uchtel   Wo Wirkliches und Unwirkliches ineinander übergehen, schmiedet sie ihre grandiosen Pläne, die durch die Atmung der redenden Steine heimlich genährt werden, und das Wunderbare dient ihr gleichzeitig als Schmuck und als Spiegel.

Julia Domna, die Krieg geführt, die Krieg entfacht und angestiftet hat, um ihren weiblichen Ehrgeiz und ihre Vorstellungen von Herrschaft zu befriedigen, ist auch für jene Sammlung von Wundern verantwortlich, die das von Philostratos verfaßte Leben des Apollonios von Tyana enthält, Apollonios von Tyana, der Weiße, der die Geistigkeit der Erde mit Zeichen, die er in Gräbern gemacht hat, wieder auflädt.

Ich verzeihe Julia Domna ihre Heirat mit jenem verrückten Römer namens Septimius Severus, und ich verzeihe ihr auch ihre Söhne, die noch verrückter und verbrecherischer waren als ihr Vater; denn in ihrem Auftrag wurde das Leben des Apollonios von Tyana geschrieben, wo ich alles wörtlich nehme.

Übrigens hätte es ohne Julia Domna Heliogabal nicht gegeben, wobei ich allerdings glaube, daß ohne diese päderastische Verschmelzung von Königtum und Priesterwürde, wo die Frau Mann sein möchte und der Mann sich ein weibliches Benehmen zuzulegen sucht, Julia Domnas königliche Weiblichkeit, in der sich Geist und Wunderbares mischen, nie darauf verfallen wäre, auf dem Thron des römischen Reiches glänzen zu wollen. Dazu bedurfte es äußerer Umstände und der Tatsache, daß sie Gebieterin war. All das zusammen ergibt ein Ungeheuer, das einen Kaiser in den Krieg stürzt, das aber, sowie es vom Krieg abgelenkt ist, um sich herum Dichter fördert, wie es Heilkundige und Zauberer gefördert haben soll. Alle ihre Liebhaber sind Männer, die dienen, die zu etwas dienen und ihr dienen. Sie vermischt Geschlecht und Geist, so daß der Geist nie geschlechtslos, das Geschlecht aber auch nie geistlos ist. In Syrien, noch als junges Mädchen, schläft sie überall herum, aber immer mit Ärzten, Politikern und Dichtern. Sie gibt sich Männern hin, die ihr ins Konzept passen, ohne sich um deren Konzept zu kümmern. Erst einmal Königin sein: ihre Bettgeschichten bahnen ihr den Weg zum Thron. Und man darf annehmen, daß sie Severus als er die 4. skythische Legion übernahm, lange hat zappeln lassen, nämlich bis zu ihrer kurz darauf erfolgenden Heirat. Und selbst danach.

Sie läßt das Geld mit vollen Händen springen und versteht sich im Gegensatz zu Julia Moesa nicht darauf, schlaue Intrigen zu spinnen, doch sie ebnet großen Plänen den Weg. Ehrgeiz und Macht über alles. Ein Ehrgeiz bis aufs Blut, einmal selbst über das Blut hinweg. Als ihre beiden Söhne sich vor ihren Augen gegenseitig umbringen wollen, läßt sie den toten um des lebenden willen im Stich, weil der lebende Caracalla heißt und herrscht. Und weil sie Caracalla nach ihrem Kopf lenkt und den Thron hütet, während er auf ihr Geheiß in der Ferne Krieg führt.

Ein lateinischer Geschichtsschreiber, Dion Cassius, berichtet, Julia Domna habe mit Caracalla im Blut ihres Sohnes Geta, der von Caracalla ermordet worden war, geschlafen. Doch Julia Domna hat stets nur mit dem Königtum geschlafen, zuerst mit dem der Sonne, deren Tochter sie ist, dann mit dem römischen Kaisertum, das sie besteigt wie ein Hengst seine Stute.

Indessen kennt diese Kraft auch die Wollust. Man amüsiert sich tüchtig an Julia Domnas Hof, seit sie dazu übergegangen ist, unter der Leitung ihrer Schwester Julia Moesa sowie deren Töchter syrische Bräuche in Rom einzuführen.

Mag sein, daß das Sperma in Strömen fließt; aber es ist ein geistvoller Strom, dieser Spermastrom, der dahinfließt und weiß, daß er nicht versickert.

Denn die Wollust ist hier nur der Schaum der Kraft: ein Wogenkamm, der im Wind bebt. Nichts entmutigt diese außerordentliche Frau. Sowie der Krieg abzieht, kehrt die Poesie zurück. Und unterdessen lebt ihre Schwester samt ihren Töchtern, durch die die Rasse der Sonne fortbestehen wird, unter ihrer Fuchtel.  - Antonin Artaud, Heliogabal oder Der Anarchist auf dem Thron. München, Frankfurt am Main 1980 (zuerst 1967)

Macht
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