eborgenheit   Wilm sagte: »Das sind Hauffs Märchen.« Ein Haufen Märchen? Haufenmärchen? Märchen beim Haufenmachen? Mein Gott, was ging in mir vor! Da meinte Wilm: »Damit du erfährst, um was es sich handelt, lese ich dir mal etwas vor.« Er las mir an meinem fünften Geburtstag den ganzen Zyklus ›Die Karawane‹ vor. Ich hörte ihm zu, viele Stunden, scheu und fasziniert. Beim Zuhören aber hing ich mich über Wilms Schulter und schaute in das Buch, aus dem mein Vater mir vorlas. Wilm war zuerst etwas irritiert, aber schließlich nahm er unsere Leibesnähe hin und hatte im Weiterlesen eine Idee: Sein Finger fuhr unter den Wörtern und Sätzen her, während er sie mir vorlas. Wilm las impertinent gut, langsam und fast ohne Färbung der Stimme, ohne interpretierende Betonung, - die Wörter leise aussprechend, die das Geschehen beglaubigten. Ich betrachtete die Wörter, die Wilm mir vorlas. Ich betrachtete sie intensiv und Wilm ließ mir, durch sein langsames Lesen, genügend Zeit dafür. Ich sah den Bau der Buchstaben und erlauschte deren Klang, vernahm die Sätze, erlebte den Hergang des Geschehens. Die Richtigkeit eines jeden Buchstabens frappierte mich, denn ich entdeckte, wie in der Musik, das nie erlebte Meer der meerbewegten Sprachentiefe: Das Geschriebene war so abhold jedem Zufall, so wundersam gestreng jeden Zufall und damit allen Wahnsinn leichthin aus dem Meer meiner Ahnungen eliminierend, denn nicht dieser oder jener Buchstabe dünkte mich, ausnahmsweise, richtig, sondern, du hohes und unfaßbares Wunder, jeder Buchstabe frappierte mich mit seiner Richtigkeit! Da atmete ich auf in schierem Trost, fühlte etwas voraus: Geborgenheit in allen kommenden splitternden Katastrophen, Ahnung der Fülle des Nichts, Bergung meiner Leere in etwas, das nicht aus mir und nicht von mir erschaffen war, das größer war als alles im Meer meiner Ahnungen.

Als Wilm den ganzen Zyklus vorgelesen halte, sagte er: »Ja, Ernst, das ist die Hütte Gottes bei den Menschen, das ist Erzählerei, Junge.«  - (kap)

Geborgenheit (2)   Wir schulden der Werbung Dank für das Gefühl des Geborgenseins, von dem sie alles Negative fernhält, wir zollen ihr Beifall für die großartige Manifestation der Güterfülle und des Überflusses an Bildern und bewundern besonders ihre schauspielerischen Talente (die ebenfalls zu den demokratischsten gehören), ihr Bühnenwerk der Auslagen, ihr ganzes Szenario. Die Werbung ist die fortdauernde Anpreisung der realen und virtuellen Kaufkraft der gesamten Gesellschaft. Ob man persönlich über diese Kaufkraft verfügt oder nicht, hindert einen nicht daran, sie zu »atmen«, sie in ihren Verkörperungen zu begreifen und abzuwägen. Unversehens erotisieren sich dabei die Gegenstände, nicht nur auf Grund einer unmißverständlichen sexuellen Thematik (Busen, Lippen und so fort, die übrigens weniger einen erotischen, als einen »nahrhaften« Wert zu haben scheinen), sondern dadurch, daß der Kaufvorgang, dieses einfache Geben und Nehmen, hier in eine Art Manege, auf eine Wanderbühne gestellt wird, sich in einen komplexen Tanz verwandelt. Und zu den geschäftlichen Abmachungen werden alle Elemente einer Liebeswerbung hinzugefügt: das Anbiedern, das Feilschen, der Flirt, die Obszönität, die Prostitution (und selbst die Spöttelei). - (baud)
 
 

Sicherheit

 

  Oberbegriffe
zurück 

.. im Thesaurus ...

weiter im Text 
Unterbegriffe

 

Verwandte Begriffe
Synonyme