artenzählmaschine  Ich träumte von einer Gartenzählmaschine. Ich wußte, daß der Apparat, der da riesenhaft auf acht Beinen tänzelte, eine Gartenzählmaschine war; er konnte ja nichts andres sein.

Er war baumhoch und wippte dabei noch tief in den Knien; er ging auf sehr dünnen, durchbrochenen Schienen, die, ober- und unterschenklig gegliedert, in den Scharnieren der Kniegeienke so weit aus der Senkrechten knickten, daß die Halbseite einer Raute erschien, wobei es bisweilen jedoch auch geschah, daß ein Knie nicht nach außen, sondern nach innen sich drückte, was dem Groteskgang dieses Tänzeins auf tupfenhaften zierlichsten Füßlein etwas erheiternd Gespenstisches gab.

Oben, ohne sich zu verdicken, mündeten, spinnenartig, die Beine in einen ungegliederten Rumpf, einen massigen, kopflosen, stumpikegligen Buckel, der nach Vollendung eines Gesamtschritts, also wenn jedes der acht Beine sein Füßchen um ein winziges weitergesetzt, einen ungeheuren Rammpfahl herausstieß, einen Elefantenstempel, einen Eichenstamm aus Stahl, der so heftig zu Boden fuhr, daß er fast lautlos alles zermalmte, was sich da unter ihm befand: Gras, Wege, Sträucher, Vögel, ein Bänkchen, auch die Scheiben über den Frühgurkenbeeten, so daß im Weiterschreiten des Apparates, dessen Knie mitunter nach innen knickten, ein Streifen Vernichtung neben dem andern durch den Garten gezogen wurde, rammbreit, von der vordren Zaunfläche zur hintren, denn der Zaun, wiewohl nur klägliche Latten, wurde sorgsam respektiert: die Beine, sowie sie sich ihm nur näherten, zuckten, ohne an ihn zu rühren, zurück, so, als ob sie Fühlhaare trügen; sie gingen jedoch unbesorgt über Gegenstände und lebewesen innerhalb des Zauns, wie eben das Bänkchen, das da herumstand, oder einen Strauch, oder einen Spatz.

Ich sah der Maschine interessiert zu; sie arbeitete mit graziösester Komik und war etwas Neues und Geniales; wo gab es denn Gartenzählmaschinen? Und sie arbeitete so systematisch, ließ keinen Zoll an Boden aus, sie mußte, um ihn zählen zu können, ja - was sofort überzeugte - den Garten in seiner Gänze erfassen, ihr Rammpfahl legte Streifen um Streifen, ohne ein Eckchen auszulassen, und als der Garten solcherart abgespürt war, schob der Rumpf oberhalb des Rammpfahlaustritts (mich verwunderte keinen Augenblick, wie dessen weitaus größere Masse in die sehr viel geringere des Rumpfes einging, derart faszinierte das exakte Funktionieren) - schob also der Rumpf durch einen sich auftuenden Schlitz ein sich senkrecht stellendes Schild heraus, auf dem leuchtend schwarz die Ziffer 1 stand; das Schild verharrte eine Weile, damit es jeder richtig lese; dann, als ob er sich seines Werkes freue, hüpfte, die Knie unbehoffen streckend, der Apparat fast geschämig einen Fuß hoch in die Höhe, zog dann rasch das Schild wieder ein und hob, ohne den Zaun auch nur zu streifen, unendlich behutsam seine acht Beine in den angrenzenden Garten, künftige Nummer 2, hinüber, den er sogleich zu zählen begann. - Franz Fühmann, Dreizehn Träume. Berlin 1991. In: Der Mund des Propheten. Späte Erzählungen (AtV 75, zuerst 1983)

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