Fronleichnamsprozession  Die Glocken läuten. In zwei Reihen den Gehsteig entlang nahen, auf beiden Seiten der breiten Straße, die Kostschülerinnen des Klosters zum Heiligen Kreuz, alle in dasselbe Beige gekleidet unter ihren kleinen Strohschauben, die mit Feldblumen umwunden sind. Ein Schweizer, ehemals Korporal der kaiserlichen Garde, gibt den Schritt an und schützt sie mit einer Hellebarde aus vergoldetem Karton. Eine nach der ändern kommen, alle gleich, die Waisenmädchen der «Vorsehung» getrippelt, in Grau mit roten Gürteln, die Erstkommunikantinnen des Jahres, bekränzt mit echten Lilien, und hinter ihnen bilden die Koketten der Gemeinde als gemischte Beikost einen zusammengewürfelten Hofstaat, dessen Buntheit das Auge ein wenig verwirrt, das heute einzig auf den Anblick einheitlicher Gruppen gestimmt ist, auf die würdige Breite und harmonische Ordnung hinwandelnder Scharen, wie nächst dem Himmel die Kirche sie darzubieten versteht. Ihre frommen Lieder blökend, ziehen die Lämmer der Gemeindeschule in herrenlosen Haufen vorüber. Inmitten seiner Musikanten sieht man Herrn von Marcillac, neben ihm die hellen Flöten und ohrenbetäubend die Zimbeln, die er wie einen einzigen Schellenbaum handhabt, während er mit seiner hoch vor die sonnenbeschienene Stirn hinaufgeworfenen wilden Rechten da- und dorthin ausfährt, bald allen Trommlern der Stadt den Einsatz zuwinkend, die rücklings vor ihm her ziehn, bald allen Bläsern, die hinterdreinschreiten; daß er sich zum Lobe Gottes abmüht, kommt ihm nicht in den Sinn (und was auch hätte irgendein Lob mit diesem Getöse zu schaffen und Gott mit irgendeinem Lob?), so sehr ist er darauf bedacht, die allzu sanften Stimmen der «Marienkinder» seines Onkels, des Pfatrers, zu übertönen, die sein Ohr «beleidigen», das vor allem das Fortissimo liebt. Diese Fräulein, zwei Dutzend, ganz in Blaßblau angetan, tragen Rosen rings um eine Schwarze Madonna auf einem Maulesel, den der Allerjüngste unter den Leviten des Sprengeis am Halfter führt, und langsam folgen einander die Kirchenfahnen gleich Trophäen geheimnisvoller Siege, die in den alten Klöstern erstritten wurden. Kinder halten goldene Schnüre, die in ihren kleinen Händen niederwuchten wie eine Brelocke an Gottes Gürtel, welche zum Ephod seines Herzens hinaufreicht. Die Krankenschwestern in grobem Flaus unter weißem Sonnendach, die Hospitaliterinnen von der Charite in Bourges, eine jede ganz verloren im Faltenlabyrinth ihres schwarzen Gewandes; die Klosterfrauen vom Heiligen Kreuz am Grunde ihrer Schleierhauben wie unter ebenso vielen Grotten aus Taffet halten ihre Kerzen vor reglosen, dreifach verschlossenen Gesichtern. Es ist, als wäre die ganze Stadt beim Schein all dieser überflüssigen Lichter und der zahllos von allerorten herbeigeströmten Laternen plötzlich in einen Diogenes verwandelt worden und sei nun aufgebrochen, nach «Jemand» zu suchen. Die flatterärmeligen Schulbrüder wiegen sich, plappern, halb Pinguine, halb rasende Derwische, deren zu kurze Soutane die Unterhose sehen läßt und die klobigen Schuhe mit der Silberschnalle; die Kaplane, durchscheinend wie Peterspfennige, in leichten Chorhemden wie in Gewändern aus Rauch, die pfingstrosenroten Stiftsherren im kostbaren Spitzenüberwurf, halb verborgen durch das Mäntelchen aus altrosa Moire, auf dem ein Emailkreuz hängt, schreiten dem Baldachin voraus. Der Anstaltsgeistliche des Gymnasiums und ein Kapuziner in Dalmatiken tragen den mächtigen Chormantel des Herrn Pfarrers, der Gott trägt, eskortlert von einem Veteranen aus dem Krimkrieg, dem Notar Nadeau, einem Abbruchuntemehmer und einem gewissen Mützenhändler, die alle vier als burleske Gestalten die samtüberzogenen Stützen des Himmels halten. Es folgen die Christlichen Mütter und die Würdenträgerinnen der Bruderschaft vom Allerheiligsten Herzen Jesu, reiche Witwen von Stande, obschon recht schlotterig, immer noch zierlich herausgeputzt, meerkatzenartige Scheusale mit Zuckerfrätzchen, im Humpelschritt auf ihre eiserne Kerze sich stützend, die nur in die Welt gesetzt worden zu sein scheinen, um die beiden Verzückten in ihrer Mitte, Paul Kra-quelin und Theophile Brinchanteau, mit ihren Lichtern zu umgeben.

Der Zug hält vor einem Haus aus elfenbeinfarbenem Tüll, das von einer künstlichen Glyzinie aus kleinen malvenfarbe-nen Seidenpapierblättchen überrankt ist, die man auf einen violetten Wollfaden gezogen hat. Das Pförtchen des Baldachins öffnet sich unter der gelbbehandschuhten Rechten des Notars, auf daß Gott hervortrete: da aber gellt ein Schrei aus der Menge der Gläubigen, und im gleichen Augenblick ist der Ruhealtar in einer einzigen Flamme niedergebrannt. «Die Bösen» wollen nicht, daß Gott auf Erden ruhe. Die Musik spielt, und wie ein Gänseflaum sind Tüll und Glyzinie in Feuer und Rauch zerstoben, während der Herr Pfarrer, erschimmernd ganz von Gold und Tränen und Sonne, in den Staub auf die Knie gesunken ist. Zwischen dem Diakon und dem Subdiakon, die seine matten Arme mit ihren Händen stützen, hat er der Welt ins Angesicht, mit seiner kahlen Stirn sie stützend, die Monstranz emporgehoben, den Menschen darzutun, daß die einzige unverletzliche Ruhestatt Gottes der Mensch ist. Da neigen selbst die Ungläubigen sich vor dem Priester, der nun wieder aufsteht, und die letzte Prozession nimmt, ohne von ein paar verbrannten Blüten weiter Aufhebens zu machen, ihren Fortgang.

Bald darauf empfingen die Schwestern vorn Heiligen Kreuz unter dem Laubengang der Kastanienbäume ihres Gartens Gott wie in einer natürlichen Kirche. Gott war zu Hause bei diesen Jungfrauen. Hier fürchtete man nichts für ihn. Ungestört konnte man hier den Segen empfangen. Welch ein Gefühl, wenn infolge einer seltsamen Verkehrung der Dinge das Geschöpf seinerseits aufgerufen ist, für seinen Gott zu zittern und Ihn zu schützen! Es galt nun, ach! dem großen Platz die Stirn zu bieten, wo morgens die Händler sitzen, die Bankiers, die Politiker und abends die Dirnen, den Platz des Teufels in der Welt, wo die Welt an den Festtagen sich wälzt und suhlt wie ein einziges losgelassenes Tier an der Sonne seiner eigenen Lust. Der große Platz dieser kleinen Welt war wohl der gottfremdeste, der gottfernste Platz auf der Welt. Würde Gott dort zu wandeln wagen und der Teufel dulden, daß er vorbeizog? Vielleicht kam es dort zu einem letzten endgültigen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, und Gott unterlag? Théophile und Paul Kraquelin vernahmen, wie Gott jetzt selber betete, die Rollen des Vaterunser verkehrend: «Und erlöset mich von dem Übel.» - Marcel Jouhandeau, Fronleichnam. In: M. J., Chaminadour. Reinbek bei Hamburg 1964

Fronleichnamsprozession (2)  Als ich so m Gedanken unter den Tannen weiterging, erschreckte mich ein Geräusch, Ich war nämlich in der Nähe des Steins, an dem jeden Fronleichnamsvormittag während der Prozession der Bruder meiner Großmutter gegraben hat, weil es heißt, daß dem soviel von dem unterm Stein versteckten Schatz gehört, als ein geworfener Rosenkranz von dem nur während der Fronleichnamsprozession hebbaren Schatz berührt. An einem Fronleichnam ist der Bruder atemlos und leichenblaß im Hof angekommen und hat nur seiner Schwester berichtet, was er beim Graben Schreckliches erblickt hatte. Sie durfte es aber niemand weitererzählen und ich weiß nicht, ob sie Susa das Geheimnis gesagt hat. Um den Stein ist ein Wall ausgehobener Erde, der mit Gras bewachsen ist. - (acht)


Prozession Fronleichnam



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