Fußspuren  Juve, der immer noch auf dem Rücken lag, starrte zur Decke.

Mit dem Zeigefinger nach oben deutend, fuhr er fort:

- Sieh mal an! Sie möchten also gern etwas verstehen?... Na, das ist nicht schwer! Sehen Sie doch mal die Spuren dort! ...Ja, da, wo ich hinzeige!... da oben!...

Juve machte noch einmal die Anwesenden auf die deutlich erkennbaren Fussspuren aufmerksam, die man an der Decke sah und die, von der Nordseite der Wandelhalle ausgehend, bis zur Südseite quer durch den ganzen Raum verliefen ...

- Ja du lieber Gott! erklärte Juve, nichts leichter als das! Jedes Kind könnte darauf kommen ... alle Achtung aber, das ist nicht von Pappe! ...

- Aber was denn, Juve?... Was denn? Nun reden Sie doch! ...

- Kommt schon, Fandor! ... Kommt schon! ... Ich suche nur noch ein paar Merkmale!... Schon gut... Schon gut!... Das reicht aus!...

Unvermittelt richtete sich Juve wieder auf...

Er hatte sich wieder völlig in der Gewalt, er sprach mit der Selbstsicherheit eines Professors, der seine Vorlesung hält:

- Ich werde Ihnen jetzt ganz genau darlegen, erklärte der Geheimpolizist, wie die Dinge wahrscheinlich abgelaufen sind ... Louis Meynan ist hier hereingekommen, um sich zur Kasse zu begeben, und da er genau wusste, wie die elektrischen Drähte verlaufen, die zur Absicherung der Stahlschränke gegen jeglichen Einbruchsversuch gespannt sind, ist er darunter durchgeschlüpft, wie er es allabendlich tat... Nun aber war der unglückliche Kassierer noch nicht einmal bis in die Mitte der Geheimkammer, gekommen, was heissen will, dass er noch den Schlüssel in der Hand hatte, um den Zugang zu den Gewölben zu öffnen, da fiel er tot um, mit dem Degen erstochen, den der Mörder ihm mitten durch den Leib stiess ... Von wo dieser Degen kam? Wo sich der Mörder befand? ... Meine Herren, der Degen kam von der Decke, und der Mörder befand sich an der Decke!...

Aber während Juve so sprach, musterten ihn alle mit erstaunten Bücken ... Und beim Zuhören wurde die Ungläubigkeit immer grösser ...

- Ach was! widersprach Monsieur de Vaugreland, Sie werden uns doch nicht einreden wollen, ein Mann sei an der Decke herumgekrabbelt, mit dem Kopf nach unten, wie eine Fliege?... Nicht einmal mit Krampen an den Füssen ...

Doch schon schüttelte Juve den Kopf:

- Och, entgegnete Juve, ob Sie es glauben oder nicht, das tut nichts zur Sache ... Darum haben sich die Dinge doch so abgespielt, wie ich es sage ... Krampen an den Füssen? Nein, Monsieur de Vaugreland, damit haben Sie Recht, er hatte keine Krampen! Krampen hätten ja Spuren hinterlassen ... Nein, er hatte was Besseres: er hatte einen Strick!...

- Einen Strick? ... Was wollen Sie denn damit sagen? ... Juve wies mit dem Finger auf zwei oberhalb der Tür zur Nordseite und der Tür zur Südseite eingelassene Ringhaken ...

- Ja, mein Gott, setzte er hinzu, es ist doch sonnenklar, dass dies Verbrechen von langer Hand vorbereitet und bis ins Kleinste vorgeplant war ... Sehen Sie sich doch diese Ringhaken an! Mit Sicherheit ist es der Mörder, der sie angebracht hat ... Schön ... Und jetzt einmal Folgendes ... Der Mörder wusste von den elektrischen Drähten ... er wusste, dass er, wenn er ganz normal über den Boden dieses Raumes ginge, Spuren im Sand zu sehen sein würden und dass er dann auf die quer gespannten Drähte stossen würde ... Beides musste er vermeiden, nicht wahr?... Wie hat er es also fertiggebracht?... Und da zeigt sich seine Findigkeit. Von der Tür zur nördlichen Wandelhalle bis hin an die Tür zur südlichen Wandelhalle hat er einen Strick gespannt. Dieser Strick verlief oberhalb der elektrischen Drähte und möglichst nahe an der Decke ... Schon! ...Jetzt nehmen Sie einmal an, dass er beim Hereinkommen einen Klimmzug vollführt, sich zum Strick hinaufschwingt, sich daran festhält und hängend, mit dem Kopf nach unten, die Füsse gegen die Decke drückend, sich voranbewegt... Dies erklärt ganz einfach, warum er die elektrischen Drähte nicht gestreift hat, warum er auf dem sandbedeckten Boden des Raumes keine Fussspuren hinterlassen hat, und schliesslich, wie er es angestellt hat, um von Louis Meynan nicht wahrgenommen zu werden, als er ihn, in seiner akrobatischen Stellung auf der Lauer liegend, abpasste ... nämlich einfach so, dass Louis Meynan sich beim Hereinkommen in den Raum niederbeugte und erklärlicherweise nicht im entferntesten daran dachte, an die Decke zu gucken, wo normalerweise kein Mensch einen Mörder vermutet, und von wo ihn der Degen traf... - Pierre Souvestre & Marcel Allain, Fantômas: Mord in Monte Carlo. Berlin 1986 (zuerst 1911)

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