angsterkrieg
Die Gelegenheit, die Villen aufzuknacken, deren Besitzer sich im ›Haus der Armut‹
von den Strapazen des Reichtums erholten, wäre in diesem Sommer für das Syndikat
sensationell gewesen, wenn sich nicht die anderen Syndikate zusammengeschlossen
hätten. Eine Arbeitsteilung mit dem neuen Syndikat wäre nicht nur möglich, sondern
auch vorteilhaft gewesen, wenn die Lage übersichtlich gewesen wäre. Niemand
wußte, wer das neue Syndikat gegründet hatte. Die alten Bosse schwiegen. Vielleicht
wußten sie es selber nicht. Zudem tauchte das Gerücht auf, der Große Alte habe
entweder dem unbekannten Gründer des neuen Syndikats sein Syndikat unter der
Bedingung verkauft, daß seines von jenem liquidiert werde, weil er sich von
den Geschäften zurückziehen und seine Ruhe haben wolle, oder der Große Alte
habe dem unbekannten Gründer des neuen Syndikats dessen Syndikat unter der Bedingung
abgekauft, es liquidieren zu dürfen, um die Szene allein zu beherrschen, wobei
freilich Kenner behaupteten, der unbekannte Gründer des neuen Syndikats sei
Jeremiah Belial. Weil aber niemand wußte, wie Jeremiah Belial zum Großen Alten
stand, ob er mit ihm identisch, sein Unterführer, seine Konkurrenz oder gar
sein Chef war, blieben nichts als Spekulationen übrig, die jedoch die Ungewißheit
unter den Mitgliedern beider Syndikate derart schürten, daß ein offener Krieg
ausbrach. Niemand wußte, wer wen aufgekauft und wer wen zu liquidieren hatte.
In Manhattan, in Chicago, in San Francisco und in Los Angeles, aber auch in
Mexico City, Rio, São Paulo und Hongkong usw., häuften sich die Opfer. Bald
in diesem, bald in jenem Coiffeurladen sank man aus den Sesseln. Verdutzt standen
die Barbiere mit Pinsel und Rasiermesser vor halbrasierten Leichen. Bald in
diesem, bald in jenem Luxusbordell fanden der Etagenkellner oder das Zimmermädchen,
brachten sie das Frühstück, Kaffee oder Tee, warme Croisssants oder Toast, Schinken
mit Spiegeleiern oder Ei im Glas, frischen Orangensaft und Birchermüsli, das
gemischte, aber manchmal auch männliche oder weibliche Pärchen chirurgisch tadellos
zerlegt vor, die Mäuler, um die anderen Kunden des Etablissements nicht zu inkommodieren,
mit Leukoplast verklebt, und in einem Penthouse über dem Hudson wurde die Leiche
eines verkohlten mickrigen Mannes in einem Kamin gefunden, einen Joint zwischen
den Lippen. - Friedrich Dürrenmatt, Durcheinandertal. Zürich
1998
|
||
|
||