meine Frau Mutter nun zuvor
nicht »Eine Ratte! Eine Ratte!« geschrien, so schrie sie hernachmals wohl
über hundert mal »Eine Ratte! Eine Ratte!«, denn
sie meinte nicht anders, es nistelte eine Ratte bey ihr unten zu ihren
Füssen. Ich war aber her und kroch sehr artig an meine Frau Mutter hinauf,
guckte bey ihr oben zum Decke-Bette heraus und sagte: Frau Mutter,
Sie fürchte sich nur nicht! Ich bin keine Ratte, sond[er]n ihr lieber Sohn;
daß ich aber so frühzeitig bin auf die Welt gekommen, hat solches eine
Ratte verursachet. « Als dieses meine Frau Mutter hörete, Ey sapperment!
wie war sie froh, daß ich so unvermuthet war auf die Welt gekommen, daß
sie gantz nichts davon gewust hatte. Wie sie mich dasselbe mal zu hertzte
und zu leckte, das will ich der Tebel hohlmer wohl keinen Menschen sagen.
- Christian Reuter, Schelmuffsky. 1696
Geburt (5) Der Winter des Jahres 1788 war so streng, daß die Schindelnägel auf den Dächern krachten, die armen Vögel im Schlaf von den Bäumen fielen, und Rehe, Hasen und Wölfe ganz verwirrt bis in die Dörfer flüchteten. In einer Märznacht desselben Winters gewahrte man auf dem einsamen Landschloß zu L[ubowitz] ein wunderbares, geheimnisvolles Treiben und Durcheinanderrennen, treppauf, treppab, Lichter irrten und verschwanden an den Fenstern, aber alles still und lautlos, als schweiften Geister durch das alte Haus. Mein Vater ging in dem großen, von einer Wachskerze ungewiß beleuchteten Tafelzimmer auf und nieder, von Zeit zu Zeit horchte er bald in die Nebenstube, bald in den tiefverschneiten Hof hinaus; dann trat er unruhig ans Fenster, hauchte die prächtigen Eisblumen von den Scheiben und betrachtete den weiten gestirnten Himmel. Die Konstellation war günstig. Jupiter und Venus blinkten freundlich auf die weißen Dächer, der Mond stand im Zeichen der Jungfrau und mußte jeden Augenblick kulminieren. Da schlug plötzlich ein Hund an tief unten im Dorf, drauf wieder einer, immer mehrere und näher, eine Peitsche knallte und Pferdegetrappel ließ sich im Hofe vernehmen.
Endlich!— rief mein Vater, eilig vor die Haustür hinausstürzend. Eine
auf Kufen gesetzte, festverschlossene, altmodische Karosse dunkelte aus
dem dicken Dampf der Pferde, wie aus einem Zauberrauch, in welchem der
Kutscher seine erstarrten Arme gleich Windmühlen hin und her bewegte. Bitte,
Herr Doktor, — sagte mein Vater, selbst den Kutschenschlag öffnend — Sie
sind wohl gar drin eingeschlafen? — Auf Ehre, ein klein wenig! war die
Antwort, und aus dem Wagen erstaunlich fix sprang zu aller Verwunderung,
anstatt des erwarteten Doktors, ein langer, schmaler Kerl, den niemand
kannte, in einer ganz knappen, verschossenen Livrey, aus welcher beim hellen
Mondschein sein Ellbogen glänzte, daß einem innerlich fror, wenn man ihn
ansah. Mein Vater betrachtete ihn voller Erstaunen, der Fremde nahm schnell
eine Handvoll Schnee und rieb sich damit die halberfrorne Nase,
der Kutscher fluchte, der Schnee knirschte unter den Tritten, der Hofhund
bellte — da wurde ich in der Stube neben dem Tafelzimmer geboren. Mein
Vater, da er einen Kindsschrei hörte, blickte erschrocken nach dem Himmel:
der Mond hatte soeben kulminiert! um ein Haar wäre ich zur glücklichen
Stunde geboren worden, ich kam gerade nur um anderthalb Minuten zu spät,
und zwar in der Konfusion mit den Füßen zuerst, man sagt, ich habe damit
ein Entrechat gemacht. - Eichendorff
Geburt (6) Der Baron von Panat war ein hugenottischer
Edelmann aus der Gegend von Montpellier, von dem man sagte: «Lou baron
de Panat, pu leau mort que nat», das heißt «mehr tot als lebendig geboren»,
denn es heißt, seine Mutter, die beinahe im neunten Monat schwanger war,
habe, als sie gehacktes Fleisch aß, einen kleinen Knochen verschluckt,
der ihr die Luftröhre verstopfte, und sei für tot gehalten worden; darauf
sei sie mit ihren Ringen an den Fingern begraben worden; eine Magd und
ein Knecht hätten sie nachts wieder ausgegraben, um an die Ringe zu gelangen,
und die Magd habe ihr in Erinnerung an Mißhandlungen einige Faustschläge
versetzt, zufällig auf den Nacken, welche Schläge ihre Kehle frei gemacht
hätten, worauf sie zu atmen begonnen habe und einige Zeit danach mit ihm
niedergekommen sei, der aber dafür, daß er auf solch wunderbare Weise errettet
worden war, um nichts rechtschaffener wurde. Im Gegenteil, er wurde einer
der Schüler von Lucilio Vanini, der in Toulouse wegen Gotteslästerung Jesu
Christi verbrannt wurde. - (
tal
)
Geburt (7) Seit einiger Zeit spürte ich das Ende meiner Lehrjahre, in denen ich zahllose Erzählungen und Groschenromane unter fünf- oder sechzehn Pseudonymen geschrieben hatte, kommen. Aber noch zögerte ich mlt elnem schwierigeren, wenn nicht sogar ernsteren Genre anzufangen. Ich sehe mich noch an einem sonnigen Vormittag in einem Café sitzen, dessen Besitzer tagtäglich stundenlang seine Tische mit Leinsamenöl zu polieren pflegte. Ich habe in meinem ganzen Leben keine glänzenderen Tische gesehen.
Zu dieser Stunde saß kein Mensch an dem großen Mitteltisch, wie er in
Holland üblich ist, wo die sorgfältig auf Kupferstangen aufgezogenen Zeitungen
auf ihre Leser warteten. Habe ich ein, zwei oder sogar drei kleine Genever
mit einem Schuß Bitter getrunken? Jedenfalls sah ich nach einer Stunde,
ein wenig schläfrig, sich allmählich die mächtige, unbewegliche Statur
eines Mannes abzeichnen, der mir einen rechten Kommissar abzugeben schien.
Im Laufe des Tages gab ich ihm noch ein paar Requisiten: eine Pfeife, eine
Melone auf dem Kopf, einen dicken Überzieher mit Samtkragen. Und weil es
in meinem verlassenen Boot so feuchtkalt war, erlaubte ich ihm für sein
Büro einen alten Kanonenofen. Am nächsten Mittag war das erste Kapitel
von Maigret und Pietr, der Lette fertig; vier oder fünf Tage darauf
der ganze Roman. - Georges Simenon
Geburt (8) Träumt jemand, er werde von einer Frau
geboren, so ist folgende Deutung angezeigt: Einem
Armen bringt es Glück; er wird gleich den Säuglingen jemanden bekommen,
der ihn ernährt und bemuttert, ausgenommen, der Betreffende ist ein Handwerker;
einem solchen kündigt es Arbeitslosigkeit an; denn die Kleinen arbeiten
nicht und ihre Hände sind eingewickelt. Einem Reichen bedeutet es, daß
er nicht Herr im Haus ist, sondern von Leuten bevormundet wird, die ihm
zuwider sind; denn Säuglinge werden von anderen, die nicht nach ihrem Willen
sind, bevormundet. Einem Mann, dessen Ehefrau nicht schwanger ist, bedeutet
es, er werde sie verlieren; denn Säuglinge pflegen mit Frauen keinen Geschlechtsverkehr.
- (
art
)
Geburt (9) O'Coonassa ist mein Nachname in Gaelisch, mein Vorname ist Bonaparte, und Irland ist mein kleines Vaterland. Ich entsinne mich nicht wahrhaft des Tages meiner Geburt, noch der ersten sechs Monate, die ich hier auf dieser Welt zubrachte. Es kann jedoch kein Zweifel darüber bestehen, daß ich zu jener Zeit am Leben war, obwohl ich keine Erinnerung daran besitze, denn hätte ich damals nicht existiert, dann gäbe es mich jetzt nicht, und dem Menschenwesen teilt sich - genau wie jedem anderen lebenden Geschöpf - die Vernunft nur mählich mit.
Am Abend vor meiner Geburt geschah es, daß mein Vater zusammen mit Martin O'Bannassa auf dem Hühnerstall saß; man spähte in den Himmel, um sich ein Bild vom Wetter zu machen und plauderte wohl auch ernsthaft und ruhig über die Unbilden des Lebens.
Nun, Martin, sagte mein Vater, der Wind steht von Norden, und um die White Bens spielt ein wenig einladender Zug; bevor noch der Morgen anbricht, wird es Regen geben und eine ekelhafte stürmische Nacht dazu, die uns zum Beben bringen wird, selbst wenn wir uns inmitten des eigentlichen Betts befinden. Und sieh dorthin! Martin, ist es nicht von schlechter Vorbedeutung, wenn sich die Enten in die Nesseln kauern? Schrecken und Unglück werden heute nacht über die Welt kommen; das Übel und der Seekater werden in der Dunkelheit umgehen, und wenn mich nichts trügt, wird keinem von uns beiden je wieder günstigeres Geschick winken.
- Nun, in der Tat, Michelangelo, sagte Martin O'Bannassa, gar nicht gering ist, was du sagtest, und wenn du recht hast, so hast du nicht eine einzige Lüge ausgesprochen, sondern die Wahrheit selber.
Ich wurde um Mitternacht im Ende des Hauses geboren. Mein Vater hatte nie mit mir gerechnet, denn er war ein stiller Mensch und mit den genauen Umständen des Lebens nicht sonderlich vertraut. Mein kleiner kahler Schädel versetzte ihn in ein solches Erstaunen, daß er beinahe aus diesem Leben schied, als ich es betrat, und es war tatsächlich ein Elend und überaus schädlich für ihn, daß er es nicht wirklich tat, denn nach jener Nacht gab es für ihn nie mehr etwas anderes als nicht enden wollendes Mißgeschick, und die Welt zerstörte und zerfetzte ihn und raubte ihm für den Rest seines Lebens die Gesundheit. Die Leute sagten, meine Mutter habe mich ebenfalls nicht erwartet, und es ist Tatsache, daß ein Geflüster umging, welches besagte, ich sei gar nicht von meiner Mutter, sondern von einer anderen Frau geboren worden. All das indessen ist nur Gerede der Nachbarn und kann auch nicht mehr nachgeprüft werden, weil alle Nachbarn tot sind und weil es ihresgleichen nie mehr geben wird. Meinen Vater sah ich nicht, bis ich erwachsen war, aber das ist eine andere Geschichte, und ich werde sie an anderer Stelle dieses Dokuments erwähnen.
Ich wurde im Westen Irlands in jener schrecklichen Winternacht - mögen
wir alle gesund sein und in Sicherheit! - an einem Platz namens Corkadoragha
und in einer Gemeinde namens Lisnabrawshkeen geboren. Ich war zur Zeit
meiner Geburt noch sehr jung und auch noch um keinen Tag gealtert; ein
halbes Jahr lang nahm ich nichts um mich herum wahr und konnte keine Person
von der anderen unterscheiden. Weisheit und Verständnis jedoch keimen im
Geiste jedes Menschenwesens stetig, beständig und verstohlen, und ich verbrachte
jenes Jahr auf der ganzen Breite meines Rückens liegend, wobei meine Blicke
flink mal auf Dieses, mal auf Jenes in meiner Umgebung schweiften. Ich
bemerkte meine Mutter im Haus vor mir, eine anständige, stramme, grobknochige
Frau; eine stille, barsche, großbusige Frau. Sie sprach selten mit mir
und schlug mich oft, wenn ich im Ende des Hauses schrie. Die Schläge waren
von geringem Nutzen, um den Tumult abzustellen, denn der zweite Tumult
war schlimmer als der erste, und, wenn ich eine weitere Tracht Prügel
empfing, war der dritte Tumult schlimmer als der zweite. Trotzdem war meine
Mutter verständig, klarblickend und gut ernährt; es wird ihresgleichen
nie wieder geben. Sie verbrachte ihr Leben mit der Reinigung des Hauses;
sie fegte Kuhmist und Schweinemist von der Haustürschwelle,
sie machte Butter und melkte die Kühe, sie webte und kämmte Wolle und arbeitete
am Spinnrad, wobei sie betete, fluchte und große Feuer entfachte, um ein
Hausvoll Kartoffeln zu kochen, damit der Tag des Verhungerns abgewendet
werde. - Flann O'Brien, Irischer Lebenslauf. Eine arge Geschichte
vom harten Leben. Herausgegeben von Myles na Gopaleen. Aus dem Irischen
ins Englische übertragen von Patrick C. Power. Aus dem Englischen ins Deutsche
übertragen von Harry Rowohlt. Frankfurt am Main 2003 (st 3503, zuerst 1941)
Geburt (10) Meine Großmutter wütete und bewirkte mit diesem einzigartig entsetzlichen Streit meine verfrühte Ankunft auf der Welt. Meine schöne achtzehnjährige Mutter lag, von diesem Ausbruch gelangweilt (von den Kriegen abgesehen, in die ganze Völker verwickelt waren, kann es weder vor oder nach dem Erdbeben von San Francisco etwas damit Vergleichbares gegeben haben), meines Eintritts in die Welt harrend im Bett. Ich meinerseits belebte den Zustand meines Ungeborenseins durch heftige Tritte und Hiebe gegen die Wände meines Gefängnisses, damit man mich hinausließ. Ich wußte nicht, in was für einer Welt ich mich wiederfinden würde - in was für einem siècle aux mains.
»Ich habe mich manchmal gefragt«, sagte meine Mutter in Erinnerung an
jenen Vorfall, »ob diese Heftigkeit damit zu tun hatte, daß du auf die
Welt kommen oder auf deine Großmutter losgehen wolltest.« - Edith
Sitwell, Mein exzentrisches Leben. Frankfurt am Main 1994 (Fischer-Tb.
12126, zuerst 1965)
Geburt (11) Es war einer der heißesten Tage des Jahres. Die Hitze lag wie Blei über dem Friedhof und quetschte den nach einer Mischung aus fauligen Melonen und verbranntem Horn riechenden Verwesungsbrodem in die benachbarten Gassen. Grenouilles Mutter stand, als die Wehen einsetzten, an einer Fischbude in der Rue aux Fers und schuppte Weißlinge, die sie zuvor ausgenommen hatte. Die Fische, angeblich erst am Morgen aus der Seine gezogen, stanken bereits so sehr, daß ihr Geruch den Leichengeruch überdeckte. Grenouilles Mutter aber nahm weder den Fisch- noch den Leichengeruch wahr, denn ihre Nase war gegen Gerüche im höchsten Maße abgestumpft, und außerdem schmerzte ihr Leib, und der Schmerz tötete alle Empfänglichkeit für äußere Sinneseindrücke. Sie wollte nur noch, daß der Schmerz aufhöre, sie wollte die eklige Geburt so rasch als möglich hinter sich bringen. Es war ihre fünfte. Alle vorhergehenden hatte sie hier an der Fischbude absolviert, und alle waren Totgeburten oder Halbtotgeburten gewesen, denn das blutige Fleisch, das da herauskam, unterschied sich nicht viel von dem Fischgekröse, das da schon lag, und lebte auch nicht viel mehr, und abends wurde alles mitsammen weggeschaufelt und hinübergekarrt zum Friedhof oder hinunter zum Fluß. So sollte es auch heute sein, und Grenouilles Mutter, die noch eine junge Frau war, gerade Mitte zwanzig, die noch ganz hübsch aussah und noch fast alle Zähne im Munde hatte und auf dem Kopf noch etwas Haar und außer der Gicht und der Syphilis und einer leichten Schwindsucht keine ernsthafte Krankheit; die noch hoffte, lange zu leben, vielleicht fünf oder zehn Jahre lang, und vielleicht sogar einmal zu heiraten und wirkliche Kinder zu bekommen als ehrenwerte Frau eines verwitweten Handwerkers oder so... Grenouilles Mutter wünschte, daß alles schon vorüber wäre. Und als die Preßwehen einsetzten, hockte sie sich unter ihren Schlachttisch und gebar dort, wie schon vier Mal zuvor und nabelte mit dem Fischmesser das neugeborene Ding ab. Dann aber, wegen der Hitze und des Gestanks, den sie als solchen nicht wahrnahm, sondern nur als etwas Unerträgliches, Betäubendes - wie ein Feld von Lilien oder wie ein enges Zimmer, in dem zuviel Narzissen stehen -, wurde sie ohnmächtig, kippte zur Seite, fiel unter dem Tisch hervor mitten auf die Straße und blieb dort liegen, das Messer in der Hand.
Geschrei, Gerenne, im Kreis steht die glotzende Menge, man holt die Polizei. Immer noch liegt die Frau mit dem Messer in der Hand auf der Straße, langsam kommt sie zu sich.
Was ihr geschehen sei?
»Nichts.«
Was sie mit dem Messer tue?
»Nichts.«
Woher
das Blut an ihren Röcken komme?
»Von den Fischen.«
Sie steht auf, wirft das Messer weg und geht davon, um sich zu waschen.
Da fängt, wider Erwarten, die Geburt unter dem Schlachttisch zu schreien
an. Man schaut nach, entdeckt unter einem Schwärm von Fliegen und zwischen
Gekröse und abgeschlagenen Fischköpfen das Neugeborene, zerrt es heraus.
Von Amts wegen wird es einer Amme gegeben, die Mutter festgenommen. Und
weil sie geständig ist und ohne weiteres zugibt, daß sie das Ding bestimmt
würde haben verrecken lassen, wie sie es im übrigen schon mit vier anderen
getan habe, macht man ihr den Prozeß, verurteilt sie wegen mehrfachen Kindermords
und schlägt ihr ein paar Wochen später auf der Place de Grève den Kopf
ab. - Patrick Süskind, Das Parfüm. Die Geschichte eines Mörders.
Zürich 1985
Geburt (12) Es ist alles ein Corpus, die äußerste Geburt und auch die innerste mit samt der Festen des Himmels sowohl auch die siderische Geburt darinnen, in welcher der Zorn Gottes mit qualifizieret, aber es ist gegeneinander wie das Regiment im Menschen.
Das Fleisch bedeut die äußerste Geburt, welches ist das Haus des Todes; die andere Geburt im Menschen ist die siderische, in welcher das Leben stehet und da Liebe und Zorn miteinander streiten.
Und also weit kennet sich der Mensch selber, denn die siderische Geburt gebäret in der äußersten, das ist im toten Fleische das Leben.
Die dritte Geburt wird zwischen der siderischen und äußersten geboren, und dieselbe heißt die animalische oder die Seele und ist so groß als der ganze Mensch. Und dieselbe Geburt kennet und begreift der äußere Mensch nicht, auch so begreifts der siderische nicht, sondern ein jeder Quellgeist begreift nur seine instehende Wurzel, welche bedeut den Himmel.
Und derselbe animalische Mensch muß durch die Feste des Himmels zu Gott dringen und mit Gott leben, anders kann der ganze Mensch nicht in Himmel zu Gott kommen.
Denn ein jeder Mensch, der da will selig werden, der muß mit seinen
instehenden Geburten sein wie die ganze Gottheit mit allen drei Geburten
in dieser Welt. - (
boe
)
Geburt (13) Die meisten Männer, die
in einer Geburt stehen, haben eine große Angst um eben auch diese Kinder
ihrer Gedanken. Dabei vergessen sie oft, daß sie in ihrem ganzen Leben
immer nur aus ihrer Natur werden schaffen können, und daß es garnicht darauf
ankommen kann, ihre verschiedenen Phasen so eng wie möglich zu kreuzen
und zu verwirren, sondern sie sollten besser auseinander gehalten werden.
- Ernst Fuhrmann, Der Geächtete. Berlin 1983 (zuerst 1930)
Geburt (14) Louis' Frau brüllt so laut, daß die Passanten auf dem Quai einen Augenblick stehenbleiben und dann schneller weitergehen.
Endlich brechen die Gäste auf. Der kleine Doktor kommt, nicht ganz betrunken, aber auch nicht ganz nüchtern. Er zieht seinen Rock aus und krempelt sich die Hemdsärmel hoch.
›Man wird vielleicht die Zange nehmen müssen .. .‹
Sie haben es schon so eng, daß sie sich gegenseitig im Wege sind, und da redet der Doktor davon, das Kind mit der Zange zu holen.
›Aber das ist doch nicht möglich‹, schreit ihn Louis an.
›Wollen Sie, daß ich die Mutter rette?‹
Er ist todmüde, der Doktor. Er kann nicht mehr. Er blubbert. Als er sich eine Stunde später wieder aufrichtet, sieht Louis, daß seine Frau sich nicht mehr rührt ...«
Gassin blickte Maigret in die Augen und schloß:
»Louis hat ihn getötet.«
»Den Arzt?«
»Kaltblütig, mit einer Kugel in den Kopf, dann hat er ihm eine weitere
Kugel in den Bauch gefeuert, und dann hat er den Mund aufgemacht, als ob
er seinen Revolver aufessen wollte, und ein dritter Schuß ist losgegangen.«
- Georges Simenon, Maigret in Nöten. München 1974 (Heyne Simenon-Kriminalromane
45, zuerst 1933)
Geburt (15)
Mutter, ich selbst wohl möcht' einwilligend jezo vollenden |
- Hesiod, Theogonie (Übersetzung Johann Heinrich Voß)
Geburt (16)
Jene gebar von neuem ein unausringbares Scheusal, |
- Hesiod, Theogonie (Übersetzung Johann Heinrich Voß)
Geburt (17)
Niemand berichtet vom Anfang der Reise, vom frühen Horror
|
-
Durs
Grünbein
, Falten und Fallen. Frankfurt am Main 1994
Geburt (18) Die
Nacht von 27 auff 28 Äugst war schon recht kräncklich und elendt zumuth obwol
die neun Monath bißher mit vil gedult und gotgebner freüden ertragen. Innerlich
danckte Got das er mich so gesundt und starck gemacht bey meiner ersten Schwangerschafft
auch mich behuet vor Beschwerlichkeiten, grillen p p. - O mit welcher Emfindung
hab ich jeden morgen der seynsollenden Entbindung erwartt - doch Gott der mich
bißhieher gebracht wolt auch weiterhelffen! Die Frau Mama war hier seit ich
in die Wochen körnen bin und hett auch tausendt Anstalten gemacht das mir das
Hertz nicht schweer worden. Den gantzen morgen hab vil Leidt ausgestanden von
denen Kolicken so eine nach der andern kamen, die Messen mich schier nimmer
zu Odem körnen. Um die acht stundt kam die WehMutter und die Mägdte brachten
den Gebährstuhl; schaut ihn blos an so von ungefehr aber die Mama zeigt den
gebrauch davonn, wie ich mich anlehnen solt an dem aufgestelleten Rükkentheile
und sie die Küßen hinter mich stopfen wolten und wie ich die hendt an die Griff
solt legen und die Füss auff die Fußstüzzen stempen und wo die Wehmutter zu
sizzen hett. Ach da war die Beklemtung so gross weil das Kindlein nicht komen
wolt und der HErr mich vielleicht in mein erst Wochenbett wolt zu sich nemen
- und wenns denn für uns beyde nicht hett seyn sollen! aber ich decht Seyne
Wege sind unerforschlich. Gantz entkräfftet saße da mit Zittern der Pulß fast
weg und kalter Schweiß am gantzen Cörpper. Aber der grausamste anblik solt mir
erst bevorstehn nemlich wenn die kalten Instrument angelegt worden als da warn
die Gerethschafften zum AderLaßen womit sie wollen beschleunigen das Wehgeschäfft
und die Haken und die Zang Fortzeps mit denen lange Leffel womit sie wollen
mein Kindlein heraußziehn. Wie lang ich mögt geseßen und gegreint haben weiss
nicht mehr, und irr geredt vor Quall und bald an die Stubendekke gestarrt und
bald auf mein Kleid darunnler Gott woll entscheiden mein Weh und Freud. Schlißlich
um die MittagsStundt mein Schooß konts nicht lenger tragen - - und mil Beyhülfe
der guten WehMutter war's geschehen. War kaum bey sinen vor Entkräfftung auch
hielten die Leipschmertzen an, und da sah ich mich nach mein Kindlein um und
da saglen sie das sies hervorgezogen für todt. Ich glaubt im Elend zu vergehn;
doch war alles geschefftig nach hülff und verschiedne Mittel wurden angewendt
und O welche Seeligkeil das Söhnlein schepft Odem und ward ins leben zurükk
geruffen und drauß vor mein WochenZimmer voller leüte denen stürtzen die Thränen
herab. - Goethes Mutter, nach (
goe
)
Geburt (19) Ein Leben beginnt gewöhnlich mit der Geburt - meins nicht. Zumindest weiß ich nicht, wie ich ins Leben gekommen bin. Ich könnte - rein theoretisch - aus dem Schaum einer Welle geboren oder in einer Muschel gewachsen sein, wie eine Perle. Vielleicht bin ich auch vom Himmel gefallen, in einer Sternschnuppe.
Fest steht lediglich, daß ich als Findelkind ausgesetzt wurde, mitten im Ozean. Meine erste Erinnerung ist, daß ich in rauher See trieb, nackt und allein in einer Walnußschale, denn ich war ursprünglich sehr, sehr klein. Ich erinnere mich weiterhin an ein Geräusch. Es war ein sehr großes Geräusch. Wenn man noch so klein ist, neigt man dazu, die Dinge zu überschätzen, aber heute weiß ich, daß es tatsächlich das größte Geräusch der Welt war.
Erzeugt wurde es vom monströsesten, gefährlichsten und lautesten Wasserwirbel
der sieben Weltmeere - ich ahnte ja nicht, daß es der gefürchtete Malmstrom
war, auf den ich da in meinem Schälchen zuschaukelte. Für mich war es nur ein
gewaltiges Gurgeln. - (
zam
)
Geburt (20) im Baum
1
Zwischen superfeinen Leichen
Braunem Raubtier sanft gesellt
Schwamm
im Frühling ich mit gleichen
Satten Fressern aus der Welt.
2
Zwar war ich allein von allen
Goldgelb mit Musik gefüllt
Und, im
Fleisch noch ihre Krallen
Nackt in Himmel eingehüllt.
3
Doch von dieser armen Erde
Nahm ich einzig mit mir als
Zeichen, daß
sie mich verehrte
Einen Liebesbiß im Hals.
4
Blaue Salzflut überschwemmte
Mir das Fleisch bis auf das Bein
Wusch
mich schnell von Kot und Hemde
Faustschlag (und auch Küssen) rein.
5
Bösen Träumen hingegeben
Mit mir selbst im Tod vereint
Hab ich Algen
mich ergeben
Sie beschlafen, wie es scheint.
6
Als der Sommer wiederkehrte
War ich Aas in grüner Bucht
Und in einem
Baum der Erde
Schlug ich himmelwärts die Flucht.
7
Grüne Wände wuchsen sommers
Über mich verfaultes Aas
Und im Herbste
schwammen Wolken
Weiße, ob verfaultem Gras.
- (
breg
)
Geburt (21)
Wäinämöinen nur, der Sänger, |
- Kalewala, nach: Joseph Campbell, Der Heros in tausend Gestalten.
Frankfurt am Main 1978 (st 424, zuerst 1949)
Geburt (22) Uitzilopochtli fragte: »Wo sind sie jetzt?« Darauf jener: »Sie kommen schon den Berg hinauf.« Zum letzten Male sagte Uitzilopochtli: »Gib acht, wo sie jetzt sind«, und der Späher erwiderte: »Sie sind schon oben, stürmen heran, und als erste kommt Coyolxauhqui.«
Da wurde Uitzilopochtli geboren, angetan mit seinem vollen Putz: mit seinem
Schild Teueuelli, seinem Speer, seinem türkisfarbenen Wurfbrett und seiner Gesichtsbemalung
in gelben Querstreifen, die man seinen »Kinderschmutz« oder seine »Kinderbemalung«
nennt; er war an Stirn und Ohren mit Federn beklebt, und auch an seinem linken,
dünnen Vogelfuß war die Sohle mit Federn beklebt; beide Oberschenkel und Oberarme
trugen blaue Streifen. Einer namens Tochancalqui setzte nun auf Befehl
Uitzilopochtlis die Feuerschlange in Brand; darauf zerschmetterte Uitzilopochtli
mit ihr Coyolxauhqui und schnitt ihr den Kopf ab, der oben am Rande des Schlangenberges
liegen, blieb, während ihr Leib herunterfiel und dabei zerschellte; Arme Beine
und Rumpf fielen an verschiedenen Stellen nieder. Nun erhob sich Uitzilopochtli
und ging unverweilt den vierhundert Uitznaua zu Leibe. Er brach in ihre Reihen
ein, jagte sie vom Gipfel des Schlangenberges herab und trieb sie auseinander.
Und nachdem er sie bis an den Fuß des Schlangenberges getrieben hatte, verfolgte
er sie weiter und jagte sie viermal rund um den Schlangenberg. Vergebens rasselten
sie ihn an mit ihren Schellen, vergebens schlugen sie zur Abwehr gegen ihn auf
ihre Schilde; sie kamen nicht mehr gegen ihn auf, konnten sich nicht mehr gegen
ihn verteidigen. Uitzilopochtli hetzte sie, trieb sie vor sich her, vernichtete
und zersprengte sie und brachte sie zur völligen Auflösung.
- (
azt
)
Geburt (23) Ah, müßten Sie auch nur ein
Kaninchen spucken, es mit den Fingern nehmen und
sich in die hohle Hand setzen, noch so inniglich verbunden mit Ihnen durch den
Akt der Geburt, durch die unbeschreibliche Aura seiner unmittelbaren Nähe.
Ein Monat Abstand macht viel aus; ein Monat bedeutet
Größe, langes Fell, Sprünge, wilde Augen; ein völliger Unterschied, Andrée,
ein Monat macht ein Kaninchen, macht wirklich ein Kaninchen; aber die erste
Minute, wenn der wohlige und quirlige Wuschel von einer Präsenz ist, der man
sich nicht kann .. . Wie ein Gedicht in den ersten
Minuten, die Frucht einer Nacht in Edom: so sehr eins mit uns wie wir selbst.
- (
best
)
Geburt (24) Soll die Nachkommenschaft aus
der Frau hervorgehen, dann kommt ein solcher Schrecken und ein solches
Entsetzen über sie, daß jede Frau in diesem Furchtbaren erzittert, daß
ihre Adern überreich Blut vergießen, daß jegliches
Gefüge ihrer Glieder verletzt wird und daß sie sich unter Tränen und Wehgeschrei
lösen, so wie es heißt: »Im Schmerze wirst du gebären«, und zwar in solchem
Schmerze, wie am Ende der Zeiten sich die Erde ändern wird. Aller Frauen
Blut ist also mehr mit faulenden Stoffen durchsetzt als das der Männer,
weil sie geöffnet sind wie ein Holz, an dem Saiten zum Zitherspiele aufgespannt
sind, und sie sind auch wie mit Fenstern durchbrochen und windreich, weil
die Elemente in ihnen heftiger sind als in den Männern und weil die Säfte
in ihnen reichlicher sind als in den Männern. -
(bin)
Geburt (25) Es scheint sich immer mehr
zu bewahrheiten, daß die gesamte menschliche Phantasiewelt dazu tendiert,
jenen anfänglichen paradiesischen Zustand durch möglichst ähnliche Situationen
und Darstellungen symbolisch wiederherzustellen und insbesondere das schreckliche
»Geburtstrauma« zu überwinden, durch das wir aus dem Paradies vertrieben
werden, wenn wir aus einer perfekt schützenden, geschlossenen Umwelt abrupt
in all die schweren Gefahren der entsetzlich wirklichen neuen Welt übergehen
und dabei den Begleiterscheinungen der Erstickung, Quetschung, der Blendung
durch das plötzliche Außenlicht und der brutalen Härte der Realität ausgeliefert
sind, einer irdischen Realität, die im Gedächtnis unter dem Zeichen von
Qual, Benommenheit und Unwillen eingebrannt bleiben wird. -
(dali)
Geburt (26) Unter lauten und panischen Schreien der Selbstbehauptung und der Verzweiflung wurde Robin entbunden. Schaudernd, in doppelter Pein der Geburt und der Wut, unter Flüchen wie von Matrosen, richtete sie sich auf ihren Ellenbogen hoch, in blutigem Hemd, und blickte im Bett um sich, als habe sie etwas verloren. »Um Gottes willen, um Gottes willen!« heulte sie immer wieder wie ein Kind, vor dem sich Schreckliches auftut.
Eine Woche nachdem sie aufgestanden war, verlor sie sich wieder; als habe sie etwas begangen, was nicht wiedergutzumachen sei - als habe dieser Vorgang ihre Aufmerksamkeit zum erstenmal beansprucht.
Eines Abends betrat Felix ungehört den Raum und fand sie in der Mitte des Zimmers stehend. Sie hielt das Kind hoch in ihren Händen, als sei sie im Begriff, es zu Boden zu schleudern; aber sanft setzte sie es nieder. Das Kind war ein Junge, war klein und traurig. Es schlief zu viel, wurde von krampfhaften Zuckungen heimgesucht, machte wenig freiwillige Bewegungen; es wimmerte.
Robin begann erneut zu streunen, hin und wieder wegzufahren. Sie kam zurück
nach Stunden oder Tagen, uninteressiert. Die Leute waren unruhig, wenn sie zu
ihnen sprach; sie sahen vor sich eine Katastrophe, die noch nicht begonnen hatte.
- Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt am Main 1981 (zuerst 1936)
Geburt (27) »Oh friedvolles Nichts, ich kann daran nicht denken! Wenn das junge Lamm seinen Kopf für immer zur Seite legt und die Herde nur vier Fuß entfernt steht, wenn der Fisch nicht mehr in Flossenrichtung wandert, wenn der gefiederte Vogel dem Himmel seine Stelle in ihm zurückgibt und rasch zur Erde herabsteigt, trauern sie dann? Ich aber werde trauern, denn Melancholie ist erinnerte Sterblichkeit. (Julie steht daneben.) Und wenn es ein Mädchen ist, nun ja, dann ist Heien ein Name, ein sanfter, für den ich eine Vorliebe habe! Sie war es, die sich über die Schranken des Himmels neigte und die unvergänglichen Sterne herabregnete. Oder war sie das nicht?
Keine Erinnerung ist richtig, wenn noch nicht da ist, was bald sein wird. Den Tränen fall ich zu wegen der zwei nackten Fersen, die mich zum Nest für ihr Reifen wählten. Sei keinen Augenblick du selbst, bis ich des Augenblickes Frieden finde, um an dich zu denken! Du traust mir nicht? So ist es richtig. Keine Mutter würde je Mutter, so sie, mitten im Kampf, sich auch nur einen Augenblick aus dem Staub machen könnte, und so schreie ich laut, wie nur jeglicher Soldat in jeglichem Krieg: ›Lang lebe das, dem nicht zu wehren ist!‹ Und dich lieben, der du des Hasses Münze in meiner eigenen Gießerei geprägt und meinen Namen eingestempelt hast. Hinaus, Ungeheuer, dies ist Liebe!«
(Dr. Matthew O'Connor hält das Baby in die Höhe, schlägt ihm laut klatschend auf den daran höchst ungewohnten Hintern, dreht es um und betrachtet es): »Ein Junge!« Amelia (Julies Hand ergreifend): »Es tut mir leid, Julie, ich dachte, ein Mädchen. Wenn Drohungen ihm das Geschlecht gegeben hätten, wäre es zu einer Schwester geschreckt worden. Liebling, es tut mir also leid, es ist, wie es ist.«
Wendeil, es betrachtend -: »Der Balg ist schwarz!« »Allein die Galle ist der Vater seiner Farbe«, sagte Matthew O'Connor.
»Oh!« sagte Wendell. - (ryder)
Geburt (28) Eines Tages im Frühjahr setzten die Wehen ein. Es war, als hätte der Teufel selbst m meine Eingeweide gegriffen und würde mich ausweiden, wie ein Jäger einen Hasen. Nancy, die alte Negerköchin der Pension, war auch Hebamme, wie sie geschworen hatte, und ich kümmerte mich nicht viel darum, ob das auch tatsächlich stimmte.
Als die Wehen immer rascher kamen, schrie ich nach ihr, daß sie mir helfen sollte. Sie knüpfte das eine Ende eines Handtuchs um einen Bettpfosten und gab mir das andere Ende in die Hände. „Da, zieh fest, Kindchen, sooft die Schmerzen kommen. Und fest arbeiten, damit dieses Stück heraus kann aus dir. Es hat sich lange genug darin verborgen. Es hat keine Lust mehr, sich da noch länger zu verstecken. Ich war schweiß gebadet, ich brüllte und fluchte. Das Stück wollte einfach nicht aus mir heraus, nicht einmal dann, als das Fruchtwasser abgegangen war. Ich preßte und stieß, und Nancy wischte mir das Gesicht ab und sagte: „Preß und stoß, preß und stoß. Ich glaubte, alle Schmerzen der Welt wären in mir zusammengetroffen und wollten dort nicht herauskommen, wo so viel und so oft etwas hineingegangen war. Es klingt verrückt, aber ich verfluchte Eva ihres Apfels wegen, und Adam, der blöd genug gewesen war, ihn zu essen und mir das nun alles auf einmal aufzuladen, die ich ganz allein war, abgesehen von dieser großen, dicken Negerköchin, die vor Fett glänzte und voll Mitleid mit mir war. Aber sie konnte mir nicht viel helfen. Es war nicht ihr Bauch.
Dann durchfuhr mich ein geballtes Bündel von Schmerzen, die sich über meinen ganzen Körper ausbreiteten und sich in mir zusammenzuschließen schienen. Als ich schon glaubte, es würde mich bis zum Nabel aufreißen und sprengen, fiel mir plötzlich der alte Bordellwitz ein: „Eine Fotze ist wie das Maul eines Mulis, lieber dehnt sie sich einen Kilometer aus, ehe sie einen Zentimeter reißt. Dann plumpste etwas heraus. Die Köchin griff danach, ein schmutziger, scheußlicher Klumpen hing daran herunter. Ich lag bloß da und keuchte. Nach einiger Zeit hörte ich einen dünnen, schwachen Schrei, und dann wurde mir ein Handtuch mit einer gehäuteten Katze entgegengehalten, rot wie gekochter Hummer. Die Gliedmaßen zuckten, und der offene Mund war gummiweich. „Ein Pfundskerl von einem Jungen. Und alles an seinem Platz.
Ehrlich gesagt, ich war bloß abgestoßen. Alles, was ich sah, war ein schmutziger
Brocken, rot, mit dünnen Hühnerknochen, flek-kigem Gesicht, und so blutig wie
eine offene Wunde. - Nell Kimball, Madame
- Meine Mädchen, meine Häuser. Hg. Stephen Longstreet. Frankfurt am Main, Wien und
Berlin 1982 (entst. ca. 1917-1932)
Geburt (29) Einmal hatten wir eine hochschwangere Farbige von den Bahamas; eines Tages ging sie in eins der hinteren Zimmer, setzte sich auf die Toilette und bekam dort ihr Kind. Dann ließ sie das Wasser laufen, bis es unter der Toilettentür hervor auf die Fliesen strömte und das ganze Zimmer überflutete. Wir brachen die Tür auf, hoben sie vom Sitz und trennten die Nabelschnur ab; wie sich herausstellte, war das Kind vollkommen wohlauf. Wir entließen die beiden eine Woche später. Es war mitten im Winter, und am nächsten Morgen fand man den Säugling, in eine Zeitung gewickelt, unter einer Bank im Prospect Park. Automatisch wurde er bei uns eingeliefert. Eins der Mädchen sah ihn an und erkannte ihn sofort wieder.
»He, das ist doch Joe, den wir gestern entlassen haben! Seht ihn euch an, ist das nicht Joe?«
Alles drängte sich herum. Kein Zweifel, es war Joe. -
(wcwa)
Geburt (30)
Geburt (31) Geburt, die — Erstes und ärgstes
aller Übel. Über die Natur der Geburt herrscht
keine Einmütigkeit. Castor und Pollux schlüplten aus einem Ei.
Pallas entsprang einem Schädel. Galathea war
zuvor ein Stein. Peresilis, ein Autor des 10.Jahrhunderts, behauptet, er sei
aus dem Boden gesprossen, dort, wo ein Priester Weihwasser
verspritzt hatte. Arimaxus entstammte bekanntlich einem Erdloch, in das der
Blitz geschlagen hatte. Leukomedon war der Sohn einer Höhle
im Berg Ätna, und ich habe mit eigenen Augen einen Mann aus einem Weinkeller
kommen sehen. -
(bi)
Geburt (zweite, 32)
Geburt (33) Trotz wohlbegründeter Zweifel, ob es ratsam sei, jene Rasse zu erhalten, die Gottes Einverständnis und der Menschen Mißbilligung erfährt, gebar im Frühjahr 1880, im Alter von fünfundvierzig Jahren, Hedwig Volkbein, eine Wienerin von großer Kraft und soldatischer Schönheit -hingestreckt unter Pfosten eines Himmelbetts von üppig theatralischem Karmin, hinter Behängen, auf denen Habs-burgs gegabelte Schwingen prangten, unter Federdecken, deren Atlashülle in reichem indes erblindetem Goldfaden das Volkbeinsche Wappen schmückte -, ihr einziges Kind: einen Sohn; sieben Tage nach der vom Arzt vorausgesagten Stunde.
Auf diesem Schlachtfeld nun, dröhnend im Getrappel morgendlicher Pferdehufe
von der Straße drunten, wandte sie sich um: mit der großartigen Geste eines
Fahnen salutierenden Generals nannte sie ihn Felix, stieß ihn von sich und verschied.
- Djuna Barnes, Nachtgewächs. Frankfurt am Main 1981 (zuerst 1936)
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